Liebe Jeannine!
Ich habe bei Wikipedia
gelesen, dass er den Sozialkonstruktivismus von Berger &
Luckmann kritisiert und als Gegenentwurf seine
Strukturationstheorie entwirft
hier?
http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialkonstruktivismus
Anthony Giddens wirft Berger und Luckmann die Vernachlässigung der Wirkung von sozialen Strukturen und des Aspekts der verlaufenden Zeit vor. Diese beiden Aspekte seien grundlegend für die Verwendung sozialer Strukturen. Giddens’ Alternativvorschlag ist die sogenannte Strukturierungstheorie.
Leider bietet der Wikipedia-Artikel keine Quelle dafür an, wo Giddens explizit auf Berger/Luckmann eingeht. In seinem Hauptwerk „Die Konstitution der Gesellschaft“ geht er jedenfalls nicht mit einem einzigen Wort darauf ein (in seinen beiden Beiträgen zum vielrezipierten Werk Beck/Giddens/Lash, Reflexive Modernisierung ebenfalls nicht, wenn ich es dort nicht völlig überlesen haben sollte, denn diesen sind keine Register gegönnt).
Insofern kann ich deine Frage eigentlich nicht adäquat beantworten, bitte doch bei Wikipedia den Autor dieser Passage, auf jeden Fall den Ort anzugeben auf den er sich bezieht (Edit: bzw. werde ich das selbst gleich dort bemängeln) bzw. bitte ihn doch gleich um die Antwort selbst!
Dennoch möchte ich noch eine unspezifischere Antwort hinzufügen, möge auch sie hilfreich sein (@Mitleser: es folgt Soziologensprech, also nichts wirklich Allgemeinverständliches und/oder Lesenswertes.)
Beide Konzepte kann ich
nachvollziehen, jedoch ist mir nicht klar, was er an Berger &
Luckmann kritisiert.
Die Grundidee dürfte doch klar sein:
Giddens „message“ ist seine Strukturierungstheorie, durch die er über die Gegensätze Subjektivismus/Objektivismus, Mikro/Makro, Handlungsperspektive/Strukturperspektive hinausgehen will.
Allgemein wird Berger/Luckmann als „subjektivistisch“ bzw. „handlungstheoretisch“ eingeschätzt bzw. so wurde ihr Werk vornehmlich weitergeführt (im interpretativen Paradigma), auch wenn (wie z.B. Hubert Knoblauch, Wissenssoziologie oder auch Reiner Keller in seinen Arbeiten zur „Wissenssoziologischen Diskursanalyse“ nachdrücklich betonen, dass die „objektivistische“ Perspektive durchaus erkennbar sei, die Reduktion auf „Subjektivismus“ eben eine verkürzte Lesart der „Gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“ wäre).
Ich vermute also ganz stark (und wohl nicht unberechtigt), dass Giddens gegen Berger/Luckmann speziell eben dieselbe Kritik anführen würde, die er in der „Konstitution der Gesellschaft“ in allgemeiner Form gegen die Sozialphänomenologie bzw. gegen das interpretative Paradigma anführt (und dann eben speziell nicht an Berger/Luckmann weiter ausführt, sondern an Goffman):
Es ist „wichtig, nicht in den gegenteiligen Irrtum der hermeneutischen Anätze und verschiedenen Interpretationen der Phänomenologie zu verfallen, die dazu neigen, die Gesellschaft als eine beliebig formbare Schöpfung menschlicher Subjekte zu betrachten [… Das ist] eine illegitime Form von Reduktionismus [die andere ist der Funktionalismus; Giddens konzipiert seine Stukturierungstheorie also als Gegenentwurf zu den phänomenologischen Ansätzen (keineswegs speziell zum Sozialkonstruktivismus!) und zu den funktionalistischen Ansätzen], die sich aus dem Unvermögen herleite[t], die Dualität von Struktur angemessen zu konzeptualisieren. In der Perspektive der Theorie der Strukturierung stellt sich -mit Blick auf die Inszenierung des sozialen Alltags gesprochen- der aktuelle Vollzug der Produktion von Handeln ebenso sehr als Prozess der Reproduktion dieses Handelns dar […] Die Kontinuität der spzialen Reproduktion über Raum und Zeit hinweg gründet stets vorwiegend in der Dualität von Struktur.“
(Giddens, „Die Konstitution der Gesellschaft“, S. 78)
In dieser sehr abstrakten Form würde diese Kritik Giddens’ ganz sicher auch auf Berger/Luckmann zutreffen, auch wenn man dann sagen könnte, dass diese sehr wohl die angesprochene „Dualität von Struktur“ (das heißt: Struktur ist nicht einfach nur Restriktion des Handelns, also nachträglicher Zwang auf das Handeln, sondern Zwang und Ermöglichung des Handelns. Das Handeln eines Akteurs ist also restlos immer schon von strukturellen Voraussetzungen geprägt, diese treten nicht erst im Nachhinein als Zwang, Verbot, Restriktion auf) bereits im Blick hatten, dennoch aber immer wieder zu sehr handlungstheoretisch dachten bzw. auch fast nur so rezipiert wurden.
(genau das wirft übrigens der bereits angesprochene Knoblauch, Wissenssoziologie -wie ich jetzt erst mit Erstaunen feststelle zufälligerweise genau auf mein obiges Zitat bezogen- Giddens vor, wenn er sagt, dessen Einschätzung der hermeneutischen und phänomenologischen Ansätze wäre eine „sicherlich weit überzogene Ansicht“; Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 281, FN 65).
_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð €
‚Jenseits von Links und Rechts ist was Arbeit schafft‘.
(hat Herr Giddens bestimmt einmal einst Herrn Blair zärtlich ins Ohr geraunt)_