Apireno-Orangen

Liebe Konsodalen in Saturn und Vesta,

derzeit schwelgen wir in Apireno-Orangen aus Ribera (AG), und aus diesem Anlass stolpere ich über zwei Fragen, auf welche ich die Antworten gerne meiner mentalen Enzyklopädie des unnützen Wissens angliedern möchte:

  • Wie kommt es, dass diese Sorte („Vanille-Orangen“) nur in einem ganz eng begrenzten Gebiet auf Sizilien kultiviert wird und von den anderen „großen“ Orangen-Herkünften in der Türkei und in Griechenland nicht angeboten wird, obwohl sie auch in weniger guten Orangenjahrgängen wie diesem jetzigen ein Aroma von dramatischer Anmut entfaltet? Geht es um Klima, um Boden, um irgendwas anderes, was Ribera hat und alle anderen nicht?

  • Geht es dabei um eine Sortenzüchtung im Rahmen der üblichen domestizierten Süßorange, deren Kreuzung Citrus reticulata * Citrus maxima schon sehr lange her ist, oder ist sie wie die Pomeranze eine von den übrigen Süßorangen unabhängige domestizierte Linie, die aus einer eigenen Kreuzung hervorgegangen ist?

Über Hinweise freut sich

MM

(bitte um Nachsicht wegen der „Kategorie“ Ess- und Trinkkultur, es ist sonst keine brauchbare vorhanden, und ich durfte das nicht unter „Essen & Trinken“ posten. Dieses System ist einfach für die Tonne, aber das wissen wir ja schon seit einer Weile)

was denn sonst. Habe deine Frage nach Agrigent weitgeleitet betr:

Gruß
Claude

Salü Claude,

danke Dir, das ist sicher die beste Quelle, wenn man direkt an den Tatort gehen kann! Ich bin gespannt, was Du dazu berichten wirst.

Wegen der Herkunft dieser Sorte habe ich mich mittlerweile darauf besonnen, dass ich zwar kaum fünf Worte Italienisch spreche, aber immerhin ganz brauchbar Italienisch lesen kann, seit ich als Bub mit Eisenbahnwagen gefahren bin, die dreißig Jahre vorher ihre großen Zeiten als Schnellzugwagen erlebt hatten und immer noch viersprachig beschriftet waren. An der Heizung stand ‚riscaldamento‘ - wir glaubten als Buben, es wäre eine Verwechslung, dass da ‚caldo‘ auf der falschen Seite des Hebels stand, und das melodiöse ‚E pericoloso sporgersi‘ an den Fenstern klang wie eine Art Zauberspruch, mit dem man sich mit viel höherer Geschwindigkeit als der der Eilzüge von Ulm nach Friedrichshafen in ein geträumtes Arkadien beamen konnte. In Ulm verkündete dann der Lautsprecher Anschlüsse nach so wunderschön klingenden Orten wie Ljubljana, aber das ist ein ganz anderes Kapitel. Und wegen sinnloser, dummer Kriegsspiele ist das mit den Schnellzügen von Dortmund nach Zagreb, Split, Mostar und Ljubljana auch schon lange Vergangenheit.

Wie auch immer: Ich habe den Hinweis, dass die „Vanilleorangen“ um etwa 1400 herum von Genueser Seefahrern aus China nach Sizilien gebracht worden sind und in China bereits als separate Linie der Süßorangen existierten. Die kernlose Varietät der ‚Apirene‘ ist offenbar eine zufällige Hybridisierung, die (ich konnte nicht finden, wann - möglicherweise recht neu) bei Ribera entstanden ist.

Damit bleiben unverändert die Fragen, wie es kommt, dass die Apirene nicht von Ribera wegkommen - anders als vor einigen hundert Jahren die Chinesen ihre Seidenraupen kann man sie wohl nicht so streng kontrollieren und bewachen, dass da kein Edelreis den Weg in ein anderes Land nehmen kann -, und auch die (durch die Herkunft aus China nicht einfacher werdende), ob die chinesischen „Vanille-Orangen“ aus domestizierten Süßorangen selektiert sind oder von einer separaten Kreuzung abstammen.

Schöne Grüße

MM

Wenn es einen Experten für spezielle Zitrusfragen gibt, dann ist das für mich https://www.oscartintori.it/
Oscar Tintori
Schreib ihn an, man spricht deutsch :wink:
Ist für Zitrusliebhaber übrigens auch ein lohnendes Ausflugsziel.

Die Frage speziell kann ich nicht beantworten. Allerdings habe ich wegen anderer Sorten auch schon sehr aufwändige Recherchen geführt und mich genauso gewundert, dass bestimmte Sorten nicht viel weiter in die Verbreitung gegangen sind. Manchmal liegt es daran, dass diese Sorten sehr mimosenhaft sind. Dafür braucht man sich als Beispiel ja nur die noch sehr bekannte Bergamotte anzusehen: 90 % der Weltproduktion stammen aus einem schmalen, kalabrischen Küstenstreifen. Und das bei einer Frucht, deren ätherischen Öle ja nun wirklich weit verbreitet sind. Andere berühmte Sorten haben es auch nicht einer kleinen Anbauregion geschafft. Dafür gibt es auch Berühmtheiten wie die Amalfizitrone.

Ich habe es nach einigen Erfahrungen, bei denen auch Tintori weitergeholfen hat, jedenfalls aufgegeben, mich auf Angaben zu verlassen alla: ist schon 500 Jahre alt und… Da die Zitrusfrüchte hemmungslos jeder mit jedem zum Akt gebracht werden könne, vorwärts wie rückwärts, ist das ein sinnfreies Unterfangen. Ich habe mal den Chef eines großen deutschen Botanischen Gartens nach einem Zitrusstammbaum gefragt, systematisch wie ich bin. Immer in Bildern denkend ans Große und Ganze. Der hat mich ausgelacht.

Die Apinero kenne ich allerdings als Mitbringsel. Was der absolute Hit ist: Kandierte Scheiben daraus.

Ich erlaube mir in eigener Sache noch einmal nachzukommentieren.

Die Expertise auf Tintori stammt u.a. vom Botanischen Garten Bonn. Die Zitrus-Sammlung dort ist wohl zumindest mit, wenn nicht die beste in Deutschland. Fachlich ist dieser Tipp also weit über Gurgeln anzusiedeln. Wobei man darauf schon alleine kommen kann, wenn man sich anschaut, was Tintori bei sich so alles rumzustehen hat.

Darauf gar nicht zu antworten kann mehrere Gründe haben. Die Empfehlung zu ignorieren wäre dumm. Vielleicht läuft die Anfrage noch - dann hab ich nix gesagt. Sich eine Empfehlung einzuholen und nicht rückzumelden wäre … zumindest unhöflich.

Servus,

die beiden Fragen sind ja noch offen - ich habe zwar nicht erwartet, eine Antwort darauf zu bekommen, aber es ist auch nicht verkehrt, wenn man dabei nicht die Geschwindigkeit einer Partie Tischtennis erwartet: Der „Hinkende Bote“ hat seit je die verlässlicheren Nachrichten gebracht.

Von daher denke ich, dass ich jetzt nicht innerhalb von ein paar Tagen auf deine Empfehlung hätte antworten müssen, mich mit den Fragen nicht an dieses Forum zu wenden, wo diese vor zehn Jahren leicht hätten beantwortet werden können, sondern an Oscar Tintori.

Um zwei Ecken habe ich nach Umschiffung des Online-Shops auf dessen HP die Postadresse von Tintori gefunden und werde, wenn die Haupternte- und versandzeit vorbei ist, vielleicht mal mit dem Apireno-Thema an Tintori schreiben. Anscheinend ist er ein Agrumen-Spezialist, es freut mich, dass Du den Hinweis gegeben hast.

Dass Du meinst, ich hielte zielloses ‚Googeln‘ für eine brauchbare Quelle von Informationen, betrübt mich ein wenig. Wobei das allerdings von der Fragestellung abhängt - dass das einzige Anbaugebiet für Apireno-Orangen bei Ribera liegt, lässt sich z.B. recht leicht mit einer handelsüblichen Suchmaschine verifizieren.

Schöne Grüße

MM