Aristoteles: Thales ist die Nr. 1

Hallo!

Ich habe an verschiedenen Stellen gelesen, Aristoteles habe Thales als ersten Philosophen oder Ahnherr der Philosophie bezeichnet, kann dafür aber nirgendwo eine Quelle finden.

In der Metaphysik heißt es mal „Thales, der erste Vertreter dieser Richtung philosophischer Untersuchung (Bestimmung der Arché)…“
Und in der Nikomachischen Ethik taucht Thales auch mal auf. Aber auch hier nix von wegen Ahnherr.

Wisst ihr, woher die Aussage stammt? Oder ob es eine Verkürzung des ersten Zitats sein soll?

Danke
Peter

Andere vor Thales
Thales von Milet ist für meine Sicht der erste Philosoph unserer Kultur. Ich zitiere hierzu Professor Wilhelm Weischeldel in Bezug auf Aristoteles:

„So denkt auch der erste Geschichtsschreiber der Philosophie, Aristoteles.“ Und weiter Weischedel: „So kommt Aristoteles an den Punkt, (der)… den Anfang der Philosophie… zu dem Philosophen Thales“ annimmt.

Diese Interpretation ist natürlich nicht unumstößlich, denn der US-Philosoph Professor Robert C. Solomon hat in seiner Deutung noch Weitere vor Thales aufgelistet. Darauf will ich aber jetzt nicht extra eingehen.

CJW

Danke für deine Antwort. Dort habe ich es unter anderem auch gelesen. Meine Frage ist aber diese: Steht bei Aristoteles irgendwo „Thales ist der Ahnherr der Philosophie.“ oder „Thales war er erste Philosoph.“?
Weischedel liefert ja leider auch keine Quellenangaben.

Gruß
Peter

Sorry

Weischedel liefert ja leider auch keine Quellenangaben.

Leider bin ich nicht motiviert genug, in den Originaltexten von A. nach einer Quellenangabe zu suchen, was du doch aber gerne selber kannst. Weischedels Behauptung wird aber auch von dem US-Philosophen Professor Robert C. Solomon bestätigt (obwohl ich ja schon darauf hingeweisen habe, dass Solomon weiter zurückgeht, also „vor“ Thales, jedoch nicht bei den Griechen, die für mich persönlich maßgeblich sind).

Solomon: „Als erster griechischer Philosoph gilt im allgemeinen THALES (Hervorhebung im Original), der im siebten Jahrhundert v. Christie… in Kleinasien, der heutigen Türkei, lebte.“

Man könnte, wie gesagt, alle Originale von Aristoteles oder aber bei zahlreichen anderen Philosophen nach weiteren Bestätigungen der obigen Behauptungen suchen, ich bin dazu aber im Moment nicht dazu motiviert, sorry.

CJW

Es geht mir nicht um die Frage, ob Thales der erste Philosoph ist, sondern einzig und allein darum, ob Aristoteles das so gesagt hat.
Und ich erwarte nicht von dir (oder jemand anderem) Aristoteles’ gesammelte Werke für mich zu durchforsten. Das habe ich schon gemacht, und nachdem ich abgesehen von der Stelle in der Metaphysik nichts gefunden habe, frage ich in diesem Forum, ob jemand besser Bescheid weiß.

Guten Abend!

Ich habe an verschiedenen Stellen

In wissenschatlichen Werken? Wirklich?

… gelesen, Aristoteles habe
Thales als ersten Philosophen oder Ahnherr der Philosophie
bezeichnet, kann dafür aber nirgendwo eine Quelle finden.

Das geht sicher zurück auf:

In der Metaphysik heißt es mal „Thales, der erste Vertreter
dieser Richtung philosophischer Untersuchung (Bestimmung der
Arché)…“

und ist genau diese Stelle:
Aristoteles, Metaphysik A 983 b 20 f.: Θαλῆς μὲν ὁ τῆς τοιαύτης ἀρχηγὸς φιλοσοφίας ὕδωρ εἶναί φησιν.
Wenn man ἀρχηγὸς (anfangend, Anführer, Urheber) etwas blumig mit Ahnherr übersetzen will - ok.
Aber er wird hier nicht als der Ahnherr der Philosophie schlechthin bezeichnet, sondern ὁ τῆς τοιαύτης ἀρχηγὸς φιλοσοφίας heißt Begründer dieser Art Philosophie, also der jenigen, die nach der Arche frägt. Mehr gibt zu deiner Frage die ganze Stelle Ar. Met. A 3, 983 b 6 – 984 a 3 nicht her, und so weit warst du selbst auch schon. Ich wollte nur die Stelle mit dem genauen Wortlaut beitragen. Denn auch A. weiß nicht, wie Thales zu seiner These kam; was er darüber schreibt, ist seine eigene Vermutung.

Und in der Nikomachischen Ethik taucht Thales auch mal auf.
Aber auch hier nix von wegen Ahnherr.

Auch die dreimalige Nennung in Politiká hilft nicht weiter. Da demonstriert A. nur, wie beeindruckt er von des Thales kaufmännischen Fähigkeiten ist.

Beste Grüße!
H.

Vielen Dank, Hannes!

Ich glaube, das erste mal bin ich darauf in einer Vorlesung gestoßen. Ich beschäftige mich gerade mit der Philosophiegeschichte der Antike, und der Art und Weise wie sie erzählt wird, und dafür wühle ich mich durch verschiedene Bücher und Skripten und Aufnahmen und Internetseiten… und dabei ist mir es wieder untergekommen.
Um nur ein Beispiel zu nennen. In der Philosophiegeschichte von Erdmann steht: „Thales von Milet, der „Ahnherr der Philosophie“, wie Aristoteles ihn nennt…"
Beliebt ist auch die Formel „Urvater der Philosophie“. So hab ich es über die Googlesuche mittlerweile in diesem Buch gefunden, wo sogar der Quellenverweis angefügt ist: Metaphysik 983.
Es ist also wirklich nicht mehr dahinter. Vielen Dank auch für die Griechisch-Lektion. Das macht es klarer.

Peter

Thales der älteste Naturphilosoph
Hallo Peter,

Hannes hat vollkommen Recht, die Stelle Met 983b20 als eine Quelle dieser Ansicht zu benennen, Aristoteles habe Thales als den ersten Philosophen benannt (wobei „Ahnherr“ natürlich eh Quark ist), und daß sich das in korrekter Übersetzung ganz anders liest (was übrigens aus dem Argumentationszusammenhang bereits ergibt).

Aber es gibt noch andere Stellen und noch andere Begründungen dafür, die Aussage nicht nur Aristoteles zuzuschreiben, sondern sie auch als philosophiehistorisch korrekt anzusehen. Wobei letzteres zweifellos auf Hegel zurückgeht, der ja als erster eine Philosophiegeschichte entwickelt hat, und bisher als einziger eine systematische. Im Unterschied z.B. zu Diogenes Laertios, der lediglich Kurzbiografien und Zitate gesammelt hat.

Von Aristoteles sind überhaupt große Mengen von Zitaten seiner Vorgänger überliefert, weil er eine - bis heute gültige - Methode bzw Argumentationsform philosophischer Abhandlungen entwickelt hat: Zuerst die kritische Betrachtung oder Analyse der Äußerungen, Ansichten, Theorien der bereits vorliegenden Theorien, und dann erst im Kontrast dazu die eigene neue.

Zunächst zu einem Zitat aus Περί Ουρανού (De Caelo, Über den Himmel) 294a28
Οἱ δ’ ἐφ’ ὕδατος κεῖσθαι. Τοῦτον γὰρ ἀρχαιότατον παρειλήφαμεν τὸν λόγον, ὅν φασιν εἰπεῖν Θαλῆν τὸν Μιλήσιον,
Andere (sagen), sie (die Erde) ruhe auf Wasser. Diese Theorie nämlich haben wir als älteste erhalten/übernommen/bewahrt, von der man sagt, Thales von Milet habe sie geäußert.

Hier geht es, wie schon in Met, um die Frage der Theorien über die Prinzipien (archai). Und in diesem Zitat wird sie als die dem Konsens nach älteste bekannte angegeben.

Nun ist aber die Suche nach den archai für Aristoteles gerade dasjenige, was die Philosophie im Unterschied zur Erfahrungswissenschaft, empeiria, zur methodischen theoretischen Wissenschaft, episteme, macht. Und in seiner Φυσικής Ακροάσεως, Physikvorlesung 184a ff, führt er genauer aus, daß die Frage nach den Prinzipien, hier den prinzipialen Subtraten, das Fundament der Naturphilosophie ist.

Somit gilt Thales also als der älteste Naturphilosoph. Da aber die gesamte milesische Philosophie, noch vor der eleatischen, überhaupt nur Naturphilosophie ist, ist das Urteil „älteste Philosophie“ berechtigt.

Diejenigen griechischen Denker, z.B. die sog. sieben Weisen usw., waren aber in keiner Weise methodisch, genauer: sie hatten nicht mal im Ansatz eine Methodologie. Daher zählen sie allgemein nicht zu den Philosophen im diesbezüglichen Sinne.

Präziser hat das aber erst Hegel, wie oben gesagt, in seiner Philosophiegeschichte formuliert. Er nennt explizit Thales den ersten Naturphilosophen, und, aus den genannten Gründen, weil die Philosophie mit Naturphilosophie anfängt, den ersten Philosophen.

Gruß
Metapher

corrigendum

In der Philosophiegeschichte von Erdmann steht: „Thales von Milet, der „Ahnherr der Philosophie“, wie Aristoteles ihn nennt…"

Zu seiner Ehrenrettung wäre zu sagen: Nicht Erdmann hat damit die Stelle Met 983b schief wiedergegeben, sondern Vorländer. Erdmanns Darstellung (Kant und Deutscher Idealismus) ist ja nur der Rowohlt-Ausgabe der Philosophiegeschichte Vorländers beigefügt worden, weil diese nur bis zur Aufklärung in diese Ausgabe aufgenommen wurde.

Gruß
Metapher

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Vielen Dank, Metapher!

Man neigt dazu, in Fragen jeglicher Einordnung Aristoteles ins Feld zu führen. Hegel ist an dieser Stelle natürlich ein besserer Gewährsmann.
Nebenfrage: Tennemanns Philosophiegeschichte geht doch auch als eine solche durch, oder? (Hab sie nur in Ausschnitten gelesen, aber schon die Einleitung und das Gerüst wirken auf mich ziemlich systematisch.)

Ich persönlich halte die Frage nach einem „ersten Philosophen“ für unbeantwortbar. Aber ich denke, man kann die abendländische Philosophiegeschichte gut erzählen, wenn man bei Thales beginnt.

  1. Die Zeit der Vorsokratiker war eine geistig gebärfreudige Zeit (u. a. mit der Begründung der Religion der Parsen, des Judentums und des Buddhismus), und als solche angemessen für die Geburt der Philosophie.
  2. Die kolonisierte Westküste Kleinasiens war eine angemessene Geburtsstätte.
  3. Aus der Frage nach der Arché lassen sich (fast) alle philosophischen Grundfragen entwickeln.
  4. Von den drei Milesiern nicht den ältesten zu wählen, wäre schwer zu erklären.

Früher würde es eng mit den Aufzeichnungen, und später käme man auf Sokrates. Und wenn man erklären wollte, warum er, müsste man wieder zurückgehen auf einen Sophisten. Und einen Sophisten den ersten Philosophen nennen, das will man nicht.

Verzeihung, verplappert. Nur noch ein corrigendum für dich, um mein Karma auszugleichen: Thales war selbst einer der 21(?) Sieben Weisen.
Jedenfalls nochmal vielen Dank und auch für die Korrektur bezüglich Erdmann.

Gruß
Peter

Hallo Peter,

Tennemanns Philosophiegeschichte geht doch auch als eine solche durch, oder? (Hab sie nur in Ausschnitten gelesen, aber schon die Einleitung und das Gerüst wirken auf mich ziemlich systematisch.)

Klar ist es auch Philosophiegeschichte, wegen der Zitate sogar nützlich. Irgendwo gibt es eine Bemerkung Hegels der vormaligen Art, sie zu betreiben. Ich hab den Wortlaut nicht mehr im Kopf und finde die Stelle nicht, daher nur dem Sinn nach: ‚Sie führen die Philosophen wie Mannequins auf dem Laufsteg der Geschichte vor - ohne einen Zusammenhang‘.

An Tennemann kritisiert er die falsche Methode. Er beurteilt und bewertet (besonders in der Antike) mit Kategorien der viel späteren Metaphysiken. Und bescheingt ihm „Der große Tennemann ist mit zu wenig philosophischem Sinn begabt, um die aristotelische Philosophie auffassen zu können; in seinen Übersetzungen ist der Sinn des Textes oft verkehrt bis zum Gegenteil.“

Nur noch ein corrigendum für dich, um mein Karma auszugleichen: Thales war selbst einer der 21(?) Sieben Weisen.

Ja. Bei Platon wird er dazugezählt. Aber es gibt viele verschiedene Auflistungen.

Jedenfalls ist dein Karma damit wieder glatt :smile:

Schönen Gruß
Metapher

steht auch in
BROCKHAUS der Philosophie,
Verlag FAB, ISBN 3-7653-0571-5 Buch anschauen
S. 338

wobei hier zu unterscheiden ist, dass Thales alles am Wasser als Ursprung festmachte. Das ist natürlich eine denkweise, die andere Philosophen nicht oder nicht so vertreten haben.