Humane Ideale im Christentum ?
Hi Michael.
Auch wenn das jetzt OT ist, aber mich interessiert deine Begründung für folgende Behauptung: „Sie klammerten sich an das Christentum, weil es ein Wertesystem beinhaltete, das humaner (…) war als der Nationalsozialismus.“
Was genau soll ich denn begründen? 1) Dass das Christentum humaner ist als der Nationalsozialismus?
Ja, das geht aus meinem Zitat deiner Behauptung doch hervor.
Zu 1): Dazu muss man ja nicht vieler Worte verlieren. Eine Religion, zu deren Idealen Nächstenliebe, Feindesliebe, Vergebung, … gehören, ist humaner als eine Ideologie, die sich vor allem durch Hass definiert.
Nun, Debatten über dieses Thema wurden im www, teilweise mit meiner Mitwirkung, schon oft geführt. Die von dir genannten Ideale wurden in der Geschichte des Christentums definitiv nie konkretisiert, auch nicht im Ansatz. Soll ich jetzt wirklich alle „Sünden“ aufzählen, die das Christentum seit seinen Anfängen auf sein Konto lud und die mit obigen Idealen gar nicht in Einklang zu bringen sind? Dazu müsste ich allerdings viele Worte verlieren. Ich beschränke mich auf Andeutungen wie, dass Paulus die Sklaverei verteidigte, dass Augustinus Schriften hervorbrachte, die zur Grundlage des mittelalterlichen „Hexenwahns“ mit all dessen furchtbaren Auswüchsen wurden, dass Luther in seiner Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ so nette Dinge schrieb wie:
Man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.
usw.usw.usf.usf.
Das, was man als „humanen“ Ansatz im Christentum vermuten könnte, nämlich die vom Judentum übernommene sog. „Gottesebenbildlichkeit“ des Menschen, scheint mir kein überzeugendes Argument für eine Humanität des Christentums zu sein. Bei Betrachtung des „Gottes“ nämlich, dem der Mensch ebenbildlich sein soll, fällt auf, dass dieser (alttestamentliche) Gott so gar nicht „human“ erscheint. Im Gegenteil, nach den Maßstäben des Menschenrechts ist der Gott des AT ein Dauertäter in Sachen Menschenrechtsverstöße. Er vernichtet fast die gesamte Menschheit (Sintflut), weil er unfähig ist, ihnen zu vergeben (wo bleiben da die von dir genannten Ideale?), stachelt „sein“ Volk zum Völkermord an anderen Stämmen an und führt sich generell sehr narzisstisch und gewaltbereit auf. So gesehen, waren die Menschen jener Zeit tatsächlich ein „Ebenbild Gottes“ 
Einzig die Stoa kann als Quelle der menschenrechtlichen Idee gelten. Die neuzeitliche Entwicklung dieser Idee geschah denn auch nicht durch irgendwelche Rückgriffe auf christliche Gedanken, sondern auf jene der Stoa. Damit sollte das menschenrechtsfeindliche Klima, das in den christlichen Jahrhunderten die europäische Kultur prägte, ja erst bereinigt werden. Humanität und Menschenrecht entstanden als Gegenbewegung zum Christentum und nicht als dessem konzeptuelle Fortführung.
Insofern erscheint mir deine von mir zitierte Behauptung inhaltsleer zu sein. Das ist kein persönlicher Vorwurf an dich, denn deine Position wird vor allem in christlich orientierten Kreisen oft vertreten (aber auch da nicht von jedem), und zwar in der Regel durch den Verweis auf die sog. Gottesebenbildlichkeit. Nur kann ich in dieser, wie oben ausgeführt, absolut kein stichhaltiges Argument für eine angebliche Humanität der christlichen Idee erkennen. Auch im NT ist so gut wie nichts auszumachen, was deine Behauptung begründen könnte. Jesus z.B. erscheint dort an zentralen Stellen überhaupt nicht wie einer, der die von dir genannten Ideale konkret vertritt, ganz im Gegenteil. Ich erinnere nur an seine Rede vom „Natterngezücht“ an die Adresse der Pharisäer. Seine ständigen Höllenandrohungen sind auch nicht dazu angetan, Vertrauen in die Humanität des Christentums zu stiften. In Mt 25,41-43 heißt es z.B.:
41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42 Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt. 43 Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherbergt. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besucht.
Klingt das nach Feindesliebe und Vergebung? Ich denke nicht.
Chan