Aschenputtel

Hallo,

gibt es ein „Aschenputtel-Syndrom“?
Ich meine damit ein Kind, das sich nicht von seiner Familie lösen kann, wobei die Familie aus Halbgeschwistern und einen Elternteil samt neuen Partner besteht.
Das Kind wird als Haushälterin gebraucht und nicht in ihrer Selbständigkeit gefördert.

Im konkreten Fall geht es um eine Junge Frau, die nach der Trennung der Eltern bei ihrem Vater blieb. Dieser sich nicht um sie kümmerte und sie nach einem handgreiflichen Streit zu ihrer Mutter zog. Die Mutter hat in der Zwischenzeit einen neuen Partner. Sie nehmen die Tochter auf und bekommen noch zwei Nachzüglerkinder um die sich die ältere Tochter kümmert. Sie bringt sie zum Kindergarten / zur Schule, kauft ein, kocht, putzt, kümmert sich um den Hund während die Eltern arbeiten gehen. Dafür hat sie eine kleine Kammer und wird durchgefüttert. Letzteres hat sie zu über 130 kg Körpergewicht gebracht.
Sie zieht die alte Kleidung des Partners ihrer Mutter an (eigenes Geld hat sie nicht), wenn sie tagsüber zu Hause ist daddelt sie und befriedigt ihre Fressucht, hat keine Schulausbildung und keine Berufsausbildung.
Das geht nun schon 8 Jahre lang so.
Ich weiß nicht, ob sie Hilfe haben möchte. Ich kann da nicht einfach nur zusehen. Sie hat aufgegeben, bzw. ihre Wahrnehmung ist so stark eingeschränkt wie ihr bisheriges Leben auch war.

Wie geht man da vor?

Vielen Dank und viele Grüße

Zum Begriff: von einem Aschenputtel-Syndrom oder eine Aschenputtel-Komplex liest man öfter, aber das sind sehr uneinheitlich gebrauchte Begriffe.
Ich denke, auf den Begriff kommts auch nicht an.

Zur Situation: das ist natürlich eine sehr extreme Form einer entgleisten (Stief)familienkonstellation, aber sie zeigt einige allgemeine Regelhaftigkeiten für problematische Entwicklungen in Stieffamilien. Zu nennen wäre v.a. der Umstand, dass eigene gemeinsame Kinder des neuen Paares die Beziehungskonstellationen der Stieffamilien oft dramatisch zu Ungunsten des Stiefkindes verschieben, d.h. dass es in eine sehr prekäre Außenseiterposition innerhalb der Stieffamilie rutscht. Nicht drin, nicht draußen.

Zumal dann, wenn der andere Elternteil nicht nur als Rückhalt ausfällt, sondern vermutlich als ständiges Negativbild in der neuen Familie „anwesend“ ist, und als solches z.B. die Mutter zur Flucht in die neue Kernfamilie (Partner plus gemeinsame Kinder) gedrängt hat.

Da könnte die Bereitschaft der jungen Frau, sich bereitwillig ausbeuten zu lassen, ihr Versuch gewesen sein, sich damit zumindest funktional eine Stellung innerhalb des Familiensystems zu sichern. Eventuell ist die Ausbeutung ursprünglich also gar nicht so sehr einem bösen Willen ihrer Mutter und ihres Stiefvaters geschuldet gewesen. Da greift eben ein Rad ins andere.
Das war jetzt aber natürlich reine Spekulation meinerseits.
Klar ist aber, dass sich solche Muster über die Jahre enorm festigen, zumal inzwischen soziale Fakten (kein Schulabschluss, keine Ausbildung) geschaffen sind, die einen Ausbruch aus diesem Gefängnis noch viel schwieriger machen.

Dass die junge Frau allzu gut Hilfe annehmen könnte, kann ich mir nicht vorstellen, sonst hätte sie sich diese Hilfe längst besorgt. Das klingt jetzt sehr hart, ist aber gar nicht so gemeint. Es ist einfach furchtbar schwer, den Willen aufzubringen, sich aus so einem (teils sicher auch selbstgewähltem) Arrangement wieder zu lösen.
Ein Versuch im Sinne von „Komm mit, ich helf dir da raus“ würde wahrscheinlich, wenn nicht gleich, spätestens bei konkreten Maßnahmen scheitern.

Aus welcher Konstellation heraus kennst du sie denn?
Aus dem beruflichen Kontext?
Dann sollte es institutionelle Möglichkeiten geben, um an sie heranzukommen, zu denen du jetzt sicher mehr sagen kannst als wir.
Zu wem um sie herum hast du denn überhaupt Kontakt?

Gruß
F.

Leider leben wir in einer Zeit die keine Räume mehr für die Persönlichkeitsentwicklung zulässt. Auch die Wertstellung der Familie hat sich stark verändert und nicht selten sind es die Kinder die ein seelisches Leiden davon tragen. In diesem Fall, wie du ihn beschrieben hast, sehe ich wie eindeutig das Mädchen sich schuldig fühlt und trotz dem verstärkten Wunsch der Mutter zu helfen, resigniert hat. [Hier][1] wäre mit Sicherheit eine Familientherapie mit allen Beteiligten sehr sinnvoll

[1]:

Hallo,

vielen Dank für Deinen Beitrag. Ich finde Du hast die Situation ganz gut erfasst (bzw. so sehe ich es auch).
Sie ist mein Patenkind. Ich habe sie schon einmal aus einer schwierigen Situation herausgeholt (damals bei ihrem Vater). Jetzt ist es aber so eingefahren und der Kontakt ist recht dünn.

Viele Grüße

Hallo,

ich sehe das etwas anders - es gibt kaum ein Land und es gab kaum eine Zeit, die eine Persönlichkeitsentwicklung mehr unterstützt hat wie heute in Deutschland (wobei die Frau nicht in Deutschland lebt).

Die Frau fühlt sich m.E. nicht schuldig oder ihrer Mutter gegenüber verpflichtet. Sie scheint sogar insgesamt recht zufrieden zu sein - das ist ja gerade das Furchtbare.

Mit der Veränderung der Wertstellung der Familie gebe ich Dir Recht und an eine Familienberatung habe ich auch gedacht (also nur sie, nicht die Familie, denn die ist „resistent“).

Viele Grüße

Ohje, damit hängst du wahrscheinlich gefühlmäßig recht tief drin in der Sache.

Ich könnte mir vorstellen, als Patentante hast du aber im Grunde schon eine gute Stellung, um den Kontakt zu ihr und vielleicht auch dem Umfeld so gut halten zu können, dass du ihr dann nochmal helfen kannst, wenn sich (durch Krisensituationen, Veränderungen im Familiensystem etc.) ein „Zeitfenster“ für Veränderungen auftun wird, sich also eine neue Konstellation ergeben wird, in der sie dann auch von sich heraus Hilfe sucht.
Zeitfenster sind aus meiner Sicht immer entscheidend - und bis dahin muss man sie bzw. die Situation so akzeptieren und wertschätzen wie sie ist.

(<- nur meine Idee dazu aus dem Bauch heraus; den Einblick hast natürlich nur du)

Gruß
F.

Danke!