Auf Friedhöfen gibt es das Motiv der

… ‚Heimholung‘, dann holt der Engel eine Frau ins ein Reich. Wer kennt die Hintergründe dazu? Nimmt es Bezug auf eine Bibelstelle, seit wann ist das Motiv üblich? Danke für alle Hinweise

Engel als Begleiter der Seele des Toten
Das Motiv eines oder mehrerer Engel, die die Seele des Gestorbenen abholen und in den Himmel tragen, hat Wurzeln, die bis in frühchristliche Apokryphen zurückreichen. Eine biblische Grundlage hat es jedoch nicht, wohl aber nichtchristliche, wie z.B. Der griechische Charon, die germanischen Wallküren oder die römischen Genien.

In der europäischen Kunstgeschichte hat sich das Motiv kristallisiert an Darstellungen der → Maria Assumpta, der Aufnahme der Maria in den Himmel. Bereits im 11. Jhdt. findet sich die Szene so dargestellt, daß Engel den Körper der Toten hochtragen.

Vermutlich von dieser Bildtradition ausgehend verallgemeinert sich das Motiv auf jeden Toten. Ein Engel trägt die Seele des Toten, die ein Abbild seines Körpers ist. Es hat sich neben der überaus komplexen Auseinandersetzung in der christlichen und arabischen Philosophie seit Origenes und Augustinus über die Natur der Seele und der Engel in der abendländischen Mythologie erhalten. Es hatte dann einen Höhepunkt in der Kunstgeschichte der Romantik und des Klassizismus.

Das mythologiegeschichtloch Interessante ist dabei, daß die engelgetragene „Seele“ exakt wie eine Kopie des Körpers des Toten dargestellt wird.

Literarisch wohl bekanntestes Beispiel ist die Schlußszene „Bergschluchten“ in Goethes Faust II: Die Regieanweisung nach Vers 11933 lautet „Engel, schwebend in der höheren Atmosphäre, Faustens Unsterbliches tragend“.

Eines der bekanntesten Beispiele aus der Kunstgeschichte des 19. Jhdts ist das Gemälde von → Bouguereau 1889.

Die Darstellung ähnlicher Szenen, oft in Form eines Engels, der den Toten als Kind begleitet, findet sich dann eben auch in der Grabsteinkunst auf Friedhöfen seit etwa Mitte des 19. Jhdts. Zahlreiche Fotografien hat Isolde Ohlbaum in ihren beiden Bänden „Denn alle Lust will Ewigkeit“
verewigt: ISBN 3931043452 Buch anschauen und ISBN 3931043835 Buch anschauen

Eine analoge, aber nicht identische Tradition hat die Vorstellung des sog. Todesengels, der den Tod ankündigt und der sich in der Volksmythologie nach und nach mit der Vorstellung des Teufels vermischt hat. Diese Vorstellung hat vermutlich in der Interpretation des Origenes von Exodus 4.24 seinen Ursprung. Der Koran hat dieses Bild in Sure 32.11 übernommen. Von dort ist es dann auch in die muslimische Mythologie eingegangen.

Gruß
Metapher

Hallo Eirini,

möglicherweise hat man sich an Lk.16 orientiert.
„19 Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.
20 Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren
21 und begehrte sich zu sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel; dazu kamen auch die Hunde und leckten seine Geschwüre.
22 Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben.“

Gruss Harald

Hallo!

Das Motiv eines oder mehrerer Engel, die die Seele des
Gestorbenen abholen und in den Himmel tragen, hat Wurzeln, die
bis in frühchristliche Apokryphen zurückreichen. Eine
biblische Grundlage hat es jedoch nicht, wohl aber
nichtchristliche, wie z.B. Der griechische Charon, die
germanischen Wallküren oder die römischen Genien.

Ich füge ein weiteres, vielleicht das wichtigste, Beispiel aus der Antike an: Hermes in seiner Funktion als Seelengeleiter (psychopompos). Diese Aufgabe wird im Frühen Christentum dem Erzengel Michael zugewiesen (vgl. die Visio Pauli), der dann noch in der Romanik mit der Seelenwaage als Attribut dargestellt wird. - Auch in den alten Requiemstexten ist die Rede von ihm in dieser Rolle: „et signifer sanctus Michael repraesentet eas (sc. animas defunctorum) in lucem sanctam.“

Zu „Heimgang, heimgehen“: Grimm führt als ältesten Beleg für „heimgehen“ im Sinn von „sterben“ eine Stelle von Goethe an. Möglicherweise hat sich da die Epoche der Empfindsamkeit, das Bibelwort von den „vielen Wohnungen im Hause meines Vaters“ aufnehmend, ausgewirkt.
Freundl. Gruß!
H.

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Ganz herzlichen Dank, das hilft schon mal weiter. Wann das Motiv auf die Friedhöfe geriet wissen ja vielleicht noch andere.

Hallo,

danke für den Zusatz. Unverzeihlich, daß ich die wichtigsten antiken Seelengeleiter unterschlagen hab. Nicht nur den Psychopomp

Hermes

sondern auch den ägyptischen Anubis, der die Ba-Seele in das Totengericht geleitet.

Diese Aufgabe wird im Frühen Christentum dem Erzengel Michael zugewiesen
(vgl. die Visio Pauli),

Die meinte ich u.a. mit den Apokryphen. Aber gerade diese Apokalypse des Paulus zeigt jedoch vielmehr eine Herkunft aus eben dem erwähnten Mythem aus den ägypt. Totenbuchtexten. Auch dort wird das Herz des Toten auf eine Waage gelegt. Da dürfte die Psychostase der christl. Ikonographie des „Letzten Gerichts“ ihren Ursprung haben. Der griech. Minos und Rhadamantys als Seelenwäger und -Richter könnte ebenfalls daher rühren.

Aus der Visio/Apokalypse Pauli ein Zitat: „Ich sah im vierten Himmel verschiedene Arten göttetgleicher Engel. Ich sah die Engel einen Menschen aus dem Land der Toten wegtragen. Sie setzten ihn an der Pforte zum vierten Himmel nieder, Dann peitschten ihn die Engel aus“ [Übers. nach Berger]

Gruß
Metapher

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Die Darstellung ähnlicher Szenen, oft in Form eines Engels,
der den Toten als Kind begleitet, findet sich dann eben auch
in der Grabsteinkunst auf Friedhöfen seit etwa Mitte des 19.
Jhdts. /Metapher/

Spannend finde ich, dass das Motiv der ‚Heimholung‘ auf dem von mir besuchten Friedhof immer die Dimension (männlich wirkender) Engel und junge Frau hat, also ‚gegendert‘ (geschlechtlich markiert) ist.
Engel haben ja angeblich kein Geschlecht, aber auf den Steinen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ist doch stets eine Interpretation als männlich-weiblich nahegelegt.

Engel haben ja angeblich kein Geschlecht, aber auf den Steinen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ist doch stets eine Interpretation als männlich-weiblich nahegelegt.

Das wird doch vielleicht auch vom Geschlecht des Toten abhängen? Gegendert sind, wenn ich mich nicht irre, Engelwesen seit dem Barock. Besonders dieser Puttenkitsch.

In der Grabsteinbildhauerei haben geflügelte Wesen auch nicht immer christlichen Hintergrund. Das griech. Motiv → Amor und Psyche steht wohl auch oft Pate.

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