Aufnahmetechnik: destruktive Dynamikbeeinflussung

Hallo Experten,

ich möchte gerne mal wissen, wie das in den Tonstudios gehandhabt wird. Werden Gesang, Bass, Gitarre u.s.w. dort noch vor dem Audio-Interface bzw. der Bandmaschine komprimiert oder wird da lediglich der Pegel so weit runtergefahren, dass an den Eingängen nichts clipt? Ist es also Ziel, die Dynamik möglichst unverändert zu lassen, um nachträglich mehr Spielraum für die Bearbeitung zu haben, oder wird die Dynamik tendenziell eher fest auf die Spur gebannt? Bei letzterem wäre für spätere Dynamikbearbeitungsschritte deutlich weniger Spielraum vorhanden, und wenn man nicht genau weiß, was man da macht, kann das u. U. hinterher nicht mehr zu retten sein. Ich persönlich würde deshalb vermuten, dass die Dynamik erst mal unangetsatet bleibt, oder?

LG Huttatta

P.S. @Mod: Bitte nicht in „Digitale Ton- & Audiobearbeitung“ verschieben, denn bei Benutzung analoger Geräte hat das damit überhaupt gar nichts zu tun. Mich interessiert nur die grundsätzliche Musikaufnahme-Praxis, was durchaus in dieses Brett passt und wofür ich kein besseres finden konnte. Danke!

hallo huttatta,
das mit der Komromierung muss man sehr differenziert sehen. Ich persönlich verfahre so, dass ich bestimmte Instrumente wie Einzelteile des Schlagzeugs bereits bei der Aufnahme recht stark über den Kompressor ziehe. Beim E-Bass ähnlich, nur weniger radikal. Bei den anderen Instrumenten bzw. Gesang habe ich nur den Limiter drin, aber ganz vorsichtig, da setze ich die Komprimierung erst beim Mastermix ein, insofern es von Bedeutung ist. Grundsätzlich gilt: pro Spur ein eigener Kompressor, ggf. die Zwischensumme etwa von den Drums nochmals leicht komprimieren.
Das alles darf man natürlich nicht verwechseln mit einer ordentlichen Einstellung der Pegelkette. Verantwortungslos wäre es m.E. , dem Kompressor zu überlassen, dass es keine Übersteuerungen gibt. Sprich: überall maximale Aussteuerung während der Aufnahme, ohne sich Clips einzufangen.
Und dann ist noch etwas anderes, vielleicht noch wichtigeres zu beachten. Der Einsatz von Kompressoren und Limitern hängt ganz stark davon ab, welche Stilrichtung ich habe und was der Produzent als Klangideal wünscht. Will er den Sound kompakt, aggressiv, nahe, dann eher mehr Kompression. Will er mehr Differenzierung, Natürlichkeit und Dynamikreichtum, dann wenig bis gar kein Kompressor.
Und letztlich: Bei sog. klassischer Musik ist für mich der Einsatz von Kompressoren so ziemlich tabu. Da richte ich meine Mikroeinstellung und das Mischpult so ein, dass das nicht notwendig ist. Typisches Beispiel Choraufnahmen: Da kann gelegentlich der Sopran mal schnell die rote Grenze erreichen. Also - ich lese ja die Partitur mit - fahre ich schon von vornherein die Regler so, dass ich rechtzeitig vor Übersteuerungen gesichert bin. So brauche ich eigentlich nie einen Kompressor.
Alles klar?
Gruß,
lynndinn

Hallo lynndinn,

vielen Dank für deine differenzierte Antwort.

Das alles darf man natürlich nicht verwechseln mit einer
ordentlichen Einstellung der Pegelkette. Verantwortungslos
wäre es m.E. , dem Kompressor zu überlassen, dass es keine
Übersteuerungen gibt.

Genau das war der Grund meiner Frage. Wir nehmen gerade was auf und ich möchte die Dynamik gerne möglichst komplett nachträglich bearbeiten, wo erforderlich. Allerdings gibt’s in der Probeaufnahme in einigen Spuren clippings. Deshalb vertrete ich die Ansicht, die Pegel aller Einzelspuren ohne Kompression gnadenlos so weit runterzufahren, dass bei maximalem Ausschlag/Anschlag am Eingang des Audio Interfaces nichts clipt. Ein Freund und Bandkollege schlug jedoch vor, die Instrumenten- und Gesangssignale (natürlich einzeln) bereits vor dem Interface zu komprimieren, was mir aus o.g. Grund ein Dorn im Auge wäre. Nur um Clippings zu beseitigen, halte ich das ebenfalls für die falsche Vorgehensweise.

Da ich bei Probemixen den Bass für das gewünschte Ergebnis recht stark komprimiert habe, kann hier eine leichte Kompression in der Originalspur sicher nicht schaden. Drums und Keys lasse ich wegen des gewünschten Dynamikumfangs gerne möglichst unkomprimiert, wobei ich die Drums jedoch auf zwei Busse route, von denen nur einer komprimiert und dem unkomprimierten Signal dosiert zugemixt wird. Die Kompression des Gesangs ist stark abhängig vom Musikmaterial. Da unser Repertoire sehr vielseitig ist (wir interpretieren Musik von Frank Zappa), ist der Gesang manchmal vergleichsweise laut und undynamisch mit gehörigem Mikro-Abstand (z.B. Carolins Hard Core Ecstasy von der Bongo Fury), manchmal auch sehr leise und ganz nah am Mikro (für den Nahbesprechungseffekt wie z.B. bei I’m the Slime von der Over-Nite Sensation). Deshalb muss die Kompression je nach Anforderung ganz unterschiedlich sein. Da wäre eine fixe Vorkompression in der Spur nur kontraproduktiv.

Würdest du das ggf. ähnlich sehen oder hast du weitere Anregungen?

Alles klar?

Ja, fast. :wink:

LG
Huttatta

Genau das war der Grund meiner Frage. Wir nehmen gerade was
auf und ich möchte die Dynamik gerne möglichst komplett
nachträglich bearbeiten, wo erforderlich. Allerdings gibt’s in
der Probeaufnahme in einigen Spuren clippings. Deshalb
vertrete ich die Ansicht, die Pegel aller Einzelspuren ohne
Kompression gnadenlos so weit runterzufahren, dass bei
maximalem Ausschlag/Anschlag am Eingang des Audio Interfaces
nichts clipt.

Hallo,

das ist aber auch nicht richtig. Wichtig ist,alle Spuren so um - 9 bis - 12 dbfs einzupegeln.Wenn Du,wie beschrieben vom maximalen Ausschlag ausgehst,hast du überhaupt keinen Raum mehr für die Bearbeitung/Mischung etc… (Headroom).Und auch in min. 24 bit aufnehmen,wegen dem größeren Dynamikumfang.

Ein Freund und Bandkollege schlug jedoch vor,
die Instrumenten- und Gesangssignale (natürlich einzeln)
bereits vor dem Interface zu komprimieren, was mir aus o.g.
Grund ein Dorn im Auge wäre. Nur um Clippings zu beseitigen,
halte ich das ebenfalls für die falsche Vorgehensweise.

Wenn man nicht genau weiß,(wie lynndinn bereits erklärt hat)was man vorhat,bzw. wenn man wenig Ahnung davon hat,dann ist es besser man nimmt ohne Kompression auf,dann hat man hinterher noch alle Möglichkeiten offen,und hat auch gegebenenfalls nichts verhauen.

Da ich bei Probemixen den Bass für das gewünschte Ergebnis
recht stark komprimiert habe, kann hier eine leichte
Kompression in der Originalspur sicher nicht schaden. Drums
und Keys lasse ich wegen des gewünschten Dynamikumfangs gerne
möglichst unkomprimiert, wobei ich die Drums jedoch auf zwei
Busse route, von denen nur einer komprimiert und dem
unkomprimierten Signal dosiert zugemixt wird.

Das nennt man Parallelkompression

Die Kompression
des Gesangs ist stark abhängig vom Musikmaterial. Da unser
Repertoire sehr vielseitig ist (wir interpretieren Musik von
Frank Zappa), ist der Gesang manchmal vergleichsweise laut und
undynamisch mit gehörigem Mikro-Abstand (z.B. Carolins Hard
Core Ecstasy von der Bongo Fury), manchmal auch sehr leise und
ganz nah am Mikro (für den Nahbesprechungseffekt wie z.B. bei
I’m the Slime von der Over-Nite Sensation). Deshalb muss die
Kompression je nach Anforderung ganz unterschiedlich sein. Da
wäre eine fixe Vorkompression in der Spur nur kontraproduktiv.

Wenn du bei der Aufnahme schon komprimierst,müsstest Du natürlich auf verschiedene Tracks (manchmal laut/leise,wie du oben erklärst) extra eingehen.Da gibts keine Durchschnittseinstellung.

Würdest du das ggf. ähnlich sehen oder hast du weitere
Anregungen?

siehe oben

Gruß,Jak

1 Like

Hallo Jak,

danke. Damit bestätigst du ja ungefähr meine Ansicht. Das mit dem ausreichenden Headroom ist jedenfalls nochmal ein sehr wichtiger Hinweis, dem ich bis jetzt zu wenig Beachtung geschenkt habe.

LG
Huttatta

Hallo huttatta,
noch ein kleiner Hinweis: Viel wird bereits bei der Wahl der Mikros, bei der Positionierung und bei der Einstellung (falls vorhanden) der Richtcharakteristik falsch gemacht, auch besonders bei der Einstellung des Vorverstärkers. Schon da kommen schnell Clips zustande, die später nicht mehr zu entfernen sind. Und wie mein Vorredner schon gesagt hat: die ganze Pegelkette so einstellen, dass man bei etwa -12 dB „normal“ aussteuert, und dann immer die Finger am Regler und vorsichtig und weitsichtig nachsteuern. Nehmt ihr denn alle Instrumente gleichzeitig auf oder macht ihr Overdubs?
Gruß,
lynndinn

Hallo lynndynn,

Und wie mein Vorredner schon gesagt hat: die
ganze Pegelkette so einstellen, dass man bei etwa -12 dB
„normal“ aussteuert, und dann immer die Finger am Regler und
vorsichtig und weitsichtig nachsteuern.

schon passiert.

Nehmt ihr denn alle
Instrumente gleichzeitig auf oder macht ihr Overdubs?

Wir nehmen alle Instrumente zusammen so oft auf, bis ein guter Drum-Take dabei ist. Dieser ‚beste‘ Take dient als Pilot zum bedarfsweisen Dubben der übrigen Instrumente. Gesang wird in jedem Fall separat aufgenommen. Optimaler Weise hätten wir also einen richtig guten Take, auf den nochmal Gesang gedubbt wird. Das ist aber eher ziemlich unwahrscheinlich. :wink:

LG
Huttatta

Hallo Huttatta,
dann seid ihr ja wohl nicht in Zeitdruck wegen teurer Studiokosten, dann merkst du ja, bei welchen Tracks übersteuerungskritische Dinge passieren. Allenfalls hier - zumal wenn der Musiker nicht immer das Gleiche dynamikmäßig abliefert - könnte der Einsatz von Limitern sinnvoll sein. Aber Kompressoren (und natürlich nicht wieder entfernbare Hall/Echo/usw.-Einfärbungen) würde ich auf jeden während der Aufnahme vermeiden und das alles in die Mixphase legen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, macht ihr etwas in der Art von Frank Zappa und wollt es auch bewusst differenziert klingen lassen, da wären Begrenzer, Harmonizer u.ä. ohnehin hinfällig. Allenfalls einen De-Esser für den Gesang.
Viel Erfolg für eure Aufnahmen.
Gruß,
lynndinn

Hallo lynndinn,

dann seid ihr ja wohl nicht in Zeitdruck

nein, überhaupt nicht. Wir haben eigentlich den ganzen Winter lang Zeit. Die Aufnahmen sollen bloß frühzeitig vor Beginn der nächsten Festivalsaison fertig werden.

Viel Erfolg für eure Aufnahmen.

Danke! Wenn alles im Kasten und das mit der GEMA geregelt ist, hinterlasse ich mal einen Link.

LG
Huttatta