Aufstehen, wenn die Nationalhymne gespielt wird?

Liebe Experten und Expertinnen,

im w-w-w-Archiv habe ich vieles gefunden über Text und Geschichte der deutschen Nationalhymne. Leider nicht das, was ich wissen möchte:

  • Warum stehen wir Deutsche heute mehrheitlich nicht auf, wenn z.B. in einem Stadion die deutsche Nationalhymne gespielt wird?

  • Was sagt die offizielle Etikette dazu?

  • Muss/sollte man mitsingen?

Ergänzungsfragen:

  • war das zu Zeiten der „alten“ DTM tatsächlich anders? (wie mein Freund behauptet…)
  • Wie wird das mit dem Aufstehen in den an DE angrenzenden Staaten gehandhabt?

Danke + Gruß
von Anne

Servus Anne,

bloß zu diesem Teil:

  • Warum stehen wir Deutsche heute mehrheitlich nicht
    auf, wenn z.B. in einem Stadion die deutsche Nationalhymne
    gespielt wird?

die Frage: Wo wird das anders gehandhabt? Innerhalb Europas kann ich mir kein Land vorstellen, in dem das so wäre. Hm, Italien vielleicht, wo es sowieso eine recht eindrucksvolle „Alltagsdramaturgie“ gibt.

Speziel zur deutschen Nationalhymne: Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung gibt es wenig Anlässe, Deutschland subjektiv als etwas anderes als ein Abstraktum zu erleben, mit dem naturgemäß keine enge gefühlsmäßige Bindung da ist. Eigentlich sind wir ja in einer Ansammlung von 36 Zaunkönigreichen (keine Gewähr für die Zahlen) verharrt, Anlässe zur Herausbildung eines richtigen Nationalchauvinismus (egal wie dumm oder gescheit er ist) hats kaum gegeben, den Zahn mit Sedan hat man uns zum Glück schnell gezogen, das tausendjährige Reich ist auch ziemlich daneben gegangen und in den fünfundvierzig Jahren nach dem WK II, die für das heutige Leben wohl immer noch prägend sind, war von den zwei deutschen Staaten einer lächerlich (was hat Bonn mit einer Hauptstadt zu tun?) und einer ungeliebt (was für ein Vaterland sollte die NVA schützen?).

Wenn Du dem Volk aufs Maul schaust: Du wirst so gut wie nicht hören, daß etwas „deutsch“ oder gar „undeutsch“ ist. Vergleich mal mit Frankreich, England, Spanien, Italien: Dort weiß man zwar auch nicht genau, was z.B. „hispanidad“ sein soll - kann man ja auch nicht wissen, weils eine Illusion ist -, aber der Glaube daran ist durch langjährige Gewöhnung gewachsen, zu der wir keinen Anlass hatten.

Schöne Grüße

MM

Servus nochmal,

hab grad Deine ViKa studiert und gesehen, daß da „Württemberg“ und nicht „Baden-Württemberg“ steht. Das illustriert die Chose ganz gut, denke ich. Experimentell kannst Du ja ausprobieren, wie Du Dich fühlst, wenn Du eine der beiden Württemberger Hymnen „Preisend mit viel schönen Reden“ respektive „Im schönsten Wiesengrunde“ gesungen hörst, und wie es Dir bei „Einigkeit und Recht und Freiheit“ geht: Voilà der Unterschied.

Schöne Grüße

MM

Liebe Anne

Unser, mit Verlaub, recht angeschlagenes Nationalgefühl erlaubt es uns wahrscheinlich nicht aus vollem Halse die Hymne, stehend, mitzusingen.
„Muß man ausfstehen?“ -Wenn man möchte, warum nicht?
„Muß man mitsingen?“ -Wenn man kann und will, warum nicht?
Ich schätze, dass bspw. die Franzosen sowohl das Eine, als auch das Andere tun. Bis wir unseren Nationalstolz derart demonstrieren, wird wohl noch etwas Zeit ins (Deutsch-)Land gehen…

Viele Grüße Claudia

Servus,

hierzu

Ich schätze, dass bspw. die Franzosen sowohl das Eine, als
auch das Andere tun.

allerdings die Einschränkung: In der Tendenz mag das richtig sein, aber generalisieren darf man auch dieses nicht.

z.B. mal anhören von Maxime le Forestier „Je m’en fous de la France“ - der kriegte sogar eine Aussage, die in Deutschland dumpfblöd dahergerumpelt kommt „Nie wieder Deutschland“ in ein kleines, charmantes Chanson rein - französisch halt…

Oder auch die auf ihre Art ganz witzige Verteidigung eines französischen Rap-Helden, der wegen sowas wie Beleidigung des Innenministers durch einen seiner Texte vor Gericht stand, und zu seiner Entlastung vorbrachte, er sei von früher Jugend an ständig mit einem Liedtext traktiert worden, der in blutrünstiger Weise Gewalt verherrlicht - gemeint ist die Marseillaise.

Abgesehen von zivilreligiösen Ritualen, die ein wenig dinohaft wirken und vielleicht eher was über die durchschnittliche Intelligenz eines Mittelstürmers aussagen können als über Nationalgefühl (was immer das auch sein mag - naturgegeben ists jedenfalls nicht) hast Du aber wohl recht: Selbst der wütendste dauerpubertierende Anarchisterich wird oft genug das Argument „C’est pas francais“ als ein definitives, schlagendes akzeptieren.

Aber nochmal zur deutschen Hymne: Ich frage mich grade, wie viele Deutschen zu der arg missbrauchten und daher nicht mehr so oft gehörten ersten Strophe eine im Sinn des Autors zutreffende Interpretation geben könnten? Und wer von der neuen deutschen Generation Piranha sich mit den in der jetzt zur ersten ernannten angesprochenen republikanischen Idealen (jaja, auch Solidarität ist dabei) auch nur ein wenig identifizieren wollte?

Wir ham mit unsrer Hymne einfach nicht so viel zu tun, und ich wage drauf zu beharren: Wir haben keinen Anlass dazu, und da wird auch kein wie auch immer geartetes Gefühl wachsen können. Dafür ist im Jahrhundert der Nationen 1800-1900 zu viel irreparabel verpasst worden. Ich stelle mir grade eine Szene vor, wie ein Wasweißichmanager der Generation, die für die künftige Entwicklung irgendwelcher nationalen Identitätsgefühle zuständig ist, mit etwas von Theodor Heuss oder von Ludwig Erhard oder meinetwegen auch Thomas Mann konfrontiert wird, darauf das Gesicht verzieht, als habe er Blinddarmprobleme, und jault „Auuuh, das hat Längng-en! Das kauft uns keiner ab so! Könn’ wer den Plot nicht nochmal bisschen prägnan-ter haben?“

Kurzer Sinn:

Zum einfach Wegwerfen ist die Fahne zu schade, aber das alte Ding, das nicht bloß 1848/49, 1918/19 und in gewissem Sinn auch 1948/49 immer bloß über den Feldern verlorener Schlachten (ich meine nicht die Kriege!) wehte, jetzt hochpäppeln wollen wirkt ziemlich kitschig, finde ich.

Da passt der Text vom Rütlischwur eigentlich besser, aber den haben schon die Nachbarsleute gepachtet.

Schöne Grüße

MM

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Liebe Experten und Expertinnen,

im w-w-w-Archiv habe ich vieles gefunden über Text und
Geschichte der deutschen Nationalhymne. Leider nicht das, was
ich wissen möchte:

  • Warum stehen wir Deutsche heute mehrheitlich nicht
    auf, wenn z.B. in einem Stadion die deutsche Nationalhymne
    gespielt wird?

  • Was sagt die offizielle Etikette dazu?

  • Muss/sollte man mitsingen?

die meisten kennen nicht den Text

Ergänzungsfragen:

  • war das zu Zeiten der „alten“ DTM tatsächlich anders? (wie
    mein Freund behauptet…)
  • Wie wird das mit dem Aufstehen in den an DE angrenzenden
    Staaten gehandhabt?

siehe auch Google Nationalhymne aufstehen

Danke + Gruß
von Anne

Hallo,
Nachtrag und Meinungen,
http://www.abacho-ag.de/clip/1118749810_20050603Bild…
Gruß

HWH