Auktorialer Erzähler?

Hallo Schreiberlinge und Literaturkenner,

ich „streite“ gerade mit meinem Gegenüber über einen Text, der sich für mich vor allem dadurch auszeichnet, dass die Erzählperspektive ständig zwischen verschiedenen Personen hin- und herhüpft - und zwar mitunter innerhalb eines Satzes. Dabei liest sich der jeweilige Abschnitt/Halbsatz allerdings wie in der klassischen personalen Erzählperspektive, was dazu führt, dass der Leser quasi ständig vom Inneren eines Kopfes zum anderen springt. *

Mich irritiert das hochgradig, mein Gegenüber meint allerdings, dass dies so sein müsse, weil es sich schließlich um einen auktorialen Erzähler handle.

Was meint ihr?

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*Beispiel: A schenkt unsicher ein Glas Wein ein und denkt ängstlich über das nach, was B ihm über das Schicksal seiner Eltern erzählt hat, reicht das Glas B und B denkt, dass A sehr jung und verletzlich aussieht.

Hallo,

nach meinem Verständnis ist die Tatsache, dass der Erzähler die Gedanken verschiedener Personen kennt („Innensicht“), ein Merkmal für auktoriales Erzählen; siehe auch http://www.li-go.de/prosa/prosa/nullfokalisierung.html.

Gruß
Kreszenz

Hallo Katze,

wenn es so sauber getrennt ist, wie in deinem Beispiel, kann man (leider) nichts dagegen sagen. Ich mag die auktorielle Erzählweise auch nicht so sehr, weil es mir dabei schwer fällt, mich mit einer Figur zu identifizieren. Aber es ist inzwischen legitim.

Ich habe aber
auch schon „verunglückte“ auktorielle Erzählweise erlebt, dass sich die Fußnägel aufstellen. Zum Beispiel: „Als sie aus der Tür trat, sah sie nur seinen Rücken. Mit kugelrunden Augen blickte er ins Feuer.“ ARRGGHHHH!

Schönste Grüße
Ann da Cáva

Nun gut, dann werde ich die garstige Kröte wohl schlucken, auch wenn mir von der Hin- und Herspringerei schon fast schwindlig ist. Wenn es wenigstens nicht innerhalb eines Satzes wäre… * seufz *

Beste Grüße

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Abstand wahren, Katze! Abstand!
Wenn ich auktorielle Texte lese, komme ich mir immer vor, als schaue ich von oben in einen Schuhkarton, in dem niedliche kleine Protagonisten hin und her rennen. Ich möchte aber bei literarischen Texten gern mittendrin sein.

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Um zu beurteilen, ob eine auktoriale oder personale Erzählsituation vorliegt, müsstest du längere und wörtliche Textbeispiele präsentieren.

„Auktorial“ bedeutet, dass der Erzähler „allwissend“ ist und diese außenstehende oder über allem schwebende Position eine Identifikation mit den Figuren erschwert. Hinzu kommt seine Tendenz, Geschehnisse oder Attitüden zu bewerten.

Der „personale“ Erzähler verzichtet auf eine bewertende Position und schildert die Abläufe aus der Sicht der Figuren, wobei er entweder das Innenleben nur des Prota oder, meistens, das Innenleben aller wichtigen Personen beschreibt. Informationen erhält der Leser nur aus Dialogen oder aus inneren Reflexionen der Figuren.

Der Fachbegriff für Informationen zum Story- und Figurenhintergrund ist „Exposition“. Der auktoriale Erzähler exponiert ganz unabhängig von den Figuren Details, die diese Figuren entweder nicht wissen oder über die sie in der jeweiligen Situation nicht nachdenken oder sprechen. Der personale Erzähler verbindet die Exposition mit dem Denken oder Sprechen der Figuren oder der Situation, in der sie sich jeweils befinden. Dass Joanna z.B. drei Töchter hat, erfährt der Leser allein aus ihren Gedanken (bzw. aus Reflexionen, die der Leser im Innenleben der Figur verortet) oder aus einem Dialog oder in einer Situationsbeschreibung, aus der das verwandtschaftliche Verhältnis unmittelbar hervorgeht.

Viele Autoren neigen dazu, beide Perspektiven zu vermischen, wobei die personale Perspektive meistens überwiegt, da sie die Identifkation des Lesers mit den Figuren begünstigt.

Die personale Perspektive ist quasi ein Kompromiss zwischen auktorialer und Ich-Perspektive. Letztere hat den Vorteil, den Leser ganz in eine Figur hineinzuversetzen, erschwert aber die Darstellung komplexer Handlungsabläufe. Auch gewisse Spannungsmomente (z.B. die berühmte Bombe unter dem Tisch) fallen in der Ich-Erzählhaltung weg: Das Ich weiß nicht, dass es an einem Tisch sitzt, unter dem eine Bombe tickt. Auktoriale und personale Erzähller konnen davon problemlos Gebrauch machen.

Chan