Ausonius oder die Frage "Kann einem richtig kotzübel werden, wenn man mehr als einen Zeitungsartikel zum selben Thema liest?"

Artikel 1:
Zwar gibt es keinen einzigen handfesten Beweis, dass der in seiner Heimat als „Lasermann“ bekannt gewordene Ausonius die Garderobenfrau Bianka Zmigrod auf dem Heimweg unweit der Frankfurter Oper in den Kopf geschossen hat. Aber die Richter schlossen sich weitgehend den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft an. Das Gericht habe „nicht die geringsten Zweifel“ an der Täterschaft, sagte die Vorsitzende Bärbel Stock in der Urteilsbegründung am Mittwoch. Die deutschen Fahnder hatten über lange Jahre hinweg Indizien gesammelt und zu einer, wie die Ermittler selbst meinen, überzeugenden Indizienkette zusammengefügt.

Artikel 2:
Seit 1996 lägen die Indizien, die Grundlage des Prozesses, unverändert auf dem Tisch. Weil sie offenbar nicht ausgereicht hätten, habe die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zunächst eingestellt. Erst als der Linken-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi 2014 die Bundesregierung nach den Ermittlungen im Fall Zmigrod gefragt und mögliche Parallelen zu der NSU-Mordserie thematisiert habe, sei der Fall erneut aufgegriffen worden, „auf Druck aus Berlin“.

2-in-1 gelesen:
Zwar gibt es keinen einzigen handfesten Beweis, dass der in seiner Heimat als „Lasermann“ bekannt gewordene Ausonius die Garderobenfrau Bianka Zmigrod auf dem Heimweg unweit der Frankfurter Oper in den Kopf geschossen hat. Aber die Richter schlossen sich weitgehend den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft an, die seit 1996 unverändert auf dem Tisch lagen und von der Staatsanwaltschaft als so unzureichend angesehen wurde, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. Das Gericht habe „nicht die geringsten Zweifel“ an der Täterschaft, sagte die Vorsitzende Bärbel Stock in der Urteilsbegründung am Mittwoch. Die deutschen Fahnder hatten über lange Jahre hinweg Indizien gesammelt und zu einer, wie die Ermittler selbst meinen, überzeugenden Indizienkette zusammengefügt, die 20 Jahre in der Ablage geblieben ist, bis politischer Druck gemacht wurde.
(Normaldruck=SZ, Fettdruck=taz)

Weiterlesen hilft nicht gegen Übelkeit.
Artikel 3:
Der einzige Zeuge, ein heute 83-Jähriger, sah damals [vor einem Vierteljahrhundert weder das Gesicht des Schützen noch die entscheidenden Sekunden – geparkte Autos versperrten ihm den Blick … Es gibt keine DNA- Spuren und keine Fingerabdrücke. Die Erinnerungen der Zeugen [die auch nur den Streit und nicht die Tat bezeugen sollen] sind lückenhaft. Viele Ermittler können sich die Geschehnisse nur mit Spickzetteln ins Gedächtnis rufen oder gehen mit der Richterin alte Akten durch. Die ehemalige Chefin des Opfers ist krank, vor Gericht werden ihre früheren Aussagen verlesen. Die wichtigsten Beweisstücke sind Tatwaffe und Munition – vom gleichen Typ wie jene, die Ausonius für seine Mordanschläge in Schweden benutzte. Ein weiteres Indiz ist, dass er für seine Überfälle auf Räder zurückgriff, wie auch der Täter in Frankfurt.

Gott schütze diese Welt vor RichterInnen ohne die „geringsten Zweifel“ in solchen Angelegenheiten und vor Gerichtsverfahren, die durch „politischen Druck“ motiviert sind.
(Gott schütze die Welt natürlich auch vor Menschen wie Ausonius, aber das ist nicht das Threadthema und sollte eh keiner Diskussion bedürfen.)

Gruß
F.

Hi,

Artikel zwei gibt in indirekter Rede die Ansichten des Verteidigers wieder. Von daher darf auch am Wahrheitsgehalt (bspw. pol. Druck) gezweifelt werden. Der Artikel stammt aus der Zeit des Prozessbeginns in 12/17.

Artikel eins hingegen gibt das Endergebnis wieder und stammt von 02/18.

Vielleicht sollte auf die Urteilsbegründung gewartet werden. Ausserdem hat der Verteidiger bereits Revision angekündigt. Von daher ist der Ausgang noch offen.

Gruß
vdmaster

Ja.
Das ist mir sogar beim nur einmaligen Lesen nur des Anfangs dieses Artikels passiert.

Daran muss nicht übermäßig gezweifelt werden, weil eine Serie von Kleinen Anfragen im BT, die diesen Mord mit dem Thema NSU verknüpft haben, völlig ausreichend ist, um (schon darin) einen „politischen Druck“ zu sehen.
Dass die Rolle des Staates bei der NSU ohnehin, gelinde gesagt, ziemlich obskur ist, kommt als Sahnehäubchen oben drauf.

Über den „politischen Druck“ will ich aber gar nicht groß spekulieren, weil eh keiner hier was weiß bzw. wissen kann.
Mir gings v.a. um die absurd große Kluft zwischen der -lt. Berichterstattung- offensichtlich lächerlichen Faktenlage und der richterlichen Aussage von wegen „nicht die geringsten Zweifel“.

Für mein Empfinden hätten sie auch gleich seine Muttermale zählen und mit 666 multiplizieren können, dann wären die richterlichen Zweifel wahrscheinlich auch weg gewesen.

Gruß
F.

Wie meinen?

Jedes Urteil, dass sich auf Indizien stützt, trägt den Makel der Unbewiesenheit. Die Floskel „nicht den geringsten Zweifel“ bedeutet nur, dass das Gericht keine Zweifel hat, um nicht wg. „in dubio pro reo“ freisprechen zu müssen. Insoweit ist alles noch im Normbereich.

Die Berichterstattung, die ja nur (parteiische) Schlaglichter auf den Vorgang wirft, würde ich nicht allzu ernst nehmen. Mehr wird die Urteilsbegründung hergeben und bei tieferer Recherche die Protokolle.

Da der Vorgang aber in Revision gehen wird, gibt es auch ein Urteil über das Urteil. Von daher hole ich mir mal eine Tasse Tee.

Gruß
vdmaster

Mich interessiert bei dieser politisierten, öffentlichkeitswirksamen Angelegenheit aber deutlich weniger das Urteil selbst als gerade die Berichterstattung darüber (darum „Nachrichten“ und nicht „Recht allgemein“). Da stelle ich fest, dass sich nach dem Urteil quasi alle großen Zeitungen dem „nicht den geringsten Zweifel“ der Richterin angeschlossen haben, während sie den Prozess selbst mit ziemlichen Zweifeln begleitet haben (deshalb der Rückgriff auf alte Artikel).

Gruß
F.

Wenn man aufgrund einer Pressemeldung (afp u.a.) es als Zitat bringt, dann schliesst man sich dem nicht unbedingt an.

Ich bleibe beim Tee und evtl. hört man ja nochmal was von der nächsthöheren Instanz.

Geht es Dir um prinzipielle Kritik an der Möglichkeit von Indizienprozessen? Oder hättest Du mehr investigativen/kritischen Journalismus erwartet? Fraglich, ob man den von Standardzeitungen erwarten kann. Gerade wenn es Zeit für Brot und Spiele mit fünf Ringen ist. Da fällt soviel hinten runter, über was mehr berichtet werden sollte.

Gruß
vdmaster

Mir gehts eigentlich um gar nichts Konkretes.
Fragen, die ich mir selbst klar stellen kann, recherchiere ich selbst.
So diffuse Gefühle der Übelkeit, wie ich sie hier empfinde, die aber keine klaren Fragestellungen bieten können, stelle ich hier rein in der Hoffnung um Denkanregungen.
Ich glaube halt schlicht, der Angeklagte hat mit seiner Anfangsbefürchtung vollkommen recht gehabt, „geopfert zu werden“.

Um einen „normalen“ Indizienprozess gings übrigens m.E. auch nicht: politische Verstrickung, hohes öffentliches Interesse, ein Vierteljahrhundert Abstand, die NSU-Aufarbeitung im Hintergrund.

Gruß
F.

Was ja unterstellen würde, dass er unschuldig ist. Oder zumindest, dass seine Schuld (politisch/gesellschaftlich) bereits erwiesen war. Das mag durchaus so im Kopf einiger Linksverdrehter (oder heisst es doch-vertreter?) gewesen sein. Was - am Rande erwähnt - ebenso im Kopf einiger Rechtsverdrehter "Wissens"stand wäre, falls der „mutmaßliche“ Täter ein bereits wg. Mordes verurteilter Islamist wäre.

Leider wissen wir nicht mehr (Protokolle) als die wenigen Infos aus der Tagespresse.

Und es war nicht der erste Prozess, der aufgeladen war.

Rechtsstaat ist eben auch nur ein hehres Ziel, dass von der Fehlerhaftigkeit seiner Teile betroffen sein kann.

Gruß
vdmaster