Ich beantworte jetzt einfach mal die Frage, welches Problem die Leute mit dem Tourismus haben, damit das Ganze mit ein bisschen Gehalt weitergeht.
„Die Leute“ demonstrieren inhaltlich nicht gegen den Massentourismus als solchen. Solche Demonstrationen würden auch gar keinen Sinn machen und das aus zwei Gründen:
- Den Massentourismus auf den Kanaren, Balearen und auf dem Festland gibt es schon seit Jahrzehnten.
- Insbesondere auf den Kanaren und auf den Balearen sind die Menschen von diesem Tourismus abhängig.
Die Probleme, die nun die Demonstrationen ausgelöst haben, waren schon seit vielen Jahren absehbar, auch wenn u.a. Mallorca schon lange versucht, den Tourismus qualitativ und quantitativ zu regulieren.
Weil es uns ein bisschen näher liegt und das Problem dort schon viel länger und in größerem Ausmaß besteht, machen wir mal einen Schlenker auf die deutschen Nordseeinseln, wo immer mehr Wohnraum durch Touristen belegt wird, die in eigens dafür gebauten Ferienwohnungen übernachten oder eben in Wohnraum, der entweder vormals als Dauerwohnraum genutzt wurde oder von Zweitwohnungsbesitzern zwischen deren Aufenthalten vermietet wird.
Ein zweiter Aspekt ist, dass sich die Saison sowohl auf den ostfriesischen Inseln als auch insbesondere auf den Balearen deutlich verlängert hat.
Dies zusammengenommen führt zu einer banalen Rechnung: wenn ich eine Wohnung mit 70 Quadratmetern in sieben Monaten mit einer Auslastung von 2/3 für 150 Euro am Tag vermieten kann, kommen dabei Mieteinnahmen von rd. 21.000 Euro zusammen.
Wenn man die Wohnung „normal“ an Ortsansässige vermieten und dabei die gleiche Miete erzielen will, müsste man eine Miete von gut 25 Euro je Quadratmeter nehmen. Das hat die Konsequenz, dass die Mieten für die Inselbewohner praktisch unerschwinglich geworden sind (weil a) eine Vielzahl der Jobs im Tourismus nicht besonders gut bezahlt werden und man b) ein halbes Jahr auch mal gar nicht beschäftigt wird) und letztlich gilt das für die Kaufpreise für Immobilien ganz genauso.
Auf den Nordseeinseln hat die Entwicklung schon vor 20 Jahren oder so ein kaum hinnehmbares Niveau erreicht, auf den Balearen und Kanaren scheint nun der Punkt erreicht, an dem die Leute nicht mehr bereit sind, diese Entwicklung hinzunehmen. Natürlich geht es bei den Demonstrationen nicht nur um diese eine Sache, aber das ist ein wesentlicher Punkt.
Das Problem, das Du durchaus zutreffend beschrieben hast, liegt nicht zuletzt darin, dass der Wohlstand auf den Inseln sehr vom Tourismus abhängt und man natürlich bei weniger Touristen weniger Mitarbeiter braucht und zwar nicht nur in den Hotels, sondern auch in der Landwirtschaft, in der Industrie und in den Dienstleistungsbetrieben von den Autovermietungen über die Wäschereien, Reinigungsfirmen, Immobilienverwalter bis hin zu Verkehrsbetrieben, Restaurants und Supermärkten.
Welche Folgen ein Ausbleiben oder Rückgang des Tourismus haben kann, konnte man in der Corona-Hochphase gut sehen. Damals kam eine regelrechte Spirale in Gang: die Hotels und Wohnungen waren leer, die Landwirte saßen auf ihren Produkten, weil die Hotels, Restaurants und Eisdielen weniger Lebensmittel bezogen, die Gastronomiebetriebe, Friseursalons und Freizeitparks waren leer und das nicht nur, weil die Touristen ausblieben, sondern auch, weil sich die Einheimischen den Besuch nicht mehr leisten konnten/wollten usw. Letztlich lag die Wirtschaft dort nach wenigen Wochen praktisch am Boden. Wenn ich mich recht entsinne, sorgt der Tourismus auf Mallorca für rd. 2/3 der Arbeitsplätze.
Und es gibt noch eine weitere Entwicklung, die die Laune der Bevölkerung verschlechtert hat, nämlich dass der Tourismus tendenziell immer anlagenbezogener wird, d.h. die Touristen buchen All inclusive und gehen deswegen nicht mehr in den umliegenden Gaststätten essen. Wenn sie aber mehr Zeit in der Anlage verbringen, geben sie auch weniger für Postkarten, Eis oder Tourinepp-Plunder aus. Das Ergebnis ist zwar ein höherwertiger Tourismus, den sich die lokalen Regierungen schon seit vielen Jahrzehnten herbeisehnen, der aber weniger Geld in der Kasse hinterlässt.
Letztlich steckt man in einem selbstverschuldeten Dilemma, weil man den Punkt verpasste, an dem man hätte massiv bremsen müssen. Stattdessen versuchten alle, einen immer größer werdenden Teil vom scheinbar unendlich wachsenden Kuchen abzubekommen.