Eros und Thanatos
Hi E.T.
Das sind drei Typen, wie sie bestimmt häufig anzutreffen sind…
Kommt bei A einfach so die normale biologische Gegebenheit
direkt zum Ausdruck? Ist er der „Gesunde“? Derjenige, bei dem
es nichts zu erklären gäbe?
Um das zu beantworten, ist die Beschreibung von A zu vage. Auf jeden Fall bin ich dafür, dass man eine Unterscheidung zwischen „gesunder“ und „ungesunder“ Sexualität treffen sollte. Wie, darüber lässt sich natürlich kontrovers diskutieren. Im Buddhismus z.B. gibt es das Kriterium des „Mittleren Wegs“, des rechten Maßes, welches du allzu aristotelisch nennst. Der Mittlere Weg bedeutet grundsätzlich, dass Extreme zu vermeiden sind, da sie zu einer falschen Sicht der Dinge führen (hier sind die Extreme: Verfallenheit an das Sexuelle vs. Verteufelung des Sexuellen).
Ist bei B aus kulturellen Gründen (sagen wir, er ist ein
Viktorianer) ein Teil seiner Reizbarkeit sekundär gehemmt, ein
anderer ins Übernormale gesteigert?
Wenn man eine „Verteufelung“ oraler Praktiken als kulturell bezeichnen will (als moralische Vorgabe einer bestimmten Kulturform), dann natürlich ja.
Ist bei C ein rein lebensgeschichtlicher Einfluss zu erkennen
(sagen wir der Einfachkeit halber, es wären frühkindliche
Gewalterlebnisse), der den biologischen Anlagen überstülpt
wäre? Usw.
In der Tat, ist es. Solche Kontexte sind nachgewiesen.
… so dass man die Erogenität von Körperzonen
stets nur in Relation zur Lebensgeschichte und zur ihn
umgebenden Kultur eines Menschen konzipieren kann - ohne dass
damit der biologische Anteil daran geleugnet wäre. Dieser ist
jedoch für die Erkenntnis eben so irrelevant geworden, wie die
Gebürtigkeit irrelevant für das menschliche Sein ist, nämlich
ins Äußerste relevant, und gerade deshalb irrelevant.
Die Analogisierung Geburt/Sein und Eros-Zonen/Sexualität geht zu weit. Sie wirkt mehr rhetorisch als erhellend. Genau könntest du sagen, die neurophysiologische Organisation des Gehirns sei komplett irrelevant für das, was Menschen denken und fühlen. Das kann man bejahen oder verneinen, beides zu Recht, was der These jedes Potential nimmt. Deine Thesen hätten mehr Schlagkraft, wenn du Kulturen nennen könntest, bei denen das Sexuelle nicht die zentrale Rolle hätte, die es in allen bekannten Kulturen hat, deren Sexualpraktiken zudem wesentlich übereinstimmen. Diese „Universalität“ ist ein Zeichen dafür sein, dass Kultur das Sexuelle als solches nicht produziert, sondern nur ausformt.
(Zitat): „Nach Reichs Auffassung brächte eine Befreiung der Sexualität eine friedliche Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen mit sich“
Dagegen spricht eigentlich nicht viel.
Doch, dagegen spricht zum Beispiel Freud und mit ihm viele
andere Autoren der Psychoanalyse, die beispielsweise den
Todestrieb ernster nehmen als Reich.
Würdest du Ken Wilbers Werk kennen, dann wäre dir dessen These vertraut, dass der sog. Todestrieb ein unbewusstes Streben des menschlichen Geist nach Ent-Individualisierung und Einheit mit dem „Weltgeist“ (Brahman usw.) ist. Das sah, ohne den Begriff des Todestriebs, bereits Schopenhauer so. Wie ich schon früher schrieb, ist einer der Aspekte dieses Brahman die „Wonne“ (ananda), die auch das Wesen des Erotischen ist.
Der Freud´sche Todestrieb ist mit dem Erotischen also quasi verbrüdert (Thanatos und Eros), bzw. beides sind zwei Seiten einer Medaille. Eros verbindet, Thanatos trennt. Aber auch umgekehrt: Eros trennt (vom Brahman), Thanatos verbindet (mit dem Brahman).
Ohne Dialektik bleibt die Analyse also unvollständig.
Was Reich dachte, war nicht falsch, sondern unvollständig. Das ist ein Unterschied. Es gibt keine kompletten Theorien (außer vielleicht die darauf angelegte Metatheorie von Wilber). Jede Einzeltheorie hat ihren spezifischen Wert und kann in eine Metatheorie integriert werden.
Mir ging es aber um die problematische Voraussetzung, dass der
Sex aus sich heraus „gut“ sei.
Dass der Sex von außen „schlecht“ oder „böse“ gemacht
werden kann, darüber besteht kein Dissens zwischen uns.
Hat Reich wirklich gesagt, Sexualität sei „von sich aus gut“? Sagte er nicht einfach, dass es „nicht gut“ ist, wenn Sexualität unterdrückt wird? Das ist etwas Anderes.
Gruß
Horst