Gruesz Dich!
Ich bin nun schon ein paar Jahre im Hochschulbetrieb unterwegs.
Ich wuerde tatsaechlich zustimmen, dasz alle Abschluszarbeiten schlechter als 2,0 „Gepfusche“ sind. Und 2,0 kann ebenso grenzwertig sein, da 2,0 die Frage aufwirft, ob der Betreuer haette mehr tun koennen. 2,3 und schlechter ist definitiv ein kapitaler Bock des Betreuers.
So wuerde ich meinen.
Aber: Ich bin unfreiwillig vor wenigen Wochen in eine zugegebenermaszen seltene Zwickmuehle geraten.
Ich hatte einen Diplomanden - keineswegs faul, jedoch … nennen wir es bequem. Sehr, sehr schlau, und wenn er einmal loslegte eine Augenweide die aeuszere Form, wunderbare mathematische Herleitungen, exzellentes Deutsch und didaktisch sehr gut.
Dummerweise eben nicht „fleiszig“ im dem Sinne, wie es unser deutsches Bildungssystem den Studenten oktroyiert. Er war kein Auswendiglerner. Er muszte nicht kaempfen, um sich Aspekte, Sachverhalte und Loesungen fuer Probleme zu erschlieszen, weder im Studium noch in der Diplomarbeit. Er muszte kein fehlendes Talent durch stumpfe Paukerei kompensieren.
Dem Professor gefiel das ueberhaupt nicht und nie zuvor bin ich mir ihm derart heftig aneinander geraten. Der Student muszte verlaengern, weil er die ersten 5 Monate de facto nichts gemacht hatte. Trotzdem zog er das anspruchsvolle Thema dann in 4 Monaten durch. Ich habe ihn wie eine tibetanische Gebetsmuehle ermahnt und bekniet und tausend E-Mails geschrieben sowie die wortkarge und unmotivierte Begruendung fuer die Verlaengerung wesentlich aufgebohrt, damit der Pruefungsausschusz wirklich gruenes Licht gab.
Mein Gutachten fiel folgendermaszen aus: Zweifelsfrei 1,0 fuer eine exzellente Arbeit, 1,7 fuer die Verteidigung - der Vortrag hatte ein paar Macken, im Frage-Antwort-Spiel mit dem Professor und dem Publikum parierte er jedoch praechtig und zeigte sein Koennen, fachlich und im freien Erlaeutern.
Dem Professor jedoch miszfiel seine Arbeitsweise extrem. Der Student sei unzuverlaessig, langsam, faul et cetera. Meine Bewertung waere viel zu hoch und solche Typen koennen keine 1 bekommen.
Ich stimmte dem ueberhaupt nicht zu, besonders, weil es im Diplomstudium Freiheiten zu geben hat. Am liebsten nehmen die Herren Professoren Humboldt in den Mund. Zugegeben, zu DDR-Zeiten haette der Kerl seine Diplomabschluszpruefung (Arbeit und deren Verteidigung) niemals so bestreiten koennen; durch das andere Studiensystem wurde vom Studenten automatisch mehr getan, doch die Universitaet funktioniert heutzutage anders. Der Professor aber will (blindwuetigen) Fleisz und wie vor 20 Jahren zuegiges Vorankommen sehen.
Schluszendlich wollte er die Verteidigung mit 3,3 und die Arbeit mit 2,3 bewerten. Da bin ich an die Decke gegangen, insbesondere deswegen, weil die Professoren gerne von Universitaet = Elite schwafeln. „Das ist hier keine FH sondern eine richtige Hochschule, hier wird die Elite ausgebildet.“, alltaegliche Sprueche sind das.
Wie es nur passieren konnte, aber die Beratung artete in einen handfesten Streit aus. Ich sagte dem Prof, dasz der Student ein echter Elitetyp sei und die 1 eigentlich nur fuer solche Studenten vergeben werden duerfte. Stattdessen schmeiszt er jedem Trottel gerne die 1,3 hinterher, selbst wenn derjenige mangelhafte Begabung mit Fleisz zu kompensieren versucht. Das geht beim Professor aber zum linken Ohr rein und zum rechten raus.
Der Vorschlag 2,3/3,3 war zudem wie ein Schlag in mein Gesicht, denn in den MNT-Faechern ist so etwas einfach gleichbedeutend mit schlechter Betreuung.
Wir einigten uns - nach einer Stunde Kampf aufs Blut - dasz er fuer die Verteidigung 2,3 und fuer die Arbeit 1,7 vergibt. Die Gesamtwertung heiszt dann 1,8 (70% Arbeit, 30% Verteidigung).
Von meinem Standpunkt aus viel, viel, viel, viel zu schlecht, im Grund eine Frechheit. Zumal andere Studenten, bisweilen wahre Pauker und halbe Stuemper, die eigentlich haetten an die FH gehoert und nicht an die Uni, bessere Bewertungen bekommen haben, blosz weil sie windschluepfrig durchs Studium rannten und nicht links, nicht rechts schauten.
Aber der Professor liesz sich auf keine weitere Bewertung ein und mein Gutachten hat im Zweifel kein Gewicht. Der Prof macht die Note und wenn ich besser bewertet habe ist das eine unbedeutende Diskrepanz fuer das Pruefungsamt.
Die Reaktion des Studenten war uebrigens interessant: Er schlug den Handschlag des Professors aus, feuerte ihm einen wunderbaren Spruch in knackiger Umgangssprache ins Gesicht und verliesz sofort das Zimmer. Innerlich war es mir eine Genugtuung, wobei danach 45 Minuten Tirade auf mich einbrachen, warum ich „sowas“ - man beachte das Neutrum, das der Prof verwendete - „so intensiv und ausdauernd unterstuetzt habe“.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn Du zu schlecht bewertest, ist die Chance hoch, dasz es knallt. Fuer eine 2,3 muszt Du wirkliche Maengel haben und solltest Dich auch selber fragen, ob die Betreuung intensiv genug war.
2,3 und schlechter ist darueber hinaus nur berechtigt, wenn ihr konsequent (!) nach dem Leistungsprinzip bewertet. Der Student hat durchaus recht, wenn er auf sonstige Bewertungen hinweist. Im deutschen Hochschulsystem herrscht Noteninflation, geheizt durch den Konkurrenzdruck der Universitaeten untereinander. Die typische Begruendung von Hochschulen ist: Die anderen Hochschulen bewerten konstant gut und wir koennen deswegen keinesfalls zuweit heruntergehen, weil dies Nachteile fuer unsere Absolventen und Nachteile fuer unsere Reputation haette.
Und das stimmt auch. Wenn bei euch, wie Du sagst, Diplomarbeiten mit 3,0 oder sogar noch schlechter bewertet werden, was gibt es da bei euch fuer Pfeiffen als Betreuer??!
Ich kann Dir nur eines raten: Nimm Dir saemtliche Bachelor-, Master- und Diplomarbeiten Deiner Professur zur Hand und liesz die Gutachten, liesz die Noten. Und dann entscheide aus der sich ergebenden Tendenz, wie Bewertungen generell festgelegt werden und wie solche Abschluszarbeiten frueher bewertet wurden.
Wenn das Mittelmasz gebauchmiezelt und dadurch regelrecht herangezuechtet wird, kannst Du mit diesem Schema F unmoeglich brechen, ohne den Studenten individuell schwer zu benachteiligen. Warum soll ausgerechnet er dafuer bueszen, dasz sonst zu locker mit den Zensuren hantiert wird?
Es kann haeszlich werden, wenn der Student sich ungerecht behandelt fuehlt - keineswegs auf der juristischen Schiene. Sagen wir, der Student legt Einspruch gegen die Note ein. Der Pruefungsausschusz sieht sich nur die Gutachten unter formalen Aspekten an und untersucht den korrekten Ablauf der Diplomabschluszpruefung. Inhaltlich begutachtet kein Mensch die Arbeit erneut. Die Professoren moegen sich untereinander im staendigen Kriegszustand befinden, nach auszen hin halten sie jedoch zusammen und am Ende wird die Einschaetzung des Professors positiv bestaetigt werden. Wahrscheinlichkeitstheoretisch liegt das sagenumwobene „sichere Ereignis“ vor. 
Was ich indes meine, ist die menschliche Seite. Du erwaehntest, dasz Du Dich mit ihm gut verstehst und er dummerweise auch noch in Deinem Alter ist. Schei…benkleister!
Solltest Du die 2,3 geben, oder sogar schlechter, muszt diesen Maszstab fuer alle kuenftigen Graduierenden anlegen. Ich kann Dir empfehlen, Dir fuer die Zukunft eine ausformulierte Handreichung anzufertigen, die destilliert alles enthaelt, was Du in einer Arbeit relevant findest und mit der Du immer in gleicher Weise entscheiden kannst, wann Du z.B. die 1,3 vergibst, wie Du zur 1,0 unterscheidest, wann es die 2,0 gibt et cetera.
Du mueszt Dir vor allem ueberlegen: Bewertest Du - wie der Professor in meinem unerfreulichen Beispiel oben - das soziale Drumherum, die Einstellung des Studenten zur Hochschule, oder konzentrierst Du Dich auf die akademischen Erzeugnisse.
Viele Gruesze
Reiner