Bairisch: 'der dort gesessene Mann'

Hallo,
Eine ganz einfache Frage, um eine Theorie zu überprüfen: Kann man im süddeutschen Sprachraum (also v.a. Bayern, aber auch Österreich) sagen:

  • der dort gesessene Mann
  • die früher hier gestandene Lampe

Ich meine hier nicht unbedingt den bairischen Dialekt, sondern auch die in der Region gesprochene Version der Hochsprache. Klingen solche Sätze für euch normal, oder hören sie sich falsch an?

Gruß,

  • André

Hallo,

nach fünfmaligem Durchlesen kam mir das dann doch komisch vor.

Beim ersten Mal empfand ich es als richtig.

Das beweist, dass du den schwäbischen Dialekt miteinbeziehen darfst.
Wir reden mitunter auch so.

Wenn du den indirekten Mann gegen den realen Sepp eintauschst, funktioniert der Satz nicht mehr.

„der dort gesessene Sepp“ wäre nur vorstellbar, wenn sehr viele Sepps anwesend waren.

Gruß
Lawrence

Hallo André, ich bin jetzt seit 60 Jahren Bayer und hätte jetzt keine Probleme damit dies richtig zu interpretieren. In Bayern ist zwar eher diese Form „Der Mo der do g’hockt is“ sprich „Der Mann der da gesessen hat“ normal aber die von Dir angesprochene Form wird sicher von allen Bayern verstanden.

Gruß Tolot

Grüß dich, André!
Korrekt sind diese Sätze insofern, als man von " ist gesessen/gestanden" ausgeht. Hierzu passen deine Formen in der Tat. Sie wären die Entsprechungen zum passivischen „die hergestellte Ware“ gemäß „Die Ware ist hergestellt (worden)“. Nur noch in feststehenden Wendungen dagegen kennt man heute den „gelernten Schlosser“ (das wäre der „gelernt habende“) oder den „Studierten“. Als grundfalsch empfinde ich jenes „gelitten unter Pontius Pilatus“ im Glaubensbekenntnis, denn das klingt wie „wohlgelitten“.
Im Übrigen handelt es sich um eine schwer beurteilbare Stilfrage. Der „verreiste Chef“ klingt normal, das „dort seit 1900 gestandene (jetzt abgebrochene) Denkmal“ geht auch, die angeführten Beispiele wirken schon eher etwas grenzwertig.
Gruß
Sepp

Grüß dich, André!
Korrekt sind diese Sätze insofern, als man von " ist
gesessen/gestanden" ausgeht.

Du hast den Grund meiner Frage durchschaut. :wink:
Ja, ich dachte, weil in Bayern ja _ ist gestanden/gesessen_ gesagt wird, müsste der Partizip II bei diesen Verben auch als Attribut für die jeweiligen Subjekte möglich sein. Offenbar sind sie das (die Phrasen wirken natürlich trotzdem etwas gestelzt).

Verstehen würde man diese Sätze sicherlich überall in Deutschland, ich hab mich nur gefragt, ob man sie in Bayern auch wirklich sagen würde. In Norddeutschland, da wo man _gestanden/gesessen hat _, sind die nicht möglich. Es gibt zwar auch hier den „gestandenen Mann“, aber kein neben mir gesessenes Mädchen oder so etwas.

Hierzu passen deine Formen in der
Tat. Sie wären die Entsprechungen zum passivischen „die
hergestellte Ware“ gemäß „Die Ware ist hergestellt (worden)“.

Genau. Das Zauberwort heißt hier „unakkusativische Verben“ (die, die mit sein das Perfekt bilden) und „unergativische Verben“ (die mit haben).

Nur noch in feststehenden Wendungen dagegen kennt man heute
den „gelernten Schlosser“ (das wäre der „gelernt habende“)
oder den „Studierten“.

Stimmt, oho. Aber (zumindest hier in Leipzig) sagt man nicht *ich bin gelernt oder *ich bin studiert wenn man den in der Vergangenheit liegenden Prozess beschreibt, solche Sätze gingen nur im Passiv (i.S.v. „jemand hat mich studiert“) oder… hmm. Kann diese Form nicht deuten.

Als grundfalsch empfinde ich jenes
„gelitten unter Pontius Pilatus“ im Glaubensbekenntnis, denn
das klingt wie „wohlgelitten“.

Das kenn ich nun nicht, und „wohlgelitten“ ist mir als Wort nicht bekannt. Aber ich verstehe was du meinst.

Im Übrigen handelt es sich um eine schwer beurteilbare
Stilfrage. Der „verreiste Chef“ klingt normal, das „dort seit
1900 gestandene (jetzt abgebrochene) Denkmal“ geht auch, die
angeführten Beispiele wirken schon eher etwas grenzwertig.

Okay, ja, dein Beispiel ist sicher besser. Das wäre hier nördlich des bairischen Dialektgebiets nicht möglich. Das klingt für sächsische Ohren, als habe jemand das Denkmal dort hingestanden… was nicht geht. :smile:

Faszinierend!
Gruß und Dank,

  • André

Hallo!

  • der dort gesessene Mann
  • die früher hier gestandene Lampe

Es hört sich an wie ein Bayer, der hochdeutsch sprechen will. Oder etwas auf Schrifdeutsch verfassen will: „Hiermit teile ich Ihnen mit, daß die früher hier gestandene Lampe nun an der Hauswand leint, gleich neben meinem Regenschirben. Es tut ihr auch nichts feilen. - gez. Filser.“

Im wirklichen Dialekt kommen solche Partizipkonstruktionen eigentlich nur vor.

Da Mo, der wo da gesessen is …
De Lampen, de frirars do gsdtanden is …

Gruß,
Max

Hallo Max,

Es hört sich an wie ein Bayer, der hochdeutsch sprechen will.
Oder etwas auf Schrifdeutsch verfassen will: „Hiermit teile
ich Ihnen mit, daß die früher hier gestandene Lampe nun an der
Hauswand leint, gleich neben meinem Regenschirben. Es tut ihr
auch nichts feilen. - gez. Filser.“

*gggg* da gebe ich dir recht.
Gerade das „Es tut ihr auch nichts feilen“ habe ich tatsächlich schon gehört (ältere Frau, die Bayerisch, aber kein Hochdeutsch sprach, an eine Urlauberin gewandt).

Im wirklichen Dialekt kommen solche Partizipkonstruktionen
eigentlich nur vor.

Da Mo, der wo da gesessen is …

Kleine Korrektur: „Da Mo, der wo do gsessn ihs“ :wink: (Kann aber auch regional nochmal unterschiedlich ausgesprochen werden.)

Viele Grüße,
Nina

Hallo André,

Nur noch in feststehenden Wendungen dagegen kennt man heute
den „gelernten Schlosser“ (das wäre der „gelernt habende“)
oder den „Studierten“.

Stimmt, oho. Aber (zumindest hier in Leipzig) sagt man nicht
*ich bin gelernt oder *ich bin studiert wenn man
den in der Vergangenheit liegenden Prozess beschreibt, solche
Sätze gingen nur im Passiv (i.S.v. „jemand hat mich studiert“)
oder… hmm. Kann diese Form nicht deuten.

etwas zur Deutung dieser Form:
Es heißt ja nicht „ich bin gelernt/studiert“ als Ersatz für „ich habe gelernt/studiert“ (die Tätigkeit des Lernens oder Studierens liegt in der Vergangenheit), sondern ist im Sinne von „ich bin Schlosser“ und dann als Erweiterung „ich bin fertig ausgebildeter Schlosser“, oder auch „ich bin kein Auszubildender mehr, ich bin bereits fertig ausgebildet“ was im Hochdeutschen ebenfalls problemlos möglich ist.
Es wird niemals „ich bin gelernt/studiert“ verwendet, sondern bei „gelernt“ stets mit Berufsbezeichnung: „Ich bin gelernter Bäcker“.
Beim „Studierten“ wird dies manchmal weggelassen; ein „Er ist ein Studierter“ ist im Bayerischen möglich; „Studierter“ ist im Bayerischen nämlich ein Nomen und schlichtweg der Ausdruck für „Gelehrter, Akademiker“ - und übersetzt wäre es im Hochdeutschen auch nicht falsch: „Er ist Akademiker“.

Hypothetische Sätze wie „ich bin gelesen“ oder auch mit „ich bin gelernt“ ausdrücken wollen, dass man den gestrigen Tag mit Lernen verbracht hat, sind im Bayerischen genauso wie im Hochdeutschen falsch.

Es handelt sich also um kein Passiv; das „ich bin“ bezieht sich also nicht auf „studiert haben, gelernt haben“, sondern auf den Beruf.

In Ausdrücken wie „er ist Studierter“ (die im Bayerischen möglich sind) wird schlichtweg verkürzt - eigentlich stände dort „er ist studierter Physiker“ (also: hat sein Studium zu Ende gebracht).
Dieser Satz ist analog zu „er ist Lehrer“, „er ist Maurer“ - „Studierter“ wird als Berufsbezeichnung angesehen, wie „er ist Akademiker“.

Viele Grüße,
Nina

Hallo!

Gerade das „Es tut ihr auch nichts feilen“ habe ich
tatsächlich schon gehört (ältere Frau, die Bayerisch, aber
kein Hochdeutsch sprach, an eine Urlauberin gewandt).

Kommt vor. :smile:

Kleine Korrektur: „Da Mo, der wo do gsessn ihs“ :wink: (Kann aber
auch regional nochmal unterschiedlich ausgesprochen werden.)

Das war jetzt keine exakte Transkription von mir. Wird da aber auch unterschiedlich gesprochen, gerade das a/o ist so ein Mischzwischenlaut, der je nach Region Richtung a oder o tendiert.

Gruß,
Max