Beamtenlogik

Hallo Wissende,

Ich höre manchmal - meist abfällige - Bemerkunkungen darüber, dass das (dienstliche) Denken von Beamten anders beschaffen sei als das von Funktionsträgern in anderen Organisationen.

Ich möchte wirklich nicht abgedroschene Vorurteile oder dumpfe Emotionen provozieren, sondern versuche wirklich zu verstehen, in welcher Weise dieses Soziotop funktioniert, was die Motiationen und Funkionsmuster sind, die zu dieser anderen Beschaffenheit führen.

Kann jemand sachdienliche Hinweise geben ?

MfG
Klaus

Hallo, Klaus,
ein Sachbearbeiter in der Wirtschaft ist in erster Linie gehalten profitorientiert zu arbeiten. Er wird also der möglichst effizienten Zielerreichung den Vorrang geben.
Für den Sachbearbeiter in einer Behörde hat die Arbeitseffizienz nicht den gleichen Stellenwert. Ihm wird es in erster Linie darauf ankommen, seine Vorgänge so zu erledigen, dass sie seinen Vorschriften exakt genügen.

Darüber hinaus ist das Arbeitsplatzrisiko in der freien Wirtschaft ungleich höher als bei einem Beamten.

Gruß
Eckard

Hallo Klaus,

ich habe einige Jahre im öffentlichen Dienst gearbeitet und arbeite seit etlichen Jahren in einer großen Firma der Privatindustrie.
Eines kann ich sagen, nämlich daß sich die Bürokraten in beiden Strukturen nicht allzu groß unterscheiden.
Es gibt in der Industrie Verwalter, die offensichtlich ihre ursächliche Existenzberechtigung darin sehen, einem bürokratische Knüppel zwischen die Beine zu werfen, wie ich im öffentlichen Dienst Verwalter kennenlernte, die um höchstmögliche Effizienz bemüht waren (und sie teilweise auch erreichten).

Der generelle Trend liegt wohl doch in Richtung des allgemeinen Vorurteils, aber sooo strikt ist es auch wieder nicht.

Gandalf

Eines kann ich sagen, nämlich daß sich die Bürokraten in
beiden Strukturen nicht allzu groß unterscheiden.

Gandalf,

Das ist sehr interessant. Vielleicht sollte ich meine Frage eher auf Bürokraten beziehen als auf Beamte.

Wie kann man Bürokratie definieren ? Vielleicht, dass nicht der Erfolg der Aktivität im Vordergrund steht, sondern Vorschriften (?)… oder was sonst ? Und vor Allem, warum ?

Wenn man mal davon ausgeht, dass ein Bürokrat kein besonders dummer oder böser Mensch ist, sondern aus seiner Sicht vermutlich rational handelt - was treibt ihn an, destruktiv zu sein ?

MfG
Klaus

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Hallo Klaus,

Bürokratie:

  • nicht direkt wertschöpfend (d.h. verwaltend)
  • stark fraktalisiert (Gesamtüberblick fehlt, damit auch die korrekte Einschätzung der Wirkung eines Erlasses)
  • Abteilungsdenken (da nicht wertschöpfend muss Daseinsberechtigung nachgewiesen werden => Zunehmende Anzahl Vorschriften, wer nichts vorschreibt ist „überflüssig“)
  • Arbeit über Verordnung (fehlende Dienstleistungsorientierung, da „Hoheitsrechte“ ausgeübt werden)
  • budgetiert (da nicht wertschöpfend, Budget wird immer ausgenützt, da sparen sich nicht lohnt)

Dabei ist es egal, ob Konzern oder Staat. Grundsätzlich sind die gleichen Probleme da. Beim Staat ist es nur noch deutlich schlimmer, da hier eine riesige, gleichaufgestellte Organisation inkl. aller Führungsebenen existiert. In Konzernen kommt irgendwann recht bald ein Gesamtverantwortlicher, der im Markt steht und mal reinhauen kann, wenn die Bürokratie zu lähmend (oder geschäftsschädigend) wird.

Grüße
Jürgen

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Fehlen von Verantwortung
Hallo,

„bürokratisches Denken und Handeln“ ist in keinem Lebensbereich nutzbringend.
Es wird aber durch entsprechende Rahmenbedingungen gefördert und erzeugt.
Wenn weder „Krankfeiern“ noch „sich für etwas einsetzen“ wahrnehmbare Konsequenzen haben, dann macht man eben Dienst nach Vorschrift.
Viele leute, die Dienst nach Vorschrift machen, hatten früher einmal schlechte Erfahrung gemacht mit „sich engagieren“.

Meine Frau war letztens bei einer Führung in irgendeinem Amt.
Was die erzählt hat, erklärt so manchen Beamtenwitz.

Gruss,
TR

Hallo Klaus,

Gandalf hat Recht. Egal ob Behörde oder große Firma, wenn viele Menschen in einer Organisation arbeiten, bilden sich typische hierarchische, behördenartige, bzw. politische Strukturen.

Es gibt Hierarchien, in denen man aufsteigen kann (Karriere). Karriere macht man nicht durch gute Leistung und Kompetenz, sondern, in dem man gegenüber den Vorgesetzten geeignet erscheint.
Zwischen den Abteilungen gibt es Konkurrenz um Ressourcen. Deswegen versuchen die Abteilungen möglichst Erfolgreich zu erscheinen. Wie erreicht man das, wenn man den Erfolg nicht mit produzierten Gütern oder Einnahmen dokumentieren kann? Mit Prozeduren.

Wann immer irgendwo was schief gegangen ist, muss eine bürokratische Prozedur her, damit es nicht wieder passiert (koste es, was es wolle). Prozeduren beweisen Kontrolle und Effizienz. Man denke an IS0 9000.

Auch hierarchischen Auseinandersetzungen bedingen andere Verhaltensweisen und Sprechformen. Vorschriften gehen vor Effiziens. Wenn ein Mitarbeiter bessere Leistung erbringt wird dies maximal wohlwollend zur Kenntnis genommen. Wenn er sich aber nicht an die Vorschriften hält bekommt er Ärger.

Gruß
Carlos

Eines kann ich sagen, nämlich daß sich die Bürokraten in
beiden Strukturen nicht allzu groß unterscheiden.

Hallole,

ich habe mir mal diese Aussage notiert:

Treffen Einfalt und Gründlichkeit zusammen, entsteht Verwaltung. (Oliver Hassencamp)

Schöne Grüsse

Uli

Hallo,

Ich denke, eine „Berufsmentalität“ hängt eher davon ab, was jemand den ganzen Tag lang tut. als davon, welchen Status er hat.

Beamten können Lehrer sein, Richter, Professoren, Standesbeamte, vielleicht sogar noch Postboten (oder ist das inzwischen abgeschafft?), Notare oder sie können auf den Ämtern Personalausweise ausstellen und Dokumente beglaubigen. Diese Berufsgruppen werden nicht alle die gleiche Mentalität haben.

dass das (dienstliche) Denken von Beamten anders beschaffen
sei als das von Funktionsträgern in anderen Organisationen.

Meinst Du damit eine gewisse Pedanterie, einen Hang zum Formularausfüllen, Ankreuzen, Abhaken, Umwege und Abschweifungen verabscheuen? - Das kommt meiner Meinung eher davon, dass man den ganzen Tag irgendwelche langweiligen Abläufe systematisch erfassen soll. So einen Job hatte ich mal 1 Jahr lang an der Uni neben meinem Studium. Ich sollte irgendwelche Personallisten führen, im Auge behalten, was jeder gemacht hat, ob jeder das gemacht hat, was er sollte und das in eine Datenbank eintragen. Es war so ähnlich, wie ich mir Arbeit auf einem Amt vorstellte (nur, dass es bei mir nur wenige Stunden pro Woche ausmachte - mehr hätte ich auch nicht ausgehalten).

Um das zu erfassen, musste ich auch per Email (vorzugsweise) eine Art Formular (das ich selbst entworfen hatte) herumschicken und die Antworten irgendwie logisch in verschiedene Verzeichnisse abspeichern und, wenn sich genug zu einem Thema gesammelt hatten, dies dann in die datenbank eintragen.

Ich hatte etwa 200 Leute zu verwalten und leider gab es furchtbar viele verschiedene Varianten. Die Leute hatten alle verschiedene Stellen, Stundenzahlen, Aufgabengebiete, Freistellungen aller Art, etc. Den Überblick zu behalten war der reinste Horror. Und eigentlich wollte ich nicht zu viel Zeit damit verbringen, sondern mir nur nebenbei mein Studium etwas finanzieren.

Und plötzlich war ich selbst furchtbar bürokratisch. Eigentlich wollte ich gar nichts individuelles mehr wissen, sondern nur diese Formulare ausgefuellt per Email zurueckbekommen, so dass ich sie innerhalb von Minuten kapieren und abspeichern konnte. Der Horror waren die Leute, dich nichts ausfuellten, sondern anfingen, in eigenen Worten zu erklaeren. Dann musste ich die mail eine Viertelstunde lang lesen, um selbst zu sehen, wo die Kreuze hingehoerten. Oder die, die gar keine Mail schickten, sondern zu mir kamen, um es mir persoenlich zu erklaeren (konnte ich mir nicht merken). Oder die, die Felder leer liessen - dann musste ich rueckfragen und mehr Mails verschicken und die Antworten dann wieder mit der 1. mail in Verbindung bringen (die ich dann oft schon vergessen hatte), etc.

Und dann hatte ich mit der Zeit immer bessere Systeme und immer ausgefeiltere schlagwortartige Fragen und dann fing ich an Fristen zu setzen und mit der Unileitung Druckmittel auszuhandeln fuer die, die gar nicht antworten und ich glaube schon, ich wurde den Leuten auf dem Einwohnermeldeamt immer ähnlicher.

Und dann kamen natürlich auch etliche, die glaubten, wenn ich dies hier verwalte, wüsste ich auch über xy (Vorlesungsplanung, Raumplanung) Bescheid und wollten mir da zusätzliche Arbeit anhängen oder Dinge von mir erklärt bekommen oder wollten etwas in die Datenbank eingetragen haben, was ich technisch hätte tun können, das aber nicht in meine Kompetent fiel - und ich wusste genau, wenn ich einmal ja sage, kommen sie immer wieder zu mir und nicht zu der Person, die dafür eigentlich zuständig ist und anstatt, dass man mir dankbar ist, 1x geholfen zu haben, bekomme ich so immer mehr Arbeit. Also habe ich dies mit zunehmender Erfahrung natürlich immer konsequenter abgelehnt.

Und darüber habe ich inzwischen oft nachgedacht, aber ich wüsste nicht, wie man mit solchen Tätigkeiten anders umgehen sollte. Und wenn sie dann nicht nebenbei sind, sondern hauptberuflich und man sich jeden Tag mit den gleichen langweiligen Systematisierungen rumschlägt und gleichzeitig weiss, die Leute müssten sich nur herablassen und die Dinge so ausfüllen, wie ich es ihnen vorschreibe und ich hätte nur noch halb so viel zu tun - naja.

Ich jedenfalls bekam einen zunehmenden Hass auf alles, was nicht stromlinienförmig so war, wie ich es für meine Bedürfnisse als am praktischsten einschätzte. Und das ist es, was meiner Meinung nach den Bürokraten ausmacht. Es gibt aber nun Tätigkeiten, bei deren Ausführung JEDER bürokratisch wird. Jedenfalls kann ich es mir nicht anders vorstellen.

Mit vielen Grüssen, Walkuerax

Hi,

Eines kann ich sagen, nämlich daß sich die Bürokraten in
beiden Strukturen nicht allzu groß unterscheiden.

Das ist sehr interessant. Vielleicht sollte ich meine Frage
eher auf Bürokraten beziehen als auf Beamte.

Wie kann man Bürokratie definieren ? Vielleicht, dass nicht
der Erfolg der Aktivität im Vordergrund steht, sondern
Vorschriften (?)… oder was sonst ? Und vor Allem, warum ?

Ich finde Max Weber hat da einiges geleistet:
http://www.olev.de/b/max-weber-buerokratie.htm

Wenn man mal davon ausgeht, dass ein Bürokrat kein besonders
dummer oder böser Mensch ist, sondern aus seiner Sicht
vermutlich rational handelt - was treibt ihn an, destruktiv zu
sein ?

Was für dich rational ist, ist es für den Bürokraten vielleicht gerade nicht
Langeweile? oder die Aussicht den Job noch 10-20 Jahre machen zu müsssen, ohne Chance auf Veränderung? Denn dazu müßte man sich ja ändern… :wink:

gruss,
vordprefect

Hallo Leute,

Die bisherige Diskussion hat viele interessante Gedanken hervorgebracht.

Besonders schrecklich finde ich es, dass viele Politiker „Beamtenversteher“ sind, sich also oft der destruktiven Eigendynamik der Ämter - die ihnen unterstehen ! - unterwerfen („das geht nicht“).

Es müsste doch eigentlich umgekehrt sein, dass ein Amt ein Werkzeug zur Realisierung demokratisch gefasster Gestze sein sollte, die Politiker den Beamten also sagen sollten, was sie tun sollen.

Ein Beispiel : Die Zeitdauer, die Bahnschranken geschlossen gehalten werden, ist viel zu lang, dadurch kommt es, insbesonderen an Nebenstrecken, also in Kleinstädten, zu Stauungen im Autoverkehr. Diese Vorschrift stammt wohl aus der Zeit von Pferdekutschen, ist aber offenbar nicht totzukriegen.

In vielen Kleinstädten werden daher die Gleise untertunnelt, das ist sehr teuer und verschandelt die ganze Stadt, ist aber wohl leichter durchzusetzen, als eine Änderung der Vorschrift über Schrankenschließungszeiten.

MfG
Klaus

Besonders schrecklich finde ich es, dass viele Politiker
„Beamtenversteher“ sind,

Hallo, Klaus,
das ist nicht weiter verwunderlich, von den 614 Abgeordneten des Bundestages kommen 375 aus Behörden und Verbänden. (Quelle: http://www.capital.de/div/100003834.html?eid=100000676 )

Gruß
Eckard

Hallo Klaus!

Ein Beispiel : Die Zeitdauer, die Bahnschranken geschlossen
gehalten werden, ist viel zu lang, dadurch kommt es,
insbesonderen an Nebenstrecken, also in Kleinstädten, zu
Stauungen im Autoverkehr. Diese Vorschrift stammt wohl aus der
Zeit von Pferdekutschen, ist aber offenbar nicht totzukriegen.

Kein Beispiel. Daß die Schranken so lange geschlossen bleiben, hat sicherheitstechnische Gründe: In vielen Fällen muß ein Streckenabschnitt erst komplett gesichert sein, bevor der Zug in diesen Abschnitt einfahren kann. Und diese Technik ist eher eine Errungenschaft der modernen Zeit, zur Zeit der Pferdekutschen und der vom Schrankenwärter handbetriebenen Schranken gab’s das nicht. Man kann natürlich darüber diskutieren, ob die Vorschrift, einen Zug erst dann fahren zu lassen, wenn alle Schranken geschlossen sind, sinnvoll ist - aber dazu gibt es mM nach eine klare öffentliche Meinung, denn natürlich ist das nicht auf Betreiben irgendwelcher Bürokraten entstanden, sondern auf Betreiben des Bürgers, der Hund, Frau & Kind vor Zusammenstößen mit Zügen geschützt wissen will.

In meinem Heimatlandkreis gibt es noch eine hanbetriebene Schranke mit Schrankenwärter - dagegen wird momentan von den Anwohnern massiv vorgangen, weil der menschliche Faktor in diesem System ihnen zu anfällig erscheint.

In vielen Kleinstädten werden daher die Gleise untertunnelt,
das ist sehr teuer und verschandelt die ganze Stadt, ist aber
wohl leichter durchzusetzen, als eine Änderung der Vorschrift
über Schrankenschließungszeiten.

Wenn Du Presseberichte verfolgst, in denen es um Unfälle an Bahnübergängen geht, wirst Du feststellen: Selbst wenn ein besoffener Landwirt mit seinem Traktor die Halbschranke umfährt, werden der Bahn von den Bürgern Vorfwürfe gemacht, weil die Strecke so „ungenügend“ gesichert ist. Eine „ausreichend“ gesicherte Strecke aber hält den Individualverkehr auf - also muß ein Tunnel her.

Kurz gesagt: Mit der Vorschrift über Schrankenschließungszeiten aus Großmutters Zeiten hat das nichts zu tun - ich möchte sogar behaupten, daß es die gar nicht gibt …

Gruß,
Max

Hallo Klaus!

Wenn man mal davon ausgeht, dass ein Bürokrat kein besonders
dummer oder böser Mensch ist, sondern aus seiner Sicht
vermutlich rational handelt - was treibt ihn an, destruktiv zu
sein ?

Wir alle. Traurig, aber wahr. Wenn wir einen kleinen Laden eröffnen, dann möchten wir uns natürlich mit möglichst wenig Vorschriften herumärgern müssen („Regalverordnung? Was soll der Quatsch! Ich geh zu IKEA“), aber wenn wir in einem anderen kleinen Laden einkaufen, erwarten wir natürlich, daß der Besitzer sich an eine ganze Menge Vorschriften hält („Also, diese wackligen Regale sind gefährlich. Was da passierten könnte! Da muß der Staat etwas dagegen tun, um uns Verbraucher zu schützen.“) Man muß nur die Tagespresse verfolgen - dort wimmelt es vor diesen Geschichten.

Der Beamte, der hier „unbürokratisch“ entscheidet, steht mit einem Bein im Gefängnis - denn antürlich gibt es den lieben Konkurrenten, dem damals das IVAR-Regal verboten wurde und jetzt nicht einsieht, daß das Billy von der Konkurrenz nicht auch verboten ist. Und der Vorwurf der Mauschelei ist schnell gemacht.

Eine Anekdote aus meinem Heimatlandkreis: Einem Ladenbesitzer wurde vom Landratsamt eine Werbetafel verboten, weil sie 4 cm zu groß war. Große Empörung im Gemeinderat: So wird der Mittelstand gegangelt! Die Antwort des Landratsamtes: Wir setzen nur die Verordnung xy um - und die wurde von euch beschlossen. Und zwar einstimmig.

Das Problem ist ja auch: Wo soll die Behörde die Grenze ziehen? Wenn man eine Überschreitung von 10 % erlaubt, dann schreit sicher irgendjemand „Bürokratie!“, weil ihm ein Schild mit einer Überschreitung von 10,01% verboten wurde. Wenn man eine Überschreitung von 15 % erlaubt, dann schreit der mit 15,01 %. Also was zur Hölle sollen die armen Behörden tun?

Gruß,
Max