Bedeutung von Märchen

Hallo Leute
ich habe mich mit meinem Anliegen schon persönlich an diverse Märchen-Experten auf dieser Seite gewandt,da ich als Neuling leider bis jetzt noch keinen Forumseintrag posten durfte!Da es jetzt aber so weit ist würde es mich doch interessieren inwiefern neue Erkenntnisse in der offenen Diskussion hinzukommen!
Also zu meinem Anliegen:

Ich als ehemaliger Deutsch-Leistungskursler habe ein sehr gutes
Verhältniss zu meinem damaligen Lehrer und bin daher hin und wieder
bei ihm zu Kaffe und Kuchen eingeladen.An diesen Nachmittagen
entwickeln sich immer sehr interessante Diskussionen.Er ist
mittlerweile wieder Leiter eines Deutsch-Leistungskurses und hat eben
an diesem Tag im Unterricht Märchen behandelt.
Nun zu meinem Anliegen : Er ist der Ansicht das im Laufe des letzten
Jahrhunderts die Bedeutung von Märchen in unserer Gesellschaft
drastisch abgenommen hat.Anfang des 20 Jahrhunderts bis in die 60er
ist laut ihm die Erziehung und Wertevermittlung mit Märchen
weitverbreitet und üblich gewesen!Da ich diesen Zeitraum nicht
miterlebt habe kann ich dagegen ja schlecht etwas sagen!
Aber eine Frage hätte ich doch zur ersten Hälfte des 20 Jhd.:Haben
die Nazis Märchen zu ihren Zwecken missbraucht??Wenn ja,inwiefern und
wo kann man das nachlesen?
Auch nicht miterlebt habe ich die 70er Jahre und die Bewegung der
antiautoritären Erziehung in der die westliche Welt sämtliche Märchen
aus der Gesellschaft verbannt hat!
An dieser Stelle kommt eine weitere Frage:Warum hat die DDR und
Tschechien(und andere Ost-Länder) im gleichen Zeitraum,also parallel
zu der antiautoritären Erziehung, den Umgang mit Märchen derart
zelebriert?(siehe Verfilmungen etc.)
Was das Ende des 20 Jhd angeht kann ich aus eigener Erfahrung
sprechen.Mir wurden Märchen erzählt und zwar nicht selten.Aber auch
ich musste feststellen als ich in meiner Fussballmannschaft dieses
Thema anschnitt, dass viele gar keine Ahnung von den bekanntesten
Märchen haben(verwechseln Schneewitchen mit Dornröschen usw.)
Also scheinen die Märchen tatsächlich in Vergessenheit zu
geraten?!Ich persönlich will nicht daran glauben denn Pro7
z.B.verarbeitet ja in der Reihe „Märchenstunde“ einige der
bekanntesten Märchen und bringt sie so an den Mann!Ist dies vll. ein
Alternativprogramm zum klassischen Märchen Vorlesen geworden??

Ich hoffe euch war das nicht zu viel auf einmal ?! :wink:
Freue mich auf eure Antworten!

LG
Schnautz

Hallo Leute

Alternativprogramm zum klassischen Märchen Vorlesen geworden??

Ich hoffe euch war das nicht zu viel auf einmal ?! :wink:
Freue mich auf eure Antworten!

LG
Schnautz

Hallo Schnautz,

was die DDR und die Nazis angeht kann ich dir leider nicht helfen, abgesehen davon, das es natürlich Geschichten gab, die Juden als gierige und falsche Personen dargestellt haben.
Ich weiß nicht mehr welche das sind, habe aber darüber gelesen. Das liegt u.a. daran das viele Märchen gar nicht so uralt sind wie einige Klassiker, und sich darin durchaus starke Propaganda findet, gegen die Engländer, gegen die Franzosen, gegen Pfarrer, gegen Heiden etc. was grade aktuell war, und grade solche kann man dann herrlich für die eigenen Bedürfnisse ummodellieren.
Auch werden wohl einige Dinge ganz im Sinne der „Urban Legends“ neu erfunden worden sein, und das hielt an.

So gibt es einen modernen Legendentypus im Bereich der Hygiene in der es darum geht, das jemand absichtlich(!) Rattenfleisch verwendet und das seinen deutschen Kunden zur Speise vorsetzt. In den 70er/80ern waren das Jugoslawen, die sich unbeliebt machten als Gastarbeiter. Später waren es Türken und Italiener, heute sind es Chinesen mit Hunden statt Ratten, oder sogar Katzen, die auch in China nicht gegessen werden… ich denke das liegt mehr am „Fremden“, denn alzuviele Chinesen haben wir hier nicht, schon gar nicht als „Gastarbeiter“ :wink:
Ich kann mir gut vorstellen, dass es solche Erzählungen auch mit Juden in der Rolle des Schurken gab, oder irgendeiner anderen Gruppe die grade das Feindbild bereichern sollte.

Nun aber zur Eigentlichen Frage:
Alternative?
Glaubst du wirklich die Pro7 Märchenstunde ist eine Alternative zum Vorlesen?
Von welchem Vorlesen sprichst du denn?

DAS, grade DAS ist ja das Problem: Es wird nicht mehr vorgelesen.

Ich hatte noch das Glück mit einer Mutter aufzuwachsen, die sich die Zeit nahm mich mit Märchenstunden zu verwöhnen, mein Märchenschatz im Gedächtnis ist reich. Aber in meinem DeutschLK, der 25 Personen umfasste, gab es nur drei Personen, die überhaupt den Inhalt (!) und nicht nur den Titel eines Märchens kannten, die zwei anderen kannten so eine Handvoll, ich fühlte mich schon komisch.

Den Kindern werden einfach keine Märchen mehr erzählt, die Eltern haben keine Zeit dazu oder finden es nicht so wichtig oder setzen ihre Kinder vor Fernseher, Playstation oder Computer. Märchen überflüssig.

Und wenn überhaupt, dann in stark verkürzter und verfälschter Form. Den eigentlichen Froschkönig kennt heutzutage keine Sau mehr.

Man entschuldigt es damit, dass die Kinder von heute eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne hätten… das Ergebnis ist, dass der Froschkönig auf 1 1/2 Seiten länge schrumpft.
Ein Trauerspiel.

lg
Kate

Hallo Andreas,
Ich kann dazu nur zwei Sachen sagen:

  1. Nachrichten vermitteln: In einer Zeit, wo die meisten Menschen weder Lesen noch Schreiben könnten, die einzige Möglichkeit die Nachrichten an den Menschen zu bringen war es durch mündliche Übertragungen. Und in einer Zeit wo fast ausschließlich Mönche schreiben könnten, ist es naheligend, daß diese ebenfalls mündlich weiter vermittelt wurden. Und genauso geschah mit den Darstellungen riesen Domfenster, die ja eine Geschichte erzählen. Und wie so oft, wenn ich eine Geschichte mündlich erfahre, gibt es bestimmt eine kleine Änderung (unabsichtlich, wohl gemerkt), wenn ich es weiter ezähle. Doch im Laufe der Jahrzehnte und -Hunderte ist es soweit gekommen, daß in diesem Breitengrades die meisten von uns sehr wohl lesen und schreiben können. Also, die Notwendigkeit Nachrichten weiterzuvermitteln oder diese zu verarbeiten, kann es durch andere Medien erfolgen, als mit einem Menschen in der Mitte des Dorfplatzes oder gar die kunstvolle Gestaltung eines Domfensters. Damit ist es mMn begründet, weshalb Märchen an Bedeutung verloren haben.

  2. In anderen ländern anders: Auch etwas was mich persönlich in diesem Zusammenhang perplex gemacht hat: Dornröschen („La bella durmiente“), Schneewitchen („Blancanieves“); Aschenputtel („Cenicienta“) sind in Spanien nicht mit der in Deutschland bekannten Erzählung identisch. Es ändert sich bei uns geringfügig und das wichtigste (was die Gebrüder Grimm uns damit sagen wollten) bleibt größtenteils gleich aber 100% gleich sind sie es nicht.

Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Schöne Grüße,
Helena

Hallo,
also zur politischen Verwendung von Märchen kannst du ja mal versuchen ältere tschechische oder DEFA Märchenfilme, sprich die Sozialistische VErsion mit der BRD Fassung oder dem Original zu vergleichen. Schau auch mal welche Art Märchen vor allem verfilmt wurden.
Gerade die KOnstellation „Armes Mädchen trifft auf Prinz“, dem der STandesunterschied nichts auszumachen scheint, ist oft bezeichnend.

Zur Antiautoritären Erziehung kann man sagen, dass es irgendwann eine Welle ab, wo man es ganz schrecklich fand, was in Märchen so abging, Hänsel und Gretel und Rotkäppchen sind da als besonders fies oft zitiert worden, Verbrannte HExen, gefressene Kinder, Tierquälerei mit armen ausgestorbenen Wölfen, dass muss ja Schäden setzen beim lauschenden oder per TV gar dies sehenden Kind.
Zu jener Zeit hat sich die Psychotherapie auch besonders mit märchen auseinandergesetzt und hat versucht zu deuten, was denn so der Inhalt der Märchen wirklich ist. Schau mal nach dem Stichwort Märchenforschung, das ist überwiegend Psychologisches.

Als neue Vorbilder in der Antiautoritären Erziehung wurden Pippi und Michel aus Lönneberga.
Allerdings haben auch viele Eltern gar nicht recht verstanden was antiautoritär eigentlich ist und haben eher eine Laissez faire Erziehung betrieben.

Ausserdem gibt es inzwischen jede Menge andere kurzgeschichten für kinder die man ihnen vorlesen kann, so dass Märchen als Veraltet gelten, da man den tieferen Sinn nicht versteht. Sinnvoller wird es erachtet „pädagogisch wertvolle“ Geschichten zu erzählen (such mal bei Amazon nach „Töpfchen“ *schaudernd*), und Bilderbücher sind natürlich bei Kindern beliebter als manchmal nur sporadisch bebilderte Märchenbücher.
Bei Märchen ist „die Moral von der Geschicht“ oft nicht gleich erkennbar und damit für Eltern die heute oft selbst keine Märchen kennenlernen durften (ausser der 3Sätzeschnellfassung oder dem Film zum Selbstblossnichtmitdenken), nicht so eindeutig erziehungstauglich wie „Der kleine Klokönig“. Dass die guten über die bösen Siegen dürfen wird auf Später verschoben, wenn Western (wer schaut heut noch western?) und andere Filme mit etwas Gewalt im Fernsehen geguckt werden dürfen (TV ist da natürlich direkter als gelesenes, Gewalt wirkt im TV sehr viel schlimmer als wenn man sich das vorstellen muss, dennoch gibt es auch im ZEichentrick viel GEwalt, Tom und JErry zB. diese haben mir persönlich nicht geschadet, allerdings bin ich mir auch nicht sicher ab wann ich sie gucken durfte und ab wann ich Märchen mit gefressenen Kindern vorgelesen bekam, zumal es ja auch viele andere wesentlich harmlosere und wundersamere gibt wie Brüderlein und Schwesterlein)
Allerdings gibt es seit den 70gern auch neue Märchen mit eben weniger GEwalt drin, wobei ich mich für diese aber nie so recht begeistern konnte, da fehlte irgendwas, die waren irgendwie unwirklich oder steril wie Disneyfilme. Solche neuen Märchen hab ich jetzt af die Schnelle nicht gefunden (sind vielleicht ja schon wieder out), aber das Buch ist vielleicht was für dich Praxisbuch Märchen von Knoch ISBN 3579023098 Buch anschauen

Gruß Susanne
Ich denke also dass das Thema was Märchenlosen GEnerationen verloren geht vielschichtig ist.

Hallo Andreas,

Märchen sind so viel mehr als nur einfache Unterhaltung. Grade für Kinder sind sie ja fast unverzichtbar: wo kann man denn heute noch „ungestraft“ seine Agressionen ausleben und immer und immer wieder mit erleben, wie das Gute über das Böse triumphiert? Märchen belehren, Märchen stigmatisieren. Daher sicher auch deine Frage, wie die Nazis Märchen für ihre Zwecke missbraucht haben. Aber wer nimmt sich heute noch die Zeit und setzt sich abends ans Bett seiner Kinder und liest ihnen „Frau Holle“ vor? Ist es nicht viel einfacher eine CD anzumachen und dem Märchen seinen innewohnenden Zauber dadurch zu entreißen, dass man es einfach so wiederhohlbar macht durch drücken der Play-Taste? Ich meine, die mündliche Übertragung ist es doch, was Märchen erst zu dem macht, was sie sind.
Schau dir mal „Kinder brauchen Märchen“ von Bruno Bettelheim an.

In Berlin gibt es die Berliner Märchentage:
http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_M%C3%A4rchentage
die seit 1990 versuchen, dass Märchen lebendig bleiben.
Eine lohnenswerte Alternative zu den komerziellen Versuchen von PRO7 beispielsweise.

Viele Grüße
Fabian