Lufthansa und die Pressefreiheit
Hi,
vielleicht passt der folgendeArtikel nicht 100%ig in den Thread rein, aber geht in etwa die selbe Richtung; nur das diesmal die Presse kneift.
mfg felix
Quelle: Berliner Morgenpost Dienstag, 05. Juni 2001
http://www.berliner-morgenpost.de/archiv2001/010605/…
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Kranich oder Vogel?
Klartext/ Von Stephan Ruß-Mohl
Flughafen Stuttgart vor Pfingsten: 35 Minuten verspätet wird die Lufthansa-Maschine nach Berlin starten, verkündet eine Lautsprecher-Stimme. 35 Minuten, die Fluggäste wie ich gerne mit Zeitungslektüre überbrücken. Doch dann die nächste Enttäuschung: In der Auslage der Lufthansa keine Süddeutsche Zeitung. Ich greife stattdessen zur Woche und erfahre dort, warum mir die SZ vorenthalten wird.
Seit Wochen befindet nämlich die Lufthansa-Konzernspitze ziemlich selbstherrlich darüber, was ihre Fluggäste lesen dürfen. Deutschlands zweitgrößte Tageszeitung wird in nennenswerten Stückzahlen nur noch am Münchner Flughafen angeboten - angeblich, weil die Airline für mehr regionale Vielfalt in ihrem Medienangebot sorgen möchte. Den wahren Grund pfeifen inzwischen die Spatzen von den Dächern: Lufthansa-Chef Jürgen Weber war ungehalten darüber, wie die Süddeutsche über den Pilotenstreik berichtet hatte, und hat daraufhin den seit Jahrzehnten bestehenden, eben erst erneuerten Liefervertrag mit dem Verlagshaus gekündigt.
Aber halt, haben die Spatzen denn rechtzeitig gepfiffen? Zu den Merkwürdigkeiten dieser Geschichte zählt, dass sie mehrere Wochen lang unter der Decke gehalten wurde - wo doch Journalisten sonst immer so stolz darauf sind, wenn sie als erste eine Neuigkeit vermelden oder seltsame Vorgänge enthüllen können. In diesem Fall hat die Nachricht verspätet und auf dem Umweg über England die deutsche Öffentlichkeit erreicht. Der britische Guardian berichtete zuerst darüber. Die Münchner Journalistin Tatjana Meier hatte zuvor ihre Lufthansa-Story zwar bereits acht deutschen Blättern zum Abdruck angeboten. Vier überregionale Zeitungen, zwei Regionalblätter, aber auch der Spiegel und der Stern hatten nach anfänglichem Interesse abgewunken - angeblich wegen sachlicher Fehler, inhaltlicher Ungereimtheiten, oder weil der Beitrag nicht den hauseigenen Qualitätskriterien entsprochen habe.
Waren das womöglich nur Ausflüchte? Alle diese Häuser beliefern die Lufthansa - und alle Redaktionen hatten offenbar Muffensausen vor weiteren Strafaktionen der Airline, auch wenn sie das im Nachhinein bestreiten. Bereits im Vorjahr hatte sich nämlich die Lufthansa-Führung über einen missliebigen Bericht der Financial Times Deutschland erbost gezeigt und das Blatt kurzerhand und kurzzeitig aus Flugzeugen und Wartesälen verbannt.
Die Gazetten sind an dieser Stelle verwundbar. Zwar zahlt die Lufthansa für die Zeitungsexemplare nur einen Appel und ein Ei. Aber Zeitungen finanzieren sich in etwa zu zwei Dritteln aus dem Anzeigengeschäft. Die Anzeigenerlöse wiederum bemessen sich nach der Verkaufsauflage. So machen dann ein paar tausend Exemplare mehr, die die Lufthansa abnimmt, schon einen gewaltigen Unterschied in der Kasse der Verlage.
Bei der Süddeutschen waren es vor dem Lufthansa-Lieferstopp knapp zehn Prozent der Auflage, bei der Financial Times Deutschland sind es sogar deutlich mehr als ein Viertel aller verkauften Exemplare, die auf dem Weg über die Fluggesellschaften vertrieben werden. Davon erreicht der Löwenanteil über die Lufthansa die Leserinnen und Leser - denn sie dominiert das innerdeutsche Streckennetz. Airline-Chef Weber ist also, von den Chefetagen deutscher Verlagshäuser aus betrachtet, ein mächtiger Geschäftspartner, mit dem es sich niemand verscherzen möchte - und mit dem offenbar auch nicht zu spaßen ist.
Andererseits ist kaum etwas so fein gesponnen, dass es nicht doch irgendwann ans Licht der Sonne oder zumindest ins Rampenlicht der Medien gelangte. Der Fall lehrt - inzwischen jedenfalls - auch, dass es sich für einen Vorstandsvorsitzenden nicht lohnt, den Zensor zu spielen. Der Image-Schaden, der für die Lufthansa entstanden sein dürfte, ist schwer zu messen - aber sicherlich weit größer als der materielle Verlust, den Webers Strafaktion der SZ und schon zuvor der FTD beschert hat.
Zum Schluß das Positive: Die Geschichte über die Lufthansa stand am 23. Mai nicht nur im evangelischen Fachdienst epd medien, sondern auch in kürzerer Form bereits in der Berliner Morgenpost - als wohl einziger großer Tageszeitung in Deutschland. Beide Redaktionen haben offenbar die Fakten und Zusammenhänge besser geprüft als die anderen, haben in Kooperation mit der Autorin am Beitrag gefeilt. Die Trophäe für den besten Kommentar zum Thema geht dagegen diesmal an Bild-Kolumnist Peter Boenisch. Ebenso altersweise wie kampfeslustig schrieb er - allerdings nicht in Bild, sondern wohl aus Solidarität in der SZ: «Die Lufthansa hatte einen Kranich. Zurzeit hat sie einen Vogel».
Bleibt nur noch die Frage: Darf ein Publizistik-Professor die Zeitung loben, für die er schreibt? Wenn sie Lob verdient hat, darf er - zumindest ausnahmsweise.
Stephan Ruß-Mohl ist Professor für Publizistikwissenschaft und leitet an der FU Berlin das Journalisten-Kolleg.