Auch wenn jetzt wieder ein paar schreien werden, daß ich nur zitiere, so darf man ruhig trotzdem darüber nachdenken:
**Die „Rechtsradikalen“ von Hiddenhausen
Was die Polizei mitgeteilt - und was die Nachrichtenagenturen daraus gemacht haben
Am Tag des Anschlags auf die Düsseldorfer Synagoge war plötzlich auch die Gemeinde Hiddenhausen ins Blickfeld der deutschen Öffentlichkeit geraten. „Neun Rechtsradikale“, melden die Nachrichtenagenturen, seien hier „festgenommen“ (Deutscher Depeschendienst, ddp) beziehungsweise „vorübergehend in Gewahrsam“ (Reuters) genommen worden. Doch die Nachrichtenlage geriet recht merkwürdig.
Während dpa von „neun Männer im Alter von 17 und 18 Jahren“ schreibt, sind es bei Reuters neun Jugendliche, bei ddp einfach nur „neun Rechtsradikale“.
Bei Reuters und bei ddp waren die Neun auf dem Weg zu einem Asylantenheim. Bei der Deutschen Presseagentur (dpa), wo sie „grölend durch Herford“ zogen, bestand die Gefahr, dass „ein nahe gelegenes Asylbewerberheim zur Zielscheibe eines Anschlags werden könnte“.
„Ob die neun einen Anschlag auf das Asylbewerberheim planten, sei unklar“, meldet ergänzend ddp - und fügt hinzu, „Waffen und brennbare Flüssigkeiten seien nicht gefunden worden“.
Übereinstimmend wird mitgeteilt, dass „ausländerfeindliche und rechtsradikale Parolen“ (ddp), „ausländerfeindliche Parolen“ (dpa) und „ganz eindeutige ausländerfeindliche und rechtsradikale Parolen“ (Reuters) gegrölt wurden .
Diese drei Agenturmeldungen waren dann Quellen für zahllose Zeitungs-, Rundfunk- und Fernsehmeldungen des gleichen und des folgenden Tages.
Und für Millionen Zuhörer, Zuschauer und Leser war klar: In „einer Stadt bei Bielefeld“ (ARD-Fernsehen), im „westfälischen Hiddenhausen bei Bielefeld“ (Reuters), „in Herford“ (dpa) oder in „Hiddenhausen (Kreis Herford)“ (ddp) sind in der Nacht zum Dienstag ausländerfeindliche Parolen grölende Rechtsradikale, in der ARD auch Skinheads, in Richtung eines Asylbewerberheims gezogen . . .
Mit den Nachrichten gab es ein Problem: Sie unterschieden sich. Und es stimmte nicht alles
Es gibt ein erkennbares Problem bei diesen Nachrichten: Sie unterscheiden sich. Und es stimmt nicht alles.
Dabei haben sie alle eine einzige Quelle für die Geschehnisse in der Nacht zum Dienstag in Lippinghausen - einen Bericht der Herforder Polizei. Und in diesem ist weder von „Rechtsradikalen“ noch von „Skinheads“ noch davon die Rede, dass irgendjemand auf dem Weg zu einem nahe gelegenen Asylbewerberheim gewesen wäre (gar mit dem Ziel, hier einen Anschlag zu verüben).
Gemeldet hatte die Herforder Polizei das nächtliche Auftreten grölender Jugendlicher mit volksverhetzenden Parolen.
Informiert hatte sie, dass „starke Kräfte“ eingesetzt wurden - „da nicht auszuschließen war, dass ein dort in der Nähe gelegenes Asylbewerberheim Zielpunkt der Personen war“.
Mitgeteilt hatte sie, dass zunächst sechs, später drei weitere, Personen festgenommen wurden, von denen sieben Blutproben entnommen wurden.
Und in einer ergänzten Fassung meldete sie, dass einige der Festgenommenen von einem „misslungenen Scherz“ ohne rassistischen Hintergrund gesprochen hätten und dass keiner der Jugendlichen bislang strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Genau so stand es übrigens auch in dieser Zeitung.
Gestern präzisierte der Bielefelder Staatsschutz, der die weiteren Ermittlungen führt, diese Befunde. „Die in Hiddenhausen vorübergehend festgenommenen Jugendlichen, acht Jungen und ein Mädchen, sind bei uns allesamt völlig unbekannt“, stellte Staatsschutz-Mann Erhard Ebmeier fest.
Aus den Vernehmungsprotokollen zieht Ebmeier den vorläufigen Schluss, dass die Gröler nach einer Fete auf dem Weg zu Gleichaltrigen, die sich in der Nähe aufhielten, waren, und dass sie diese erschrecken oder ihnen imponieren wollten. Zu diesem Zweck hätten sie „einen auf Skinheads gemacht“.
Das war nun wahrlich keine Bagatelle, zumal sie dabei „Heil Hitler“ rufend durch die Straßen gezogen seien und lauthals dazu aufgefordert hätten, Bevölkerungsgruppen wie Zigeuner oder Juden „abzuschlachten“. Wer so handelt, begeht, nicht einen Dumme-Jungen-Streich, sondern eine Straftat. Er muss damit rechnen, vor Gericht gestellt und empfindlich bestraft zu werden.
Aber es war nicht das, was die Agenturen aufgeschrieben und Rundfunk und Fernsehen überregional verbreitet haben. Die Akteure waren keine Rechtsradikalen. Und sie waren nicht auf dem Weg zu einem Asylheim.
Solche Ungenauigkeiten erklären sich oft aus dem Zeitdruck, unter dem Agenturen arbeiten. Aber sie gefährden deren Glaubwürdigkeit. Und die der Medien insgesamt.**