Hallo!
Zunächst sollten die Begrifflichkeiten genauer gefasst werden. Es beginnt schon in der Überschrift mit „Berufesterben“. Berufsbilder unterliegen stetem Wandel, aber kaum ein Beruf stirbt aus. Dabei kommt es vor, dass einzelne Berufsbezeichnungen entfallen, die Tätigkeit aber von anderen Berufsbildern abgedeckt wird. In manchen Fällen, etwa in der Landwirtschaft, wurden in den 50ern weit mehr Menschen als heute beschäftigt, aber überwiegend waren es mitnichten Landwirte, sondern Hilfskräfte, zwar oft auf bestimmte Tätigkeiten spezialisiert, die aber von Landwirtschaft kaum eine Ahnung hatten.
Vermutlich meinst Du die Beschäftigtenzahlen. Die Berufe/Berufsbilder entwickelten sich nämlich nicht zurück, wurden vielmehr im Laufe der Zeit anspruchsvoller. Um beim Beispiel Landwirt zu bleiben: Das sind heute nicht selten Leute mit akademischem Abschluss.
Zu den wenigen Berufen, die weitgehend ausgestorben sind, gehören die von Dir erwähnten Bauarbeiter, auch Hafenarbeiter. Die Leute, die früher Nägel gerade klopften und Mörtel aus einer Schaufel Zement und 4 Schaufeln Sand mischten, ansonsten Steine Leitern hochschleppten und stets dafür zu sorgen hatten, dass genug Bier zum Frühstück bereit stand, werden nicht mehr gebraucht. Gilt ebenso für Hafenarbeiter, die nur gesund, kräftig und bei Schichtbeginn halbwegs nüchtern sein mussten, um mit der Sackkarre nicht über 'n Kai zu fahren und im Wasser zu landen, wurden in den 50ern massenhaft gebraucht. Ähnliches gilt auch für Beschäftigte im Straßenbau, wo früher viele Leute beschäftigt wurden, die eine Schaufel halten konnten, aber viel mehr nicht.
In allen Bereichen wurden auch früher Fachleute gebraucht, die ihren Beruf gelernt hatten. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Nur die Anzahl der beliebig austauschbaren Hilfskräfte, die im Winter Kohlen und in der frostfreien Zeit Steine schleppen, ist dramatisch bis nahe Null zurück gegangen.
Was Du unter xyz-Arbeiter subsumierst, sind heute Menschen mit zumeist mittlerem Schulabschluss (gar nicht so selten Abitur) und Gesellen- bzw. Facharbeiterausbildung von 3 bis 3,5 Jahren. Was früher dem Dümmsten im Dorf vorbehalten war, etwa Schafe zu hüten, erfordert heute eine 3-jährige Ausbildung zum Tierwirt-Schäferei. Wer sich in einer modernen Schäferei umsieht, merkt schnell, dass es sich um keinen Job für Minderbemittelte handelt. Siebenstelliger Umsatz und achtstelliges Anlagevermögen werden nicht von Idioten gehandhabt. Die heutige Realität verträgt keinen Vergleich mit den 50ern.
Ein anderes Beispiel sind Schuhmacher, die früher in jeder Gemeinde zu den größten Zünften gehörten. Ist seit Jahrhunderten ein Lehrberuf, aber weitgehend abgelöst durch industrielle Fertigung. Aber eben nur weitgehend. Wer eine orthopädische Sonderanfertigung, den speziellen Laufschuh oder das maßgefertigte Paar Schuhe haben will, muss sogar als Spitzenpolitiker um einen Termin nachsuchen und für das Paar Galoschen einen hohen vierstelligen Preis berappen. Ähnliches gilt für den maßgefertigten Zwirn, der kleine, aber feine Unterschiede zum Kreti & Pleti-Anzug von der Stange aufweist, u. a. eine satte Zehnerpotenz beim Preis.
Mit solcher Aufgabenstellung wird man zu unbrauchbaren Aussagen kommen. weil die heutigen Strukturen vieler Berufe und Branchen mit denen der 50er nicht vergleichbar sind. Zudem kann von Zurückentwicklung von Berufen keine Rede sein. Es gibt fast alle Berufe nach wie vor, nur mit veränderten Profilen und i. d. R. höheren Ansprüchen. Hinzu kommt in vielen Bereichen ein Strukturwandel vom Handwerk zur industriellen Fertigung für die Ansprüche bei Massenartikeln.
Zurück zur Überschrift: Berufesterben hat weder stattgefunden, noch ist es absehbar. Die auf schierem Körpereinsatz oder Routine ohne nennenswerten Einsatz von Intellekt beruhenden Tätigkeiten werden zunehmend durch Maschinen ersetzt. Aber das ist eine seit Beginn des Einsatzes von Dampfkraft zu beobachtende Entwicklung und nicht wert, die arme, längst altersschwache Sau durchs Dorf zu treiben.
Gruß
Wolfgang