Hallo lieber werweißwas-Experte,
heute wende ich mich an dich, weil ich selbst nicht weiter weiß. Ich bin seit zwei Monaten wegen berufsbedingter Überlastungsdepression krank geschrieben und kann mir auch nicht vorstellen, an meinen Arbeitsplatz zurück zu kehren, Deshalb such verzweifelt, nach einer Perspektive. Ich bin gelernte Steuerfachgehilfin mit Weiterbildung zur Personalfachkauffrau (Abschluß 2002). Seit 2001 bearbeite ich in einer Behindertenwerkstatt den Behindertenlohn. Es waren 1450 Personalfälle, deshalb mein Zusammenbruch. Behindertenlohn ist Lohn, der einerseits ganz normaler Lohn ist, denn DEÜV, Lohnsteuer, SV und Arbeitsrecht sind auch hier Thema, andererseits sind die Auszahlungsbeträge gering, Es gibt kein Umlagen. Dafür muss man mit Kostenträgern Erstattungen abrechnen. Man hat unheimlich viele Kontakte, denn neben den behinderten Menschen rufen Angehörige, Gruppenleiter, Sozialarbeiter, gesetzliche Betreuer, Kostenträger uvm. an, um sich bestimmte Sachverhalte erläutern zu lassen. Daneben habe ich mich um die Rentenansprüche der behinderten Menschen gekümmert (Anträge, vorbereitet, Bescheide gerpüft und evtl. Widersprüche geschrieben). Dies Arbeit hat mir echt mal viel Freude gemacht. Aber jetzt bekomme ich eine Angstattacke, wenn ich mir vorstelle, sie wieder ausüben zu müssen.
In den letzten Jahren habe ich mich hier und da schon mal auf andere Stellen beworben, aber leider die Erfahrung gemacht, dass das Wort Behindertenlohn offenbar den Eindruck erweckt, dass ich nur „behinderten Lohn“ beherrsche.
Ich möchte mich umorientieren und eigentlich gar keinen Lohn mehr machen. Nun bin ich aber in diesem Thema irgendwie festgefahren. Ich glaube, ich muss irgend eine Spezialisierung oder Weiterbildung machen, um auch für andere AG attraktiv zu werden.
Hast du vielleicht eine Idee?
Wenn ich nicht schon 49 wäre, würde ich auch Soziale Arbeit studieren,Abitur habe ich, aber das müsste ich auch irgendwie finanzieren.
Ich bitte dich um deine Hilfe.
Liebe Grüße.
gretel
Liebe Gretel,
Ihre momentane Situation scheint mir sehr verzwickt und schwierig zu sein, wenn ich es ungefähr richtig verstehe, was Sie schreiben. Ich will versuchen, Ihnen ein paar Impulse zu geben. Greifen Sie einfach die Anregungen auf, die Ihnen hilfreich erscheinen, und ignorieren Sie die anderen.
-
Ich denke, Sie sind in eine wirklich schwierige Situation geraten, die sich nur schrittweise und nach und nach auflösen lässt. Ich habe selbst schon Ähnliches erlebt und kann von daher sagen: Eine solche Situation dauert nicht ewig. Sie verändert sich nach und nach, auch wenn das jetzt überhaupt nicht zu erkennen ist. Ich wünsche Ihnen Kraft und Mut, den Gegebenheiten ins Auge zu blicken und die Schwierigkeiten schrittweise zu überwinden.
-
Es erscheint mir sinnvoll zu sein, dass Sie sich ausgebildete Begleiter (Therapeut/in) suchen, die Sie unterstützen. (Vielleicht haben Sie sie ja auch schon.) Bei einer schweren Depression braucht man einfach Hilfe für eine gewisse Zeit!
Ich bin ja eher für den beruflichen Bereich kompetent, daher im Folgenden noch ein paar Anregungen direkt dazu:
-
Ich denke, Ihr Arbeitgeber hat nicht verantwortlich gehandelt, wenn er Ihnen die Lohnbearbeitung von über 1.400 Personalfällen in einem so komplexen Bereich zugemutet hat. In einer gewissen Weise hat es etwas Gutes, dass Sie jetzt ausgefallen sind. Denn dadurch wird sichtbar, was Sie bisher geleistet haben (und was - wie ich vermute - viel zu wenig gewürdigt oder auch nur erkannt wurde).
-
Sie schreiben: „Diese Arbeit hat mir echt mal viel Freude gemacht.“
Das halte ich für einen guten Anknüpfungspunkt: Was war damals anders, als Ihnen Ihre Arbeit Freude gemacht hat? Welche Arbeitsbedingungen hatten Sie damals? Wie haben sich Kollegen und Vorgesetzte damals verhalten? Wie haben Sie sich selbst verhalten?
Wenn Sie das einmal genauer untersuchen, kann das vielleicht Ihre Stimmung ein bißchen aufhellen, und Sie können besser erkennen, was Sie wirklich BRAUCHEN an Bedingungen, um Ihre Arbeit gut zu machen und sich dabei wohl zu fühlen.
Vielleicht lassen sich Wege für Sie finden, zunächst weiter beim „Lohn“ zu bleiben und wieder Freude an dieser Arbeit zu haben. Vielleicht bei einem anderen Arbeitgeber, vielleicht aber auch unter veränderten Bedingungen bei Ihrem jetzigen Arbeitgeber.
(Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten. Meine Ausführungen sind wirklich nur als ANREGUNGEN gemeint. Mir ist bewusst, dass eine schriftliche Botschaft Ihrer Komplexen Situation kaum gerecht werden kann. Daher noch einmal meine Bitte: Versuchen Sie es nur als einen Denkanstoß zu nehmen, was ich schreibe.)
- Sie schreiben auch, dass Sie sich einige Male beworben haben, um Ihre Stelle zu wechseln, und dass Sie vermuten, Sie haben keine guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, weil Sie „nur“ Behindertenlohn beherrschen.
Ich denke darüber anders: So wie Sie es beschrieben haben, haben Sie durch Ihre Arbeit bewiesen, dass Sie mit besonders komplexen Situationen und Bedingungen der Lohnbearbeitung umgehen können. Könnte das jeder, was Sie getan haben? Ich denke, nein. Sie haben durchaus Besonderes geleistetet. Und vermutlich haben Sie auch viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen.
Das sind meiner Ansicht nach große Stärken, auf die Sie vielleicht aufbauen könnten. Wenn Sie sich selbst so präsentieren, dass Sie mit besonders komplexen Aufgaben in Ihrem Beruf umgehen können, dann sehen Ihre Chancen vielleicht ganz anders aus.
Wahrscheinlich wäre es hilfreich, wenn Sie auch speziell für die berufliche Orientierung einen Experten an Ihrer Seite hätten. Jemand mit dem Sie persönlich sprechen können. Wenn das für Sie eine Option ist, können Sie auf dem Portal www.karriereexperten.com schauen, wer in Ihrer Gegend dafür in Frage kommt.
Ich hoffe, dass Sie mit meinen Ausführungen ein bißchen etwas anfangen können, und ich wünsche Ihnen Kraft und Mut, Schritt für Schritt und mit Geduld durch Ihre Schwierigkeiten hindurch zu gehen. Und ich wünsche Ihnen auch, dass Sie dabei Menschen um sich haben, die Sie dabei gut begleiten.
Mit herzlichen Grüßen
Holger Moller
Hallo Gretel,
als Coach würde ich mit Ihnen zusammentragen, was Sie können und welche Ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse bei einer neuen Arbeitsstelle unbedingt wieder in Einsatz kommen sollen.
Auf Stellenausschreibungen würde ich vor allem dieses in den Vordergrund stellen, kein Mensch zwingt Sie, den „Behindertenlohn“ explizit zu nennen. Sie haben Lohnabrechnung gemacht.
Was statt „Lohn“ würden Sie gerne machen? Ist es tatsächlich dieses Thema, das Sie abschreckt oder vielmehr die Rahmenbedinungen, die nicht stimmten? Welche wären aus Ihrer Sicht die richtigen? Solche Vorstellungen sollten Sie bei der Verhandlung um eine neue Stelle einfließen lassen.
Es gibt aus verzwickten Situationen auch immer etwas zu lernen, damit Sie nicht an einer neuen Stelle wieder in dei gleiche Lage kommen. Also: Was haben Sie getan, um das Arbeitsvolumen einzugrenzen bzw. auf die kommende Überforderung aufmerksam zu machen? Was hätten Sie noch tun können? Hier liegt vermutlich auch ein Ansatzpunkt, denn als Artbeitnehmer (vor allem im sozialen Bereich) versucht man leider oft zu lange, Dinge auszuhalten anstatt anzusprechen.
Welchen Nutzen hätte ein potenzieller Arbeitgeber von Ihren Fähigkeiten? Stellen Sie dies in einer Bewerbung heraus. Nicht dass Sie eine Stelle suchen, sondern welche Aufgaben Sie übernehmen können. Schreiben Sie nicht nur, was Sie gemacht haben, sondern in welcher Qualität, wie haben Sie etwas getan? Worauf kommt es bei Ihrer Arbeit an ujnd worauf legen Arbeitgeber Wert? Fristgerecht zu sein, immer auf dem neuesten fachlichen Stand? Oder was sonst?
Sie haben mit den verschiedensten Menschen zu tun gehabt und mussten Sachverhalte erläutern. Wo kann man diese Fähigkeit noch gebrauchen?
Was reizt Sie an sozialer Arbeit? Gibt es einen anderen Einstieg als das Studium? Nehmen Sie Kontakt auf mit informierten Gesprächspartnern aus diesem Feld und hören Sie, welche Möglichkeiten es gibt.
Die Zeit der Krankschreibung sollten Sie unbedingt nützen, gesundheitlich wieder auf Vordermann zu kommen, d.h. tun Sie sich Gutes: gehen Sie in die Natur, machen Sie Sport, treffen Sie Freunde, lassen Sie die Seele baumeln. Wenn es Ihnen nicht gut geht und Sie sich nicht fit fühlen, wird es schwer werden, einen neuen Arbeitgeber von sich zu überzeugen. Außerdem werden Ihnen in der Muße bessere Ideen für die beruflche Zukunft kommen als wenn Sie angestrengt darüber nachdenken.
Ich hoffe, meine Überlegungen und Anregungen helfen Ihnen ein Stück weiter. Es darf nicht darum gehen, was will ich nicht mehr, sondern was will ich stattdessen? Hier ist die Tür.
Herzliche Grüße und alles Gute
Ursula Kraemer