Ein Schwank aus meiner Jugend - es ist 25-30 Jahre her, daher bitte ich um Nachsicht, wenn ich nicht die richtigen Fachbegriffe verwende.
Damals überfuhr ich eine Ampel bei rotem Signal. Und zwar eideutig lange. Ich war unaufmerksam. Per Post bekam ich die Information zum Fahrverbot mit einer Dauer von 3 Monaten. Aus Gründen, die für die Geschichte irrelevant sind, legte ich Einspruch ein, was damals automatisch zu einer Verhandlung vor einem Richter führte. Um diese Person kennen zu lernen, war ich mehr als eine halbe Stunde zu früh da und setzte mich auf die Besucherbank im Gerichtszahl.
Der erste Fall war interessant: Zeuge fehlte, es gab die Anweisung an die Person neben dem Richter, ein „Ordnungsgeld“ zu verhängen mit der Androhung der Zuführung, bei Wiederholung der Abwesenheit.
Der zweite Fall fiel aus selbigen Grund komplett aus. Was den Richter dazu brachte, sich mit mir locker zu unterhalten. Hier das Gedächtnisprotokoll:
„Na, wen haben wir denn da? Sind sie Kunde bei mir?“
„Ja, Euer Ehren, mein Name ist Pierre, ich bin der Fall von 10:30.“
„‚Euer Ehren‘ heißt es nur in den Übersetzungen amerikanischer Filme. In Deutschland sagt man ‚Herr Vorsitzender‘ oder ‚Herr Richter‘. Na dann schauen wir mal, was wir da haben.“
Richter schaut über die Akten.
„Also wenn ich ihnen einen Tipp geben darf: ziehen Sie ihren Einspruch zurück, bevor der Fall aufgerufen wird. Das Fahrverbot tritt dann sofort in Kraft, sie müssen Ihren Führerschein direkt hier abgeben und fahren die nächsten 3 Monate nicht selbst mit dem Auto. Warum schlage ich ihnen das vor? Ich ändere die Urteile der Bußgeldstelle nur dann ab, wenn sie nachweislich fehlerhaft sind. Aber auf gar keinen Fall, nur weil die Person ihren Führerschein braucht. Ja, ich habe schon Krankenwagenfahrern, Feuerwehrmännern und anderen Berufskraftfahrern ihren Führerschein abgenommen. Und bei denen ist nicht nur das Wohlempfinden gestört, sondern die Erwerbsquelle steht in Gefahr zu versiegen. Warum mache ich das? Gerade Menschen, die für ihr Wohlbefinden oder den Erwerb auf das Auto und den Führerschein angewiesen sind, sollten besonders darauf achten und ihn nicht leichtfertig aufs Speil setzen. Und davon abgesehen sieht die Rechtsprechung und der Bußgeldkatalog keinen Unterschied in der Bestrafung vor, zwischen Menschen, die ihren Führerschein dringend brauchen und denen, die ihn nur ab und zu brauchen.“
Nach dieser Rede zog ich mündlich meinen Einspruch zurück, trat an den Richtertisch und gab meinen Führerschein ab. Schwer beeindruckt verließ ich das Gericht und habe nie wieder versucht, gegen Bußgeldbescheide Widerspruch einzulegen, die sachlich korrekt und entsprechend eines Katalogs geahndet wurden.
Was will ich mit diesem Schwank sagen? Nur weil man den Führerschein braucht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen oder das Leben einfacher zu machen, gilt für einen kein besonderes Recht. Man darf nicht mehr Rechte für sich beanspruchen, nur weil man meint, ohne Führerschein verloren zu sein. Das Ergebnis wäre, wie es der Richter damals andeutete, eine Zwei-Klassen-Bestrafung.
Grüße
Pierre