Betrachtungs- oder Wirklichkeitsebenen

Hallo verehrte Philosophen

verschiedene Betrachtungs- oder Wirklichkeitsebenen die hirarchisch aufeinander aufbauen oder sich voneinander ableiten, über- oder untergeordnet werden, wie z.B. Soziologie, Psychologie, Neurologie, Biologie, Chemie, Physik - da gibt es die seltsamsten Theorien - - gibt es dafür inzwischen einen eingespielten Begriff?

ganz herzlich
Friedhelm

Guten Tag!

verschiedene Betrachtungs- oder Wirklichkeitsebenen die
hirarchisch aufeinander aufbauen oder sich voneinander
ableiten, über- oder untergeordnet werden, wie z.B.
Soziologie, Psychologie, Neurologie, Biologie, Chemie, Physik

  • da gibt es die seltsamsten Theorien - - gibt es dafür
    inzwischen einen eingespielten Begriff?

Der mit Abstand eingespielteste Begriff dafür ist der Kampfbegriff (v.a.) GEGEN diese „Hierarchie der Wissenschaften“. Er lautet: (wissenschaftstheoretischer) Reduktionismus.

Einer der eingespielteren affirmativen Begriffe für diese Hierarchie der Wissenschaften ist wohl der der „Einheitswissenschaft“ (auch wenn dieser noch weiteres aussagt).

Ich selbst würde von „naturwissenschaftlicher Hybris“ sprechen :wink:

E.T.

Ich selbst würde von „naturwissenschaftlicher Hybris“ sprechen
:wink:

E.T.

Hallo Ernst,
Danke erstmal, - an Kompetenzstreitbegriffe hatte ich eigentlich nicht gedacht, wenn man dem anderen Physikalismus, Psychologismus, Materialismus usw. vorwirft, - oder Spiritismus.
Ohne Vorwurf und wertneutral kann man aber doch z.B. Mathematik, Physik, Chemie, Neurologie, Psychologie und Soziologie als eigene Wissenschaften lehren, die eben Berührungspunkte und Überschneidungen haben.
Friedhelm

Guten Abend!

Danke erstmal, - an Kompetenzstreitbegriffe hatte ich
eigentlich nicht gedacht, wenn man dem anderen Physikalismus,
Psychologismus, Materialismus usw. vorwirft, - oder
Spiritismus.

Materialismus und Spiritismus haben mit dem angeführten „Reduktionismus“ im Rahmen der „Hierarchie der Wissenschaften“ nichts zu tun, zumindest nicht auf direkte Weise.

Es geht -schematisch gesagt- um die Reduktion des Sozialen auf Psychisches, des Psychischen auf Biologisches, des Biologischen auf Physikalisches.

Mit Kompetenzstreit hat das auch nicht viel zu tun, so man nicht jegliches wissenschaftliche Tun als Kompetenzkampf analysieren will.

Ohne Vorwurf und wertneutral kann man aber doch z.B.
Mathematik, Physik, Chemie, Neurologie, Psychologie und
Soziologie als eigene Wissenschaften lehren, die eben
Berührungspunkte und Überschneidungen haben.

So ist es.

E.T.

Der Streit, welche Priorität das Wissen hat, ist heute meines Erachtens ganz klar: Wissen soll nützen! Die Uneinigkeit darüber, was nützlicher ist, das Wissen über die Natur oder über den Menschen, ist so alt, wie unsere westliche Philosophie. Die Emanzipation des philosophischen Wissens gegenüber dem von der Gesellschaft vorgeschriebenen GLAUBEN war zuerst das Wissens über die Natur, daraus entstand später dann die Naturwissenschaft.

Der Begriff der „Wissenschaft“ entstand aber erst mit der „subjektiven Wende“ des SOKRATES, der das Wissen der Naturphilosophie als für das praktische Leben keinesfalls als das nützlichste ansah, zumindest nicht so nützlich wie das politische Wissen und das Wissen zur subjektiven Selbsterkenntnis. Seit dieser Zeit der „subjektiven Wende“ durch SOKRATES gibt es diese „zwei Kulturen“ (vgl. C. P. Snow), die noch heute miteinander im unversöhnlichen Streit liegen um die Priorität des Wissens, wobei die Naturwissenschaft den eigentlichen unzweifelhaften Sieg errungen hat. Was wäre unsere hochtechnisierte Welt ohne die philosophischen Grundlagen der Mathematik, Geometrie, Physik und Chemie???

Was aber wäre die zukünftige Welt mit nur noch der Herrschaft des rein naturwissenschaftlichen „neutralen“ und „unpolitischen“ Wissens??? Bedenken wir unsere naive Autoritätsgläubigkeit gegenüber dem Absolutheitsanspruch der Naturwissenschaft und gegenüber der technischen Machbarkeit, so sehen wir die extreme Begrenztheit von Wissen durch die Herrschaft des Reduktionismus, der durch den Fokus auf die einzelnen Teile die Ganzheit des Menschen aus dem Blick verloren hat. Denken wir an die verheerenden Umweltkatastrophen der Industrialisierung und der Vernichtung des eigenen qualitativen Lebensraumes.

Die Betrachtungs- und Wirklichkeitsebenen werden sich nur dann „aufklären“, wenn wir die Wissenschaften nicht mehr nur unter dem Aspekt der „neutralen“ und „unpolitischen“ Naturphilosophie bzw. der Naturwissenschaft betrachten, sondern unter dem Aspekt des politischen SOKRATES. „Sokrates ist unser Vorbild“, sagt die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum, die als Professorin Philosophie lehrt an der Universität Chigago. Das ist eine Orientierung für ein lebenslanges Lernen am praktischen Nutzen für das Leben. Und aus dieser Neu-Orientierung eines „subjektwissenschaftlichen“ bzw. „expansiven Lernens“ (vgl. die Psychologie von Prof. Klaus Holzkamp), stellen sich die Betrachtungs- und Wirklichkeitsebenen für mich folgendermaßen hierarchisch dar:

Mathematik, Geometrie, Physik, Chemie, Biologie, Soziologie, Psychologie und Philosophie, in dieser Reihenfolge von unten nach oben, die nicht reduzierbar ist nur auf eine Einheitswissenschaft oder Falsifikation und Verifikation, sondern die Philosophie beinhaltet das gesamte Wissen der Menschheit zum Nutzen des einzelnen Menschen zu seiner „Wahl“. Der Fokus liegt hierbei also nicht mehr auf einer Betrachtungs- und Wirklichkeitsebene, wie beim Physikalismus als Leitwissenschaft, sondern auf dem SUBJEKTIVEN Lernen zum praktischen Leben. Dagegen ist und bleibt das Wissen des SOKRATES das höchste Wissen in einer Hierarchie der Betrachtungs- und Wirklichkeitsebenen, jedenfalls ist dieses Wissen für mich persönlich nützlicher als nur die „Mechanik“.

Tippfehler
Selbstverständlich geht es um die Universität „Chicago“.

Hallo Claus,
Danke für den großen Entwurf, der natürlich ganz unterschiedliche Richtungen angebrachter oder unangebrachter Skepsis geradezu provoziert.
Mir ging es aber eher um den vielleicht bestehenden Überbegriff verschiedener Wissenschaften, wenn man ganz wertneutral je nach Kontext von verschiedenen Disziplinen, Fakultäten, Fächer, Lehrfächer, Lehr- oder Forschungsbereiche, Sparten, Rubriken usw. spricht, ohne daß damit das Verhältnis zueinander fokussiert wird wie z.B. bei dem problematischen Begriff „unterschiedlicher Emergenzebenen“.

Guten Abend!

Danke erstmal, - an Kompetenzstreitbegriffe hatte ich
eigentlich nicht gedacht, wenn man dem anderen Physikalismus,
Psychologismus, Materialismus usw. vorwirft, - oder
Spiritismus.

Materialismus und Spiritismus haben mit dem angeführten
„Reduktionismus“ im Rahmen der „Hierarchie der Wissenschaften“
nichts zu tun, zumindest nicht auf direkte Weise.

Naja, - angesichts blühender Esoterik sprechen heute selbst Mediziner von einer spirituellen Ebene menschlicher Existenz.

Es geht -schematisch gesagt- um die Reduktion des Sozialen auf
Psychisches, des Psychischen auf Biologisches, des
Biologischen auf Physikalisches.

Mit Kompetenzstreit hat das auch nicht viel zu tun, so man
nicht jegliches wissenschaftliche Tun als Kompetenzkampf
analysieren will.

würde ich nicht sagen. Man kann manche medizinische Therapie heute als eine chemische Steuerung des Menschen auffassen, - indirekt also den Menschen als chemischen Prozess verstehen.

Ohne Vorwurf und wertneutral kann man aber doch z.B.
Mathematik, Physik, Chemie, Neurologie, Psychologie und
Soziologie als eigene Wissenschaften lehren, die eben
Berührungspunkte und Überschneidungen haben.

So ist es.

  • und das setzte ich eigentlich als Konsenz voraus, wenn ich nach einem Überbegriff fragte für die verschiedenen Wissenschaften wenn man z.B. wertneutral je nach Kontext von verschiedenen Disziplinen, Fakultäten, Fächer, Lehrfächer, Lehr- oder Forschungsbereiche, Sparten, Rubriken der Wissenschaft spricht, ohne daß damit das Verhältnis zueinander thematisiert wird wie z.B. bei dem problematischeren Begriff unterschiedlicher Emergenzebenen.

ganz herzlich
Friedhelm

Hallo verehrte Philosophen

Hallo

verschiedene Betrachtungs- oder Wirklichkeitsebenen die
hirarchisch aufeinander aufbauen oder sich voneinander
ableiten, über- oder untergeordnet werden, wie z.B.
Soziologie, Psychologie, Neurologie, Biologie, Chemie, Physik

  • da gibt es die seltsamsten Theorien - - gibt es dafür
    inzwischen einen eingespielten Begriff?

Eine solche Unterteilung gibt es nur innerhalb der Wissenschaften, also wenn ein Teilgebiet untersucht wird, das echt im Gebiet einer Wissenschaft liegt.
Die Wissenschaften unterscheiden sich darüber hinaus in:
Methode und Gegenstand. Die Soziologie und die Psychologie sind echt verschieden, die Philosophie und die Physik ebenso. Was soll das also bedeuten, übergeordnet? Im Anspruch näher an einer mystischen Wahrheit über die Welt? Keine Ahnung, ich kann es nicht entscheiden, denn dazu müsste ich das Wissen auch von der Seite des Nichtgewussten her beurteilen können, also alles wissen, was ich nicht tue.

ganz herzlich
Friedhelm

Beste Grüße

Eric

Hallo,
will nur noch eins drauf setzen: Der GLAUBE an eine „Wertneutralität“ von Wissenschaft, sowohl im eigenen Fachbereich als auch in den Fakultäten untereinander, mag ja für Schule und Ausbildung das einzige richtige Konzept sein zur Disziplinierung des schon vorhandenen Wissens, aber es gibt diese „Wertneutralität“ nicht wirklich, wie wir als Philosophierende längst alle wissen sollten. Man kann zwar weiter an eine „Wertneutralität“ GLAUBEN, aber es widerspricht den neuesten Erkenntnissen selbst reflektierender Wissenschaftler, weil der Nutzen von Wissenschaft sich nicht nur auf den begrenzten universitären Schulbereich reduzieren lässt, sondern vielmehr auf den Nutzen für das „wirkliche“ Leben verweist. Natürlich ist mir klar, dass ich damit provoziere.
Gruß
C.

1 Like

Verlorene Sicherheit

Die Wissenschaften unterscheiden sich darüber hinaus in:
Die Soziologie und die Psychologie
sind echt verschieden, die Philosophie und die Physik ebenso.
Was soll das also bedeuten, übergeordnet? Im Anspruch näher an
einer mystischen Wahrheit über die Welt? Keine Ahnung…

Offensichtlich suchen heute streng gläubige Reduktionisten nach einem „philosophischen Überbau“. Das kommt durch die Medien-Explosion, die täglich blitzschnell Informationen und neues Wissen um den ganzen Globus verbreiten und man in keinem Fachbereich mehr sicher sein kann, auf dem neuesten Stand einer, geschweige denn aller Wissenschaften zu sein.

Es ist diese „neue Unübersichtlichkeit“ (Habermas), die nach einer vermeintlichen „Einheit“ allen Wissens sucht und so viele Menschen in die alten Religionen treibt oder in esoterische Neuschöpfungen, die aus einer Vermischung von Religion und Wissenschaft entstehen.

Letztlich erkenne ich darin ein Bedürfnis nach Identität, die durch die Springflut des Wissen unsicherer ist als je zuvor in der Menschheitsgeschichte. Dagegen war die Identität noch ohne jeden Zweifel, als die Menschen noch an eine einzige und absolute „Wahrheit“ glaubten. Ich sehe in der Frage des UP eine Suche nach der verlorenen Sicherheit.

Gruß
C.

Hallo,
will nur noch eins drauf setzen: Der GLAUBE an eine
„Wertneutralität“ von Wissenschaft, sowohl im eigenen
Fachbereich als auch in den Fakultäten untereinander, mag ja
für Schule und Ausbildung das einzige richtige Konzept sein
zur Disziplinierung des schon vorhandenen Wissens, aber es
gibt diese „Wertneutralität“ nicht wirklich, wie wir als
Philosophierende längst alle wissen sollten.

Hallo Claus,

Recht hast Du. Danke für den Beitrag!
Wissenschaftlichkeit als Qualität, Adel, Dignität oder Wahrheitsgarantie weil statt „subjektiv“, d.h. statt abhängig von der Glaubwürdigkeit irgendwelcher Menschen und Gurus, viel besser, eben „objektiv“ weil „beweisbar“, ist als Anspruch eben „Schulweisheit“ und nicht mehr.
Allegorisch gesehen könnte ein Theologe sagen: Nachdem der Mensch von der Frucht er Erkenntnis aß, schämte er sich seiner Subjektivität als Nacktheit.
Ob diese Wissenschaften die Menschheit zur Allmacht und zum Glück verhelfen oder zu ihrem schnellen Untergang - ich denke an die schöne Story „Die wahre Lehre nach Mickymaus“ - das Geschöpf rechnet ab mit dem Schöpfer - Jesus sagte nicht „ich weiß die Wahrheit“ statt dessen „ich bin die Wahrheit“.
Wir Menschen können keine Erkenntnis haben, die nicht (nur) Erkenntnis ist.

ganz herzlich
Friedhelm

Guten Abend!

Natürlich ist mir klar, dass ich damit
provoziere.

Nö.
Ich halte das eher für eine Binsensweisheit.
Umgekehrt nervts aber ziemlich, wenn jedes Sachargument auf „Kompetenzrangeleien“ und dergleichen reduziert wird.

E.T.

wenn jedes Sachargument auf „Kompetenzrangeleien“ und dergleichen :reduziert wird.

So ist das Leben! Das musst schon aushalten, auch wenn es dich noch so SCHMERZT :smile:

Grüße aus der Hinterwelt!
C.

Mein lieber Friedhelm,

das ist ein Text, der alles so „packt“, wie ich es auch gerne gesagt hätte, allein mir fehlten die Worte!
Gigantisch!!!

Schöne Grüße
C.

Was aber wäre die zukünftige Welt mit nur noch der Herrschaft
des rein naturwissenschaftlichen „neutralen“ und
„unpolitischen“ Wissens???

Hallo,
ich bin begeistert über diesen Beitrag.
Es mag zwar etwas neben der Spur sein, aber mir schoss durch den Kopf:
Wer war Eichmann?

(und dann noch die technokratischen Psychotherapien. Erklärung: Die amerikanischen Kriegspsychiater versuchen Traumaopfer durch verhaltenstherapeutische Methoden der Abhärtung = Verrohung zu kurieren.
Ich frage, als humanistischer Therapeut mit Rogers nach erwähntem Sokrates).
Ich hoffe, ich hab jetzt nicht zu viel Blödsinn verzapft.
gruß auch

Hi.

Letztlich erkenne ich darin ein Bedürfnis nach Identität, die
durch die Springflut des Wissen unsicherer ist als je zuvor in
der Menschheitsgeschichte.

Ob die sich diesbezüglich sicherer fühlten als wir jetzt?
Warum schafften sie dann Religion, Philosophie und Wissenschaft?

Ich sehe in der Frage des UP
eine Suche nach der verlorenen Sicherheit.

Und ich hedonistischen Neugier:smile:

Gruß.

Balázs

Hi Balazs,

Ob die sich diesbezüglich sicherer fühlten als wir jetzt?
Warum schafften sie dann Religion, Philosophie und
Wissenschaft?

Das „Totem“ der Naturvölker und die Weiterentwicklung des menschlichen Geistes durch Religion, Philosophie und Wissenschaft führt meines Erachtens weg von einem sicheren Identitätsgefühl einer einzigen und absoluten „Wahrheit“, vor allem durch die technische Medienrevolution, wie Buchdruck, von Gutenberg bis zu Presse, Funk und Fernsehen, Computer und Internet, durch die es „Explosionen“ von Wissen gibt, ohne Ende.

Ich sehe in der Frage des UP
eine Suche nach der verlorenen Sicherheit.

Und ich hedonistischen Neugier:smile:

Das Eine bedingt wahrscheinlich das Andere, aber „hedonistische Neugier“ gefällt mir auch besser als nur einseitige „verlorene Sicherheit“ :smile:

Gruß, anlässlich der „heiligen Woche“ in Spanien, wo die christliche Frömmigkeit besonders fanatisch ist, vor allem in Sevilla, seit dem Mittelalter :frowning:
C.

Hi Claus.

Das „Totem“ der Naturvölker und die Weiterentwicklung des
menschlichen Geistes durch Religion, Philosophie und
Wissenschaft führt meines Erachtens weg von einem sicheren
Identitätsgefühl einer einzigen und absoluten „Wahrheit“,

Wenn ich bedenke, dass alle Lebewesen waren, sind und werden a priori bedroht und in Sicherheit können sich vielleicht die Viren wiegen, dann sieht mir die Sache gerade umgekehrt aus.
Diese Unsicherheit irgendwie zu mildern war die Triebfeder.
Das Paradies wurde ja geschlossen:smile:.

Gruß, anlässlich der „heiligen Woche“ in Spanien, wo die
christliche Frömmigkeit besonders fanatisch ist, vor allem in
Sevilla, seit dem Mittelalter :frowning:

Amüsiere dich gut.-)

Gruß

Balázs