Lateinischen Bibeldruck gesucht (15./16. Jh.) ?
Eine Frage (nur?) für Spezialisten - ich kenne mich auf diesem Gebiet der internen katholischen Kirchentraditionen nicht aus!
Die „Stuttgarter Vulgata 1519“, gedruckt in Lyon 1519, ist’s (auch für das AT) nicht:
http://www.wlb-stuttgart.de/sammlungen/bibeln/bestan…
[Gn 5-8] http://www.wlb-stuttgart.de/bibel/01_GENES/0066_067.JPG
Ein fraglicher Text [Gn 6:5] stünde dort in der 2. Spalte (Zeile 16 vom neuen Abschnitt), Fettgeschriebenes und Unterstrichenes von mir hervorgehoben:
„Videns autem deus qo multa malicia hominus eſſet in terra:“
Gleichlautend mit (allen?) Handschriften der Übersetzung nach Hieronymus, der meisten Drucke und ab 1592 der offiziellen Vulgata-Clementina (bis 1979).
[Gutenberg-Bibel 1454, dort auf Seite 007r, 1. Spalte, 11. Zeile v.u.]
http://www.gutenbergdigital.de/gudi/dframes/index.htm
[Vulgata-Clementina 1592] http://www.drbo.org/lvb/chapter/01006.htm
Luthers Revision des lateinischen Bibeltextes wär’s ebenso nicht:
http://archive.org/stream/werkediedeutsche0105luthuo…
In den lateinischen Handschriften werden oft die Wörter „deus“ [„Gott“] und „dominus“ [„HERR“] vertauscht. Solche Stellen fänden sich laut der kritischen Handausgabe „Biblia Sacra Vulgata“ von Robert Weber z.B. (in der direkten Umgebung) Gn 6:3,11,17 an denen verschiedene Mss „dominus“ statt „deus“ lesen - nicht aber für Gn 6:5!
Luther übersetzte Gn 6:5-8 …
[Martin Luther, zitiert nach der Erstausgabe von 1523 „Das Allte Testament deutsch. M.Luther. Vvittemberg“; Fettgeschriebenes und Unterstrichenes von mir hervorgehoben]
„Da aber der HERRE ſahe / das der menſchen bosheyt gros war auff erden / vnd alles tichten vnd trachten yhrs hertzen nur boſſ war ymerdar / da rewet es yhn / das er die menſchen gemacht hatte auff erden / vnd es bekummert yhn ynn ſeynem hertzen / vnd ſprach / Jch will die menſchen / die ich geſchaffen hab / vertilgen von der erden / von den menſchen an bis auff das viech / vnd bis auff das gewurme / vnd bis auff die vogel vnter dehymel / Denn es rewet mich / das ich ſie gemacht habe / Aber Noah fand gnade fur dem HERRN.“
[Diese einzigartige Textgestalt wurde bis in die Ausgabe von 1912 (d.h. bis zur offiziellen AT-Revision 1964) beibehalten] http://bibel-online.net/buch/luther_1912/1_mose/6/#1
… ebenso auch Eck in seiner katholischen Gegenbibel:
[Johann Eck (alias Maier), zitiert nach der Erstausgabe von 1537 „Bjbel. Alt vnd new Testament / nach dem Text in der hailigen kirchen gebraucht / durch doctor Johań Ecken / mit fleiß / auf hohteutsch / verdolmetscht“; Fettgeschriebenes und Unterstrichenes von mir hervorgehoben]
„Aber da der herr ſahe / dz groß war die boßhait der menſchen auf erden : vnd das aller gedanck des hertzé was auffmerckig zum übel zu aller zeit : do hat jhn gereüwt das er den menſchen gmacht auf erde : vń ward angeriert inwendig mit ſchmertzen des hertzen / vnd ſprach. Jch will außtilgé den menſché den ich erſchaffen hab / vom angeſicht der erden / vom menſché an biß zu den thieren : vnd vom kriechenden biß an die vögel des himels : dań es rewt mich : das ich ſie gemacht hab : aber Noe hat gnad funden vor dem Herren.“
[Online-Ausgabe Johann Eck, 1537] http://books.google.de/books?id=unhHAAAAcAAJ&printse…
Die für die Erstausgabe bei Georg Krapfen im Druck benutzten Abbreviaturen, von mir hier einfach mit „Akut-Zeichen“ geschrieben:
é = en
ń = nd, nn
Von Eck wird erzählt, dass er einfach nur von Luther abgeschrieben haben soll - das mag für Gn 6:8 „Noe vero invenit gratiam coram Domino.“ zutreffen, wo beide das im hebräischen (und lateinischen) Text enthaltene Wort בעיני / coram umgehen bzw. gleichlautend „einseitig“ übersetzten - nicht aber für Gn 6:5 …
Bedeutungen von עין : http://menadoc.bibliothek.uni-halle.de/ssg/content/p…
Bedeutungen von coram : http://www.frag-caesar.de/lateinwoerterbuch/coram-ue…
Spätere katholische Übersetzungen böten natürlich in Gn 6:5 den Vulgatatext [" Gott" - und nicht „Herr“], in Gn 6:8 aber ebenfalls die Kurzform „vor“ statt „in/aus den/r Augen/Sicht von“:
[Ein katholisches Beispiel aus dem 18. Jh., dort Seite 6f] http://books.google.de/books?id=RVtHAAAAcAAJ&printse…
„5. Da aber GOtt ſahe, daß der Menſchen Boßheit groß war auf Erden, und daß alle Gedanken des Herzen immerdar zum Böſen gerichtet waren:
6. Da reuete ihn, daß er den Menſchen gemacht hatte auf Erden. Und es war ihm inwendig im Herzen leid.
7. Und ſprach: Jch will den Menſchen, den ich erſchaffen hab, von dem Angeſicht der Erden vertilgen, vom Menſchen an biß auf das Viehe, von dem kriechenden Gewürme, biß auf die Vögel des Himmels: Dann es reuet mich, daß ich ſie gemacht habe.
8. Aber Noe fand Gnade für dem HErrn.“
Protestantische Drucke folgen in Gn 6:5 dagegen dem Luthertext, bzw. hinsichtlich der Unterscheidungsmerkmale (Luther: „HERR“, „Gott“ / Eck: „Herr“, „GOTT“) ebenfalls einer Mischung von beiden, Beispiel:
[Zitiert nach: Elias Hutter, Polyglotte 1599 „Biblia sacra, Ebraice, Chaldaice, Graece, Latine, Germanice, Italice, Studio et Labore Eliae Hvtteri“ - deutscher Text]
„5. Da aber der HErr ſahe / das der menſchen boßheit groß war auff erden / vnnd alles tichten vnnd trachten jhres hertzen nur böß war jmmerdar.
6. Da reuet es jhn / daß er die Menſchen gemacht hatte auff erden / vnnd es bekummert jhn in ſeinem hertzen.
7. Vnd ſprach : ich wil die menſchen / die ich geſchaffen habe / vertilgen von der Erden / von den menſchen an / biß auff das Vieh / vnnd biß auff das gewürme / vnnd biß auff die Vögel vnter dem Himel / Denn es reuet mich / daß ich ſie gemacht habe.
8. Aber Noah fand gnad für dem HERRN.“
William Tyndale war 1524 an der Universität Wittenberg eingetragen; von ihm wird berichtet, dass er zu seiner Übersetzung ins Englische die Complutensische Polyglotte (ab 1520) benutzte.
https://sites.google.com/site/tyndaledeutsch/tyndale…
[William Tyndales Übersetzung, gedruckt 1530 in Antwerpen bei Merten de Keyser] http://wesley.nnu.edu/sermons-essays-books/william-t…
„5 And whan the LORde sawe yt the wekednesse of man was encreased apon the erth and that all the ymaginacion and toughtes of his hert was only evell continually
6 he repented that he had made man apon the erth and sorowed in his hert.
7 And sayd: I wyll destroy mankynde which I haue made fro of the face of the erth: both man beast worme and foule of the ayre for it repeteth me that I haue made them.
8 But yet Noe found grace in the syghte of the LORde.“
Tatsächlich bietet die Complutensis an dieser Stelle einen von den üblichen Hieronymustexten abweichenden Wortlaut - leider ist nicht bekannt, welche Handschriften und Drucke der Gelehrte Antonio de Nebrija, dem die Verantwortung für den Vulgatatext übertragen worden war, hierfür zugrunde legte:
[Complutensische Polyglotte] https://ia700401.us.archive.org/17/items/Complutensi…
„Videns autem dominus qo multa malitia hoim eſſet in terra:“
Ich suche daher höchstwahrscheinlich einen lateinischen Bibeldruck mit u.a. dieser Abweichung von der Norm.
[Dass der Klerus sehr reich war zu dieser Zeit, ist bekannt … aber von der Complutensis wurden nur etwa 600 Exemplare gedruckt, wären nicht genug vorhanden gewesen?]
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
joejac