Hallo bae27
Ich würde sagen, die Antwort ist halb richtig. Das Richtige daran ist: Das, was Gott getan hat, geht jeder menschlichen «Gegenleistung» voraus und ist nicht davon abhängig. Der Gott Israels hat sein Volk aus freiem, unergründlichen Willen erwählt. Es verdankt ihm seine Existenz. Das ist die erste Seite des «Bundes». Die zweite Seite ist, dass sein Volk auch etwas zu diesem Bund beisteuert, nämlich die Einhaltung dieser Gebote. Und das nicht nur aus Pflicht, nicht nur aus Dankbarkeit, sondern in der Überzeugung, dass das konstitutiv zum Volk-Israel-Sein dazugehört. Also nicht als Gegenleistung im Sinne eines Handels: «Ich gebe dir das Brot und du gibst mir den Euro», sondern als Grundlage der Existenz als Volk Gottes. Es wird auch nirgends in den 10 Geboten gesagt, was passiert, wenn man sie nicht hält – das ist schlicht nicht vorgesehen. Wer die Gebote nicht hält, kündet den Bund auf und gehört nicht mehr zum Volk. Darum sollte man den Text adäquat eigentlich so übersetzen: «Ich bin JHWH, dein Gott, und du wirst keine anderen Götter neben mir haben».
Das Halten der Gebote ist auch aus einem anderen Grund nicht eine Gegenleistung: Nur das erste Gebot (oder je nach Zählung die beiden ersten) betreffen ja Gott selber: Das Verbot andere Götter zu haben und sich ein Gottesbild zu machen (ob das ein und dasselbe oder zwei verschiedene Gebote sind, ist umstritten). Alle anderen Gebote regeln das Zusammenleben im Volk: Den Namen Gottes nicht missbrauchen heisst: Vor Gericht nicht bei Gott schwören, dass man unschuldig sei, wenn man es nicht ist (die Schuld wurde damals häufig so festgestellt). Das Sabbatgebot hat eine kultische, aber auch eine soziale Komponente; das Gebot, die Eltern zu ehren, meinte, dass man zu ihnen schaut, wenn sie selber nicht mehr dazu fähig sind. Eigentlich sind die Gebote so etwas wie Leitplanken, innerhalb derer ein gerechtes, würdevolles Leben möglich ist. Im Volk Israel war Konsens: Als Israelit mordet man nicht. Punkt. Denn sonst zerstört man die eigene Lebensgrundlage.
Natürlich ist das ein Idealbild, und in Wirklichkeit wurden die 10 Gebote häufig missachtet, das liest man schon im Alten Testament zwischen den Zeilen.
Die heutige Bedeutung der Zehn Gebote geht für mich in die oben angedeutete Richtung: Es gibt ein paar Regeln, die sind fürs Zusammenleben konstitutiv. Wer lügt, zerstört letztlich das Vertrauen in die Kommunikation. Wer stiehlt, sägt an der Sicherheit aller. Wer die Ehe bricht, setzt das Wohl von Familie und Kinder aufs Spiel etc. Sicher müssen wir heute gewisse Gebote in unsere Zeit übersetzen und sie sinngemäss, nicht stur wörtlich anwenden. Jörg Zink hat zu diesem Thema ein gutes Büchlein verfasst: «Neue Zehn Gebote».
Ich hoffe, dass ich mit dieser Antwort etwas klären konnte.
Mit herzlichen Grüssen aus dem verschneiten Emmental
S. Burger