hallo rudolf,
man kann die sache auch andersrum sehen:
Edmund Stoibers jüngste Attacke gegen die Regierung ist ein Ablenkungsmanöver. Denn tatsächlich verdankt die NPD ihren Erfolg dem Versagen der Opposition.
Von Joachim Helfer
Angriff ist die beste Verteidigung: Wenn die rechten Flügelspieler der Union, angeführt vom bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber, dieser Tage die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder für das Erstarken der NPD und anderer Neonazis verantwortlich machen, handeln sie erkennbar nach dieser seit alters in Krieg und Politik, Fußball und Partnerschaft bewährten Devise.
Der zu diesem Entlastungsangriff verwendete Vorwurf indes hat außer dem Überrumpelungseffekt nichts für sich. Zweifellos befindet sich die deutsche Wirtschaft, der deutsche Arbeitsmarkt und in der Folge die deutsche Gesellschaft in keiner guten Lage - und zwar nicht erst, seit neue Berechnungsmethoden das volle Ausmaß der Arbeitslosigkeit etwas redlicher zeichnen als zuvor.
Vergleichsweise mutige Reformen
Zweifellos muss sich eine amtierende Bundesregierung an diesem schlechten Zustand messen und beurteilen lassen, und zwar auch dann, wenn weniger ihre Politik als von ihr nicht steuerbare äußere Einflüsse oder innere Widerstände dessen Ursache sind. Das Volk erwartet von der Regierung keine Entschuldigungen, sondern Erfolge, und das völlig zu recht.
Schlechte Umfrageergebnisse für die Regierung sind angesichts des Offenbarungseides von fünf Millionen Arbeitslosen beim besten Willen nicht anders zu erwarten; dass ohne die, offensichtlich nicht ausreichenden, für deutsche Verhältnisse aber vergleichsweise mutigen und entschlossenen Reformen der letzten Jahre vielleicht sechs oder sieben Millionen auf der Straße stünden, mag die Genossen ein wenig trösten und ihre Kritiker, die ja selbst bald in der Verantwortung stehen könnten, zur Vorsicht mahnen; entschuldigen kann es das offenbare Versagen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik nicht.
Die Unwählbarkeit der Opposition
So weit, so schlecht. Nur galt die Attacke Stoibers ja gar nicht diesem, sondern einem ganz anderen Missstand in Deutschland: dem Anwachsen der NPD. Auch daran will er der Bundesregierung die Schuld zuweisen – und zeigt dabei doch bloß, gerade indem er sie frech zu überspielen versucht, auf die eklatante, seit Bestehen der Bundesrepublik so noch nie gesehene, Schwäche der Opposition. Dass eine Regierung, die die oft versprochene Wende am Arbeitsmarkt offenkundig nicht schafft, bei den Wählern nach über sechs Jahren, in denen sie viele bittere Pillen verschreiben mußte, ohne dass sich schon eine Besserung feststellen ließe, bei den enttäuschten Wählern an Vertrauen und Unterstützung verliert – das ist eine bare Selbstverständlichkeit.
Dass nicht wenige dieser Enttäuschten dann aber, statt die respektablen und politisch erfahrenen Parteien der bürgerlichen Opposition zu wählen, obskuren Wunderheilern und Volksverhetzern in jenen Sumpf folgen, in dem Deutschland schon einmal ersoff: Das kann nicht im Ernst der mangelnden Popularität der Regierung angekreidet werden, sondern der Unwählbarkeit der demokratischen Opposition.
Das Versagen der Rechten
Zu den Grundregeln unserer wie jeder anderen Parteiendemokratie gehört die Arbeitsteilung der demokratischen Kräfte bei den unentwegt notwendigen Befestigungsarbeiten an der republikanischen Ordnung. In Deutschland sah sie bisher stets vor, dass die beiden großen Volksparteien SPD und Union das politische Spektrum so gut abdecken, dass links und rechts davon allenfalls Splittergruppen Platz haben. Die Grünen, von der Union zunächst nicht gänzlich zu unrecht, aber wider besseres Wissen viel zu lange als linksradikal verdächtigt, bestätigen diese Ordnung, indem sie sich längst in die Mitte orientiert haben und ihren Hauptgegner folgerichtig in der FDP ausmachen.
Die PDS ist eine Altlast der Teilung und Einheit, deren Wählerpotential über kurz oder lang in den Volksparteien aufgehen wird, also durchaus nicht nur in der SPD. Wenn aber die politisch so ideenlosen wie indiskutablen, weder sittlich noch intellektuell satisfaktionsfähigen, Hetzer von NPD und DVU just in der Krise einer Mitte-Links-Regierung stark genug erscheinen, nach einigen Landtagen bald auch den deutschen Bundestag besudeln zu können und mit ihm die Würde des ganzen deutschen Volks - dann ist das nicht Schuld und Versagen der regierenden Linken, sondern der opponierenden Rechten.
Parteienverbot ist nicht entscheidend
Wann, wenn nicht jetzt, will die Union diese an, nein, über den rechten Rand der Vernunft und Humanität in die Nazischeiße geratenen Schäfchen, denn wieder einfangen? Sachlicher ausgedrückt: was macht die bürgerliche Opposition derzeit für die von der Regierung Enttäuschten derart abschreckend, dass sie lieber hergelaufenen Verbrechern und ewig Gestrigen nachlaufen? Das ist die große politische Frage der Gegenwart, viel wichtiger als jene, ob man Parteien wie NPD oder DVU verbieten sollte oder nicht.
Wenn sich die in ihren Worten zweifellos gegen die Verfassung gerichtete Grundhaltung dieser Parteien auch für ihre Taten gerichtsfest beweisen lässt, muss man sie in der Tat verbieten, wenn es aber diese Beweise noch nicht gibt, darf man es einstweilen keinesfalls noch einmal versuchen. Keine der Optionen aber entbindet von der demokratischen Pflicht, die Feinde der Demokratie politisch zu bekämpfen. Dazu gehört gewiss auch die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage durch die Regierung.
Stoibers Ablenkungsmanöver
Die politische Alternative zur Regierung aufzuzeigen und programmatisch wie personell glaubwürdig zu vertreten, ist aber alleinige Pflicht der Opposition. Edmund Stoiber weiß das genau, hat das republikanische Gebot, rechts von der Union nichts hochkommen zu lassen, selber oft genug bejaht. Er empfindet die derzeitige Leistung der Union ganz zu recht als Versagen in der Rolle der Opposition; dass er von diesem Versagen abzulenken versucht, ist verständlich.
Dass er es mit Argumenten tut, die nicht nur empörte Demokraten sondern auch erfreute Nazis kaum anders denn als Rechtfertigung ihrer durch absolut nichts zu rechtfertigenden Haltung und Gesinnung empfinden müssen, ist mehr als bedauerlich.
aus der netzeitung.
strubbel
N:open_mouth:)