Hallo,
zunächst einmal Danke an Metapher für die Verdeutlichung und Erweiterung des geistesgeschichtlichen Rahmens, in dem wir uns hier bewegen (und auch für die Vorschusslorbeeren).
Ich hatte in meinem letzten Posting in diesem Thread etwas von zur Beantwortung tiefergehenderer Fragen notwendigem Verständnis bestimmter grundlegender Konzepte im Buddhismus gesprochen. Der, um den es hier geht, ist die trikāya-Doktrin, eine buddhistische (und damit, wie schon angemerkt, atheistische) ‚Dreifaltigkeitslehre‘, die lediglich im Mahāyana vertreten wird. Die frühesten literarisch belegten Spuren dieser Lehre finden sich im Saddharma Puṇḍarīka Sūtra (dem ‚Lotossutra‘) - das allerdings noch keine ‚Dreikörperlehre‘ (so die wörtliche Übersetzung von ‚trikāya‘) vertritt, sondern als ‚Vorstufe‘ eine Zweikörperlehre.
Ausgangspunkt dieser Lehre(n) war die Frage, was der vollständig Erwachte (Buddha) nach seinem endgültigen Erlöschen (parinirvāṇa) und damit der Aufgabe noch der letzten personalen Qualitäten eigentlich ist. Es gibt da mehrere mögliche (und notwendig spekulative) Antworten - z.B. 1.) die nihilistische (er ist ‚aus der Welt‘), 2.) die ‚überweltliche‘ (lokottara - die Lokottaravāda waren eine frühe Schule des Buddhismus), d.h. er ist ‚jenseits der Welt‘ und 3. die, die sich im Mahāyāna durchsetzte - er ist ‚in der Welt‘. Wobei ‚Welt‘ hier als Platzhalter für das von einem ‚Ich‘-Subjekt erfahrene Objekt schlechthin steht.
Trotzdem setzt das Mahāyāna auch ‚überweltliche‘ Prämissen: dieses ‚Buddha‘ (wie oben gesagt, ohne insbesondere personale Qualitäten) ist die Aufhebung der Subjekt-Objekt-Dualität (und daher auf diese Art auch nicht erfahrbar) und es ist ‚zeichenlos‘ (animitta) - also ohne Attribute. Trotzdem ‚wirkt‘ es in die dual erfahrene ‚Welt‘ hinein, es emaniert (hier gibt es Parallelen zur gnostischen Christologie, manche sprechen gar von einem buddhistischen Doketismus). Das zeichenlose ‚Zentrum‘ dieses Emanierens wird in der trikāya-Lehre als Dharmakāya bezeichnet. Die erste Emanationsstufe ist dann der Sambhogakāya (‚Genusskörper‘), eine rein geistige Emanation - und schließlich als zweite Emanationsstufe der Nirmanakana, der materielle Körper. Nebenbei angemerkt liegt hier der Ansatzpunkt monistischer Auffassungen im Buddhismus.
Der historische Buddha Gautama Śākyamuni wird somit als Nirmanakāya gedeutet, als materielle (und zeitgebundene) Emanation des Dharmakāya. Nun gibt es verschiedene Systeme, die dieses Drei-Stufen-Modell z.T. äußerst detailliert systematisch ausgestalten, vor allem im Vajrayāna. Von besonderem Interesse ist dabei der Sambhogakāya. Dieser ist nicht attributlos, wobei die Attribute als heilsame Formen des Geistes begriffen werden, die der Praktizierende einzunehmen sich übt (daher rührt das Interesse). On oberster Stelle stehen hier die in westlicher Literatur gerne als ‚transzendente Buddhas‘ bezeichneten Geistesqualitäten. Diese ‚transzendenten Buddhas‘ (oder ‚Dhyānibuddhas‘, da sie nur in geistiger Versenkung, dhyāna, erfahren werden) emanieren wiederum als eine weitere ‚Unterstufe‘ des Sambhogakāya die sog. ‚Großen Bodhisattvas‘ oder Mahāsattvas. Der (oder die) bekannteste und mit Abstand populärste ‚Große Bodhisattva‘ ist Avalokiteśvara (in China Guanyin, in Japan Kannon); das ‚Zeichen‘ (Attribut) unbegrenzten Mitgefühls (Mahākaruṇa).
Der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass diese Mahāsattvas (die zumeist gemeint sind, wenn von Bodhisattvas gesprochen wird) selbst weiter in den Nirmanakāya emanieren und sich so im Geist derjenigen manifestieren, die die Bodhisattva-Gelübde auf sich nehmen und sie verwirklichen.
Soweit und so oberflächlich, wie es der Kürze eines Postings geschuldet ist, die Doktrin. Nun sind - wie in anderen Weltreligionen auch - die im wesentlichen nur den religiösen Spezialisten vertraute Doktrin einerseits und die Volksreligion andererseits nicht notwendig dasselbe Paar Stiefel. Insbesondere Avalokiteśvara (aber auch eine große Zahl anderer Bodhisattvas) wurde und wird in der Volksreligion hypostasiert und als solches (als Verkörperung tätigen Mitgefühls) verehrt und auch um Hilfe angerufen. Die entsprechenden Formen der Verehrung wurzeln stark in lokalem Substrat und sind daher auch sehr unterschiedlich. Von ‚persönlichen Bodhisattvas‘ allerdings habe zumindest ich noch nichts gehört oder gelesen. Eine Anrufung Guanyins ist nicht mehr und nicht weniger ‚persönlich‘ als das an Maria gerichtete Fürbittgebet eines gläubigen Katholiken. Der Vergleich mit (Schutz-)Engeln ist da schon etwas daneben, nichts für ungut.
Freundliche Grüße,
Ralf