Hallo,
wie hier schon geschrieben wurde, ist der Buddhismus eine atheistische Religion in dem Sinne, dass er die Existenz eines transzendenten Schöpfers (īśvara) verwirft. Argumentativ wird dies traditionell mit dem unlösbaren (jedenfalls im Buddhismus als unlösbar angesehenen) Theodizee-Problem begründet. Zwar bestreitet der Buddhismus nicht die Existenz übermenschlicher Wesen, darunter auch ‚Götter‘ (devas), doch sind diese für das ‚Heilsgeschehen‘ (um einen christlichen Begriff zu verwenden) ohne Bedeutung. Anders ausgedrückt: sie haben im Buddhismus keine soterologische Funktion.
Dies bedeutet nun jedoch nicht, dass „der Mensch alles mit sich alleine“ ausmachen muss. Zwar kennt der Buddhismus keinen ‚Dialog‘ mit einer transzendenten Instanz oder deren Anrufung (etwa in Form des Gebets), doch gibt es im Buddhismus die sog. dreifache Zufluchtnahme (triśaraṇa). Diese Zufluchtnahme ist die in aller Regel rituell vollzogene buddhistische Initiation, insofern entspricht sie ihrer Funktion nach dem christlichen Taufritus. Die Zufluchtnahme ist ‚dreifach‘, weil es drei ‚Zufluchtsobjekte‘ gibt: Buddha, Dharma und Sangha. Dabei ist Buddha als ‚role model‘ zu verstehen; er ist derjenige, der einen Weg (nicht den Weg, diesen exklusiven Anspruch erhebt der Buddhismus nicht) zur Befreiung vom Leid entdeckt hat und ihn bis zum Ende gegangen ist. Der Dharma wiederum ist eben dieser von Buddha gelehrte Weg, während Sangha die Gemeinschaft derer ist, die diesem Weg folgen.
In den unterschiedlichen buddhistischen Traditionen werden diese Zufluchtsobjekte unterschiedlich gedeutet, wie es ja auch im Christentum z.T. sehr unterschiedliche Auffassungen z.B. zur Christologie gab und gibt. Verallgemeinernde Aussagen sind da naturgemäß schwierig. So gibt es im Theravada-Buddhismus in Süd- und Südostasien ein relativ ‚enges‘ Verständnis von Sangha - der Begriff bezeichnet dort lediglich die ordinierten Bhikkus (‚Bettelmönche‘) und Sangha als Zufluchtsobjekt wird sogar noch enger aufgefasst, nämlich als die Bhikkus, die zumindest das spirituelle ‚Level‘ des Stromeintritts (sotapatti) durch ihre religiöse Praxis erlangt haben. Das andere Extrem finden wir z.B. im Chan- oder Zenbuddhismus, wo Sangha alle fühlenden Wesen (also z.B. auch Tiere) umfasst, ungeachtet, ob sie Zuflucht genommen haben oder nicht. Eine ähnliche Spannweite gibt es bei dem ‚Zufluchtsobjekt‘ Buddha. In den buddhistischen Richtungen, die besonderes Gewicht auf eine enge persönliche Beziehung zwischen Lehrer und Schüler legen, ist Buddha nicht nur ein abstraktes ‚role model‘, sondern der Lehrer übernimmt in diesem Lehrer-Schüler-Verhältnis formal die „Rolle“ Buddhas. Dies setzt einen entsprechend hohen spirituellen Verwirklichungsgrad des Lehrers voraus (der nicht immer gegeben ist) und ist natürlich auch stark anfällig für manipulativen Missbrauch der damit zugestandenen Autorität. Daher wird in diesen Richtungen auch immer die Notwendigkeit betont, den Lehrer gründlich zu prüfen, bevor man mit ihm eine formale Lehrer-Schüler-Beziehung eingeht. ‚Prüfsteine‘ sind dabei natürlich der historische Buddha (wie weit wird der Lehrer der ‚Rolle‘ Buddhas gerecht?), der Dharma (das Kriterium der Orthodoxie und Orthopraxie dessen, was der Lehrer lehrt) und Sangha (insbesondere die sog. ‚peer control‘ durch andere Lehrer). So zumindest die Theorie - in der Praxis funktioniert das nicht immer. Aber „Gott/Jesus um Hilfe zu bitten“ funktioniert ja in der Praxis auch nicht immer so, wie man es vielleicht erwartet …
Eine Anmerkung noch: aus dem bisherigen wird vielleicht schon deutlich, dass es alleine damit, dass man „sich hinsetzt und meditiert“ nicht getan ist. Buddhistische religiöse Praxis hat nach traditioneller Systematik acht Aspekte, weswegen man hier von dem „edlen achtfachen Pfad“ (āryāṣṭāṅgamārga) spricht. Rechte (!) Meditation (samyaksamādhi) ist nur einer dieser Aspekte, während sich immerhin drei Aspekte des Pfades allein mit ethischer Lebensführung befassen.
Jedenfalls - auch wenn der buddhistische Weg recht hohe Anforderungen an persönliche Anstrengungen stellt, so heisst das nicht, dass man damit auf „sich allein“ gestellt ist. Man hat Hilfe, Beratung und Unterstützung durch die Sangha (bei Bettelmönchen ist das Teil des ‚deals‘ als deren Gegenleistung für ihren Lebensunterhalt) oder durch einen persönlichen Lehrer. Dies ist das Prinzip spiritueller Freundschaft (kalyāṇamitratā); der Begleitung auf dem spirituellen Weg durch Andere, die auf diesem Weg fortgeschrittener sind als man selbst.
Nur der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, dass es speziell im japanischen Shin-Buddhismus im Zusammenhang mit der mappō-Doktrin (‚Dharma-Endzeit‘) einen intensiven Diskurs über die Unzulänglichkeit persönlicher Anstrengung (jōriki) gab, der dazu führte, stattdessen vollständig auf die „fremde Kraft“ (tariki) zu setzen. Auszuführen, wie dies mit der schon angesprochenen buddhistischen anātman-Doktrin (die auch von den Shin-Buddhisten nicht aufgegeben wurde) harmoniert, würde allerdings den Rahmen eines Postings sprengen - dazu müsste als Grundlage erst einmal ein grundsätzliches Verständnis nicht nur der anātman- und der mappō-Doktrin, sondern auch der trikāya-Doktrin hergestellt werden.
Freundliche Grüße,
Ralf