Vom Rio de la Plata zurück an die Isar
Hallo Barbara,
Ich warte immer noch auf was Verwertbares.
da hab ich ja auch noch zu liefern - tut mir leid, ich habe mich bei diesem etwas entgleisten Thread zu einer persönlichen Streiterei hinreißen lassen. Aber jetzt noch ein bissel was zur Sache, Butter bei die Fische sozusagen - vielleicht interessierts ja jemanden.
Dass sich die Milchwirtschaft in D als Sektor insgesamt, vom Rohstoff bis zum Hoftank gerechnet, von einer über viele Jahrhunderte weg positiven in der Zeit ca. 1955 - 1965 zu einer heute negativen Energiebilanz entwickelt hat, hat drei wesentliche Quellen: Einmal die Umstellung von Pferde- auf Dieseltraktion, dann der zwar schon früher bekannte, aber seit Mitte der fünfziger Jahre sehr stark ausgeweitete Einsatz von Stickstoffdüngemitteln, die unter hohem Druck und bei hohen Temperaturen aus der Luft gewonnen werden (Stichwort Haber-Bosch), aber auch die enorme Steigerung der Leistung einer Milchkuh von 1950 etwa 4.200 kg Milch im Jahr auf über 7.500 kg Milch/a im Jahr 2010.
Der Einfluss der Entwicklung der Milchleistung auf die Energiebilanz des Sektors rührt daher, dass Kühe von ihrem Verdauungsapparat und ihrem Stoffwechsel her in der Lage sind, Fett aus Zellulose zu machen. Diese Form der Nutzung von Sonnenenergie hat ihre Grenzen aber in der Menge Futter, die eine Milchkuh fressen kann: Bei Milchleistungen von mehr als etwa 3.500 kg/a braucht sie Futter mit einer höheren Konzentration an Energie und Proteinen, als man ihr mit dem herkömmlichen Grundfutter zuführen kann. Je höher der Anteil der Energie ist, die sie mit dem Leistungsfutter aufnimmt, desto weniger fällt der „ursprüngliche“ Nutzen der energetischen Verwertung von Zellulose ins Gewicht.
Der Einsatz von Milchleistungsfutter bedeutet weder, dass dieses als fertige Mischung zugekauft ist, noch ist er an eine bestimmte Wirtschaftsweise („bio“ vs. konventionell) gebunden. Erhebungen in der Praxis zeigen, dass in „Bio“-Betrieben in Baden Württemberg in den Jahren 2002/2003 ein höherer Anteil der Milchleistung aus dem Grundfutteranteil erzeugt wurde als in konventionell wirtschaftenden (67 % vs. 36 % im Durchschnitt, 72 % vs. 67 % im oberen Quartil) - zitiert nach Hansjörg Nußbaum, Lehr- und Versuchsanstalt Aulendorf 2004. Dabei war umgekehrt der Einsatz von Milchleistungsfutter pro Kilogramm Milch bei den „Bio“-Betrieben mit durchschnittlich 139 g weniger als halb so hoch wie bei den konventionell wirtschaftenden mit durchschnittlich 316 g.
In der Schweiz wurde bei Weideversuchen 2001-2004 (Thomet 2004, nach Nußbaum a.a.O.) unter optimalen Bedingungen bei konventioneller Haltung ein Anteil von 86-89 % der Milchleistung (absolut 5.809 - 6.959 kg) aus dem Grundfutteranteil erzielt, bei einem Einsatz von 53-62 g Milchleistungsfutter/kg Milch. Diese Werte sind aber kaum auf die Praxis zu übertragen; unter gewöhnlichen Bedingungen ist ein Betrieb, der eine Leistung von 5.000 kg Milch/a aus der Grundfutterration erzielt, schon sehr gut.
Was hat es jetzt mit dem Milchleistungsfutter auf sich?
Grundsätzlich geht es dabei darum, eine hohe Konzentration von Rohprotein (18 - 20 %) mit einer hohen Energiedichte (6 - 7 Megajoule NEL / kg, „NEL“ bezeichnet die netto für die Laktation verfügbare Energie) zu verbinden, und gleichzeitig Ca und P zuzufüttern. Der Anteil an im Pansen nicht abbaubaren (und damit effektiv nutzbaren) Rohprotein sollte dabei möglichst hoch liegen, und man muss darauf achten, dass der Kohlehydratgehalt nicht zu hoch wird, weil Rindviecher eben keine Hühner und eigentlich nicht aufs Körnerfressen eingerichtet sind.
Wegen dieser Anforderungen ist Sojaschrot ein wichtiger Bestandteil von Milchleistungsfuttermitteln, aber nicht bloß die „Müslis“, sondern auch die konventionell arbeitenden Betriebe sehnen sich vom Rio de la Plata an die Isar zurück, weil bei den Preisen für Sojaschrot das Ende der Fahnenstange noch lange nicht in Sicht ist - wer heute noch mit „1 kg Kraftfutter für 2 Liter Milch“ füttert, ist schneller pleite, als seine RaiBa nachrechnen kann.
Es ist bei konventionell betriebener Milchwirtschaft eine Frage des Preises, in welchem Umfang künftig weiterhin Sojaschrot eingesetzt wird; der Markt wird da vieles richten, zumal als Nebenprodukt des ausufernden Rapsanbaues Rapspresskuchen wohlfeil verfügbar sind, die im verfügbaren Energiegehalt mit etwa 8,6 MJ NEL dem Sojaschrot ebenbürtig sind und in verfügbarem Rohprotein mit etwa 200 g/kg vs. etwa 300 g/kg nicht so weit darunter liegen.
Weitere wichtige Proteinträger, die in Milchleistungsfutter zum Einsatz kommen, sind Ackerbohnen, Erbsen und Lupinen. Diese spielen schon heute eine wichtige Rolle als Eiweißträger in der Milcherzeugung nach den Richtlinien von Demeter (und ich glaube auch Bioland), die den Einsatz von Sojaschrot (egal ob „bio“ oder nicht) ausschließen.
Mit kurzen Transportwegen kommt man bei Körnerleguminosen aber nur dort aus, wo Milchviehbetriebe entweder selbst über genügend ackerbares Land verfügen oder in der Nähe von Ackerbaugebieten liegen: Im Allgäu selber wird man keinen Anbau von Körnerleguminosen sehen, dafür muss man schon über Ravensburg auf der einen Seite und Kaufbeuren auf der anderen Seite hinaus kommen.
So, und über diesen weiten Bogen zurück zum Ausgangspunkt:
- Es ist ohne weiteres möglich, Milch ohne Sojaschrot im Leistungsfutter zu erzeugen.
- Heute wird dieses Potenzial eher in der „Bio“-Produktion genutzt, aber auch die konventionelle Milchproduktion wird sich vom Sojaschrot abnabeln.
- Wenn man darauf Wert legt, sollte man aber auf den Erzeugerverband achten, von dem das Produkt kommt: Das EU-Biosiegel allein sagt nichts darüber aus.
Und dann hatte ich ja auch noch eine Futterration ohne Sojaschrot versprochen:
Sommer: 3,5 kg Gerste - 3,0 kg Ganzpflanzensilage (Gerste/Erbsen) - 3,0 kg Grassilage, 3. Schnitt - 1,5 kg Leinpresskuchen (4-8 % Fett) - 1,5 kg Gerstenstroh - 3,0 kg Roggen (na siehste, da isser ja doch!) - 50,0 kg Kleegrasweide - 0,3 kg Mineral- und Vitaminergänzung. Die Ration reicht für eine Tagesleistung von 30 kg Milch.
Winter: 2,0 kg Ackerbohnen - 5,0 kg Biertrebersilage - 1,0 kg Erbsen - 1,0 kg Gerste - 7,0 kg Ganzpflanzensilage (Gerste/Erbsen) - 17,0 kg Grassilage 1. Schnitt - 2,0 kg Leinpresskuchen (4-8 % Fett) - 7,0 kg Maissilage 35 % Trockensubstanz - 0,3 kg Mineral- und Vitaminergänzung. Die Ration reicht für eine Tagesleistung von 34 kg Milch.
Und hier noch ein Beispiel für ein Milchleistungsfutter ohne Sojaschrot:
23 % Weizen - 17 % Gerste - 20 % Erbsen - 24 % Ackerbohnen - 13 % Rapspresskuchen - 3 % Mineral- und Vitaminergänzung. Nutzbarer Energiegehalt 7,1 MJ NEL, netto verfügbares Rohprotein (nXP) 161 g/kg.
Die Futterrationen und das Milchleistungsfutter habe ich allerdings nicht selber gerechnet, sondern zitiert nach Stefan Neumann in der Zeitschrift „Veredlungsproduktion“ 3/2001.
Schöne Grüße
Dä Blumepeder