Hallo scalpello,
ich erlaube mir mal, für André zu antworten
Ist jedes Zeichen, das von Hand geschrieben (also nicht
gedruckt) wurde, schon eine Kalligrafie?
wenn man sich bemüht, ästhetisch ansprechend zu schreiben (Kalligraphie heisst ja ‚Schönschrift‘) schon. Ob und wie das aber nun gerade gelingt ist eine andere Frage …
Im vorliegenden Fall sträubt sich das Sprachgefühl dagegen,
denn hier wurde maximal brav die Regelschrift geschrieben,
Ja. Kǎishū. Die gehört zu den fünf Hauptstilarten chinesischer Kalligraphie
ohne jeden persönlichen Ausdruck.
und lässt (wie auch die Kanzleischrift Lìshū) recht wenig Spielraum für persönlichen Ausdruck. Der hier allerdings überhaupt nicht genutzt wurde, wie Du richtig bemerkst. Siegelschrift Zhuànshū ist in der Beziehung ähnlich eingeschränkt, aber eine Klasse für sich. Mir ist bislang lediglich ein Beispiel für handschriftliche Ausführung untergekommen - eine Kalligraphie des Herzsutra, die ich einem Freund anlässlich seiner Ehesegnung (nach buddhistischem Ritus) geschenkt habe.
Unter fernöstlicher Kalligrafie verstehe ich schon mehr eine
Kunst, bei welcher der Schreiber den Zeichen
handschriftlich-individuellen Ausdruck verleiht, der den
Inhalt des Textes interpretiert, aber auch die Verfassung des
Schreibers erahnen lässt.
Das ist natürlich richtig - wobei Kursivschrift Xíngshū und erst recht Grasschrift Cǎoshū da sehr viel mehr Entfaltungsraum bieten. Mit dem Nachteil, dass sie häufig (insbesondere Grasschrift) selbst von Chinesen oder Japanern nicht mehr zu entziffern ist.
Richtig ist, dass das hier abgebildete Beispiel ein sehr uninspiriertes Massenprodukt ist. Sauber und brav, aber - wie Du schreibst - völlig ohne individuelle Züge. Insofern ist auch der Stempel nicht mehr als Deko. Ist aber wegen der Klarheit und ausgewogenen Proportionen gut als Übungsvorlage zu gebrauchen.
Freundliche Grüße,
Ralf