Bittere Wahrheit?

Während die Zeit nicht einmal in der Lage ist, wenigstens zu zitieren

(daher wohl die positive Resonanz im Kommentarbereich, den Linkzusatz „rechtspopulismus“
möchte ich schon gar nicht mehr erwähnen)
bemüht die Welt wenigstens das Zitat:

"Verantwortlich ist nur, wer damals an der Macht war. Nicht Frankreich!“

Was ist daran eigentlich falsch? Wenn man anstelle einer eigenen Schuldbefreiung das Kind beim Namen nennt? Schließlich predigen uns die Führungskräfte tagtäglich, dass wir ihnen folgen/müssen?

Franz

Rein gar nichts.

Die ZEIT will den Kontext nicht vertiefen, weil sonst herauskäme, dass es sich (wahrscheinlich) um einen Sturm im Wasserglas handelt. Es wird hier einfach mit den Begriffen von Schuld und Verantwortung gespielt und in typischer Anklagemanier mit medialem Dreck geworfen.

Es gibt selbstverständlich einen himmelweiten Unterschied zwischen ursächlicher Schuld im Sinne der (Mit)Verantwortung für eine Handlung und der sich aus dem einer früheren Tat ergebenden historischen Verantwortung im Heute und Jetzt.

Ich habe keine Juden massakriert. Ich bin ebenso schuldlos wie (fast) alle heute lebenden Deutschen. Ich trage auch nicht die Verantwortung für die damaligen Taten. Aber es ist Teil meiner bürgerlichen Verantwortung und durch die Geschichte meiner Vorfahren auch eine historische, solche Taten nicht wieder zuzulassen. In dieser Verantwortung (ohne his. Komponente) stehen allerdings nach meiner Einschätzung alle Menschen auf diesem Planeten.

Gruß
vdmaster

Es stellt niemand in den Raum, dass Menschen, die heute leben, persönlich verantwortlich seien für das, was damals passiert ist. Zu behaupten, dass das so wäre, gehört zum kultivierten Opferstatus, der von den Rechtspopulisten gepflegt und gehätschelt wird. Man tut sich ja sooooooooooooooooooo leid!

Gerade wenn man sich als Nation empfindet und auf die eigene Historie beruft, in Frankreich nicht ohne gehörigen Pathos, dann gehört nun mal auch dazu, dass man die Schattenseiten mit einbezieht. Es ist eine ziemlich billige Nummer, das positive einzusacken und bei den unangenehmen Dingen zu sagen: das waren wir nicht.

Man ist stolz auf die französische Revolution, man ist stolz auf die Resistance, da steht überhaupt nicht in Frage, eine Verantwortung für diese starken, positiven Dinge zu übernehmen. Oder hörst du Marine sagen, dass die Resistance nicht Frankreich war, sondern nur wer damals gehandelt hat?

Solche Töne sollen Stärke demonstrieren, tatsächlich zeigen sie aber nichts weiter, als dass man ein bemitleidenswerter Waschlappen ist, der Probleme mit der eigenen Identität hat, keine Verantwortung übernimmt und die Schuld nur bei anderen sucht.

Wortlaut:

Es gibt hier kein wahr oder falsch, sondern verschiedene Weisen der Konstruktion dessen, was „Frankreich“ ist.
Es war in Frankreich lange Zeit ein breiter Konsens, dass das Vichy-Regime „nicht Frankreich“ war.
Daran knüpft sie nochmal an.
Ich find es nicht „falsch“, die positiven Dinge in Frankreich diesem „Frankreich“ zuzuordnen, während die negativen Dinge in Frankreich „nicht Frankreich“ sind. Nicht „falsch“, aber halt unglaublich lächerlich. Das hat was von Schwanzverlängerung.

Aus meiner Sicht ist „Frankreich“ halt eben das, was Franzosen so machen. Insofern find ich auch diese Einengung der französischen Diskussion auf Vel d’Hiv a bissl seltsam. Da von Vichy aus ist ja doch eine ganze Menge Grausamkeit passiert.

Gruß
F.

SEUFZ

Franz

Abgesehen davon, dass du selbstverständlich über dieses dein oft zitierte „man“ andere - andere- verantwortlich machst, hast du den zitierten Teil in meinem UP offensichtlich nicht verstanden und daher nicht im Ansatz die Frage beantwortet. Hauptsache letzter Absatz…mainstreampopulistisches Statement.

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Das liegt eben an der Rede Chiracs, die schon sehr pauschal daherkam als er die Verantwortlichkeit auf ganz Frankreich ausdehnte.

Insbesondere deswegen, weil das Vichy-Regime de facto Befehlsempfänger der Deutschen war und die eingesetzten Polizisten nur formal Vichy unterstanden, während sie de facto Verlängerung der dt. Besatzung waren. Ebenso wird ausgeblendet, dass sich doch recht viele durch Polizisten vorgewarnte Juden in Sicherheit bringen konnten.

Zudem ist es eine definitorische Frage, da die „3. Republik Frankreich“ mit Vichy endete und die „4. Republik Frankreich“ nach ihm einsetzte. De Gaulle wird von sehr vielen Franzosen eben als einzige legitime Vertretung angesehen. Aus Wiki:

Am 25. Juni 1940 gründete de Gaulle in London das Komitee Freies Frankreich (France libre) und wurde Chef der Freien Französischen Streitkräfte (Forces françaises libres, FFL) und des Nationalen Verteidigungskomitees.

Und wenn dann in dieser historischen Gemengelage Chirac zu pauschal ganz Frankreich quasi „in Sippenhaft“ nahm, dann ist das eben falsch. Um das aber wirklich bewerten zu können, bräuchte ich die Rede entweder in Deutsch oder Englisch.

Ich erinnere einmal an die Rede von unserem Bundespräsidenten („der Islam gehört zu Deutschland“), die auch enorm heftige Reaktionen pro und contra auslöste, weil sie auf ein oder zwei Sätze verkürzt medial verbreitet wurde. Wer sich die Passagen vor und nach diesem Auszug durchliest wird feststellen, dass er die späteren, öffentlichen Argumente beider Seiten bereits vorausnahm.

Aber es sind Wahlkampfzeiten und in denen gehen Differenzierungen meist sofort in der Aggroblase der Interpretation unter.

Gruß
vdmaster

Wie schnell irgendetwas uminterpretiert oder bewusst fehlinterpretiert wird, um die eig. pol. Agenda wirkungsmächtiger zu machen, kann man aktuell an Sean Spicer sehen http://www.sueddeutsche.de/politik/trump-sprecher-ein-historischer-vergleich-der-sean-spicer-den-job-kosten-koennte-1.3461765

(A) Es ist richtig, dass Hitler im WK 2 keinen Chemiewaffen einsetzte. Weder gegen Nichtdeutsch, noch gegen die eigene Bevölkerung. Wichtig ist daran die Definition von Chemiewaffe als (Kampf)waffe (bei der BW auch Kampfmittel genannt), die chem. Substanzen als Kampfstoff ausbringt. Die einzige Nation, die solche Waffen im WK2 einsetzte, war das jap. Kaiserreich.

(B) Es ist richtig, dass Hitler mit Giftgas extrem viele Menschen „vernichten“ ließ. Nichtdeutsche ebenso wie Deutsche. Dieses Giftgas wurde aber nicht per Waffe ausgebracht.

Wenn nun die Fraktionschefin der oppositionellen Demokraten im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, Spicer eine Verharmlosung des Holocaust vorwirft und Trump dazu aufruft, seinen Pressesprecher zu feuern, dann ist das schlicht lächerlich und verlogen-aufgesetzte Empörung.

Gruß
vdmaster

Naja, dieser Satz ist halt Teil einer „verhamlosenden“ Sicht auf das Vichy-Regime bzw. auf den Pétainisme.
So wie die Österreicher sich nur als „erstes Opfer“ sehen wollen, sind die Franzosen halt nur Befehlsempfänger gewesen :wink:

Was ich jedenfalls (LePen-verharmlosend quasi) sagen wollte: Ihre Aussage steht sehr in der Traditionslinie des bürgerlichen Geschichtsverständnisses (sowohl mit „Vichy ist nicht Frankreich“ als auch mit „reine Befehlsempfänger und überhaupt nur Vel d’Hiv“), so dass die Aufregung über ihren Sager ein bißchen billig ist.

Diese Nummerierung ist ja selbst Ausdruck der Ausklammerung des „État français“ aus „Frankreich“. Die Benennung nach „Vichy“.

Gruß
F.

Zwangsläufig, weil „Vichy“ eben keine Republik war, sondern eine Diktatur mit allen Vollmachten über alle drei Gewalten.

Das hatten sich die Parlamentarier, die Pétain beauftragt hatten, eine ausgewogene Verfassung zu entwerfen, völlig anders vorgestellt. Dumm gelaufen!

Man muss sich das mal hier http://www.verfassungen.eu/f/ reinziehen. Inklusive Führereid und allem Schnickschnack. Da wäre sogar Erdogan nach einem Erfolg bei seinem Referendum noch blaß vor Neid.

Um das noch einmal auf eine andere Ebene zu heben. Chirac hat spezifisch „Frankreich“ für schuldig erklärt. Und das ist durchaus die Übernahme einer Kollektivschuld, die es so pauschal eben nicht gab.

Wie schon angedeutet müsste man die gesamte Rede Chiracs und das gesamte Interview mit MLP in Augenschein nehmen.

Bis dahin ist das IMHO alles nur mediales Wahlkampftheater. Je weiter weg berichtet wird, desto grösser wird die Diskrepanz zwischen ganzer Wahrheit und Darstellung. Gerade wo es um Judenverfolgung geht bekommt das noch einmal in D einen im Urteil schon feststehenden Drive und ist für den PR-Keulentotschlag geeignet.

Wie wenig das Vichy-Regime (kollektiv*) Frankreich war, kann man an den Tausenden extralegaler Hinrichtungen sehen, die bei seiner Auflösung an Tätern und Mitläufern vollzogen wurden.

*Das Wort „ideell“ passt im Zusammenhang mit Lynchmob nicht so recht.

Gruß
vdmaster

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Ich hab das Zitat:
"Verantwortlich ist nur, wer damals an der Macht war. Nicht Frankreich!“
nicht verstanden. Das ist möglich. Erklär’s mir.