Brauche Hilfe bei Gedichtinterpretation

Hallo zusammen,

ich studiere gerade Lehramt und muss in einer Unterrichtsstunde einen Gedichtvergleich machen. Da ich nicht weiß, wo ich sonst Hilfe bekommen kann, hoffe ich, dass hier jemand helfen kann.

Bei einem Gedicht handelt es sich um folgendes ohne Titel:

Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält’s nicht aus,
hält’s nicht aus mehr bei mir.

Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.

Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.

Zweites Gedicht, eine SMS:

Diese Nachricht kommt von Herzen,
deshalb werd’ ich auch nicht scherzen:
Ich mail dich an, es macht piep, piep,
ich hab dich nämlich ganz doll lieb!

Hier kommt mal das, was ich bisher schon herausgefunden habe:


Also zu Gedicht Nr. 1:

Ein Titel des Gedichts ist nicht bekannt, es handelt sich um ein spätes Werk von Christian Morgenstern. Er schrieb es in dem Jahr, in dem er seine spätere Frau Margareta Gosebruch von Liechtenstern kennenlernt. Daher ist anzunehmen, dass Morgenstern dieses Gedicht seiner Verlobten widmete. Über das Gedicht ist aber wenig bekannt, der Titel „Es ist Nacht“ wurde später hinzugefügt, da kein Titel vorhanden war.
Das Gedicht besteht aus 3 Strophen à 4 Zeilen. Es ist aus der Perspektive eines lyrischen Ich geschrieben.
Das lyrische Ich wendet sich in diesem Gedicht an eine unbestimmte Person. Es ist weder bei dem lyrischen Ich, noch bei der unbekannten Person erkennbar, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt.
Ich der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich die Sehnsucht nach der unbekannten Person. Es schreibt, wie sich sein Herz nachts auf den Weg zu dieser anderen Person begibt.
In der zweiten Strophe befinden wir uns bei der unbekannten Person. Es wird beschrieben, dass das Herz angekommen ist und in ihrer Brust versinkt.
In der dritten und letzten Strophe wird beschrieben, wie das Herz zur Ruhe kommt.

Die Metapher „legt sich dir auf die Brust wie ein Stein“ verdeutlicht die Schwere des Herzens des lyrischen Ich. Es ist schwer vor Sehnsucht und Liebe. Gleichzeitig lässt dies auch den Schluss zu, dass das Herz zu einer Last für die unbekannte Person werden kann.

Die letzte Strophe „liegt am Grund seines ewigen Du“ (zeilen 5 & 6) bringt die ewige Liebe zum Ausdruck, die das lyrische Ich für die unbekannte Person empfindet.

  1. und 3. Strophe sind umarmende Reime. Sie umarmen zudem die 2. formal wie inhaltlich ein. In der 1. und 3. Strophe werden hauptsächlich Ort und Zeit beschrieben, die 2. Strophe beschreibt die eigentliche Handlung, das Versinken des Herzens.

In jeder Strophe gibt es eine Wiederholung:

  1. Strophe:
    hält’s nicht aus,
    hält’s nicht aus mehr bei mir

-> Gemination?

  1. Strophe:
    sinkt hinein,
    zu dem deinen hinein

-> Epiphora?

  1. Strophe:
    Dort erst,
    dort erst kommt es zur Ruh

-> Gemination?

Versmaß müsste Jambus sein oder sehe ich das falsch?

Zu Gedicht Nr. 2

Dieses Gedicht stammt aus einer Gedichtsammlung der Seite http://www.infantologie.de. Dort stehen verschiedene SMS-Sprüche und –Gedichte zur Auswahl. Zu dem ausgewählten Gedicht sind keine weiteren Informationen vor-handen, der Autor ist unbekannt. Es ist im Paarreim geschrieben. Eine Person wen-det sich an eine andere unbekannte Person. Bei beiden ist nicht erkennbar, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt.
Das Gedicht besteht aus einem Vierzeiler und handelt von einer Person, die einer anderen Person dieses Gedicht schickt, um ihr zu sagen, dass sie sie lieb hat.


So, ich hoffe, dass ich schon ein bisschen was vorarbeiten konnte. Ich erwarte nicht, dass hier jemand meine „Hausaufgaben“ macht, ich wäre nur über Korrekturvorschläge oder weitere Tipps dankbar, besonders zur Metrik.

Für Anregungen und Tipps bin ich mehr als dankbar.

LG und schonmal vielen Dank
Stephie

Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält’s nicht aus,
hält’s nicht aus mehr bei mir.

Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.

Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.

Tach Stephie,

nur ein paar Worte zum Versamß: ich halte die Füße der ersten beiden Strophen für Anapäste; um das deutlich zu machen, kopiere ich sie nochmal hier hinein mit den Akzenten:

Es ist Nácht, und mein Hérz kommt zu dIr,
hält’s nicht áus, hält’s nicht áus mehr bei mIr.

Legt sich dIr auf die Brúst, wie ein Stéin,
sinkt hinéin, zu dem déinen hinéin.

Dórt erst, dórt erst kómmt es zur Rúh,
liegt am Grúnd seines éwigen Dú.

In der dritten Strophe dann ein Wechsel des Metrums: drei Trochäen und zum Schluß ein Jambus in der ersten Zeile; in der zweiten Zeile dann wieder drei Anapäste.
Diesen Wechsel kannst Du als Ausdruck des Wechels von Bewegung in den beiden ersten Strophen zur Ruhe in der dritten ansehen.

Gruß - Rolf

Hallo

Stephie!

Ein paar Hinweise aus meiner Sicht auf Morgensterns Gedicht:

Ich der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich die
Sehnsucht nach der unbekannten Person.

Du verwendest wiederholt die Formulierung „unbekannte Person”. Das ist sie aber nur für den Leser, dem lyrischen Ich muss sie sehr wohl bekannt sein. Bereits Augustinus schreibt davon, dass man jemand/etwas, nach dem / wonach man sich sehnt, schon lieben muss, bevor man sich überhaupt danach sehnen kann. Deshalb würde ich eine Formulierung wie „die ungenannte Person” bevorzugen.
Das Gedicht besteht aus der Wiedergabe einer einzigen Bewegung, die in der zweiten Zeile der ersten Strophe angekündigt ist („kommt zu dir“) und die in der zweiten Zeile der letzten Strophe zusammenfassend abgeschlossen ist („kommt es zur Ruh“):

Es schreibt, wie sich sein Herz nachts auf den Weg zu
dieser anderen Person begibt.
In der zweiten Strophe befinden wir uns bei der
unbekannten Person. Es wird beschrieben, dass das
Herz angekommen ist und in ihrer Brust versinkt.
In der dritten und letzten Strophe wird beschrieben, wie
das Herz zur Ruhe kommt.
Gleichzeitig lässt dies auch den Schluss zu, dass das Herz
zu einer Last für die unbekannte Person werden kann.

Dies Auffassung halte ich im Kontext des Gedichts für verfehlt.

  1. und 3. Strophe sind umarmende Reime.

Die Formluierung „sind” ist anstreichenswert. … „haben / weisen … auf” o. ä.!

In der 1. und 3. Strophe werden hauptsächlich Ort und
Zeit beschrieben.

Nicht böse sein, aber das ist zu banal. „Nacht” ist hier in I,1 doch viel mehr. Schläft man da nicht normalerweise? Normalerweise! Und hier? Inwiefern also ein Ausnahmezustand? Ferner: Nacht auch als Metapher für den Zustand, dass alles andere, weil nicht mehr sichtbar, hier ausgeblendet, nicht vorhanden ist; nur noch sie zwei gibt es für das sprechende Ich.
Und die 3. Strophe? Für mich klingt das wie die - für Morgenstern durchaus denkbare - Aufnahme des augustinischen Diktums von unsrem "Herz[en], das unruhig ist, bis es Ruhe findet in dir” und seine Übertragung auf diesen rein zwischenmenschlichen Bereich. Denn es ist NICHT die Vorstellung, dass zwei Hälften auf der Suche nach der anderen waren und sich nun gefunden haben und ein Ganzes sind.
Mit meinen Wünschen für gutes Gelingen
und schönen Grußen
H.

Vielen Dank euch beiden! Das hat mich schon sehr viel weiter gebracht. Ich habe mit Gedichten wirklich sehr große Schwierigkeiten, die ich auf jeden Fall aufholen muss. Nur leider geht das nicht in ein paar Tagen und mehr Zeit habe ich nicht für den Entwurf.

Ihr habt mir auf jeden Fall ein bisschen die Augen für das Gedicht geöffnet und ich deke, ich komme wohl soweit klar.

Stimmt ihr mir zu, dass es sich bei dem Morgenstern-Gedicht um umarmende Reime in Strophe 1 und 2 handelt?

Das Versmaß muss ich mir noch einmal genauer anschauen.

LG
Stephie

Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält’s nicht aus,
hält’s nicht aus mehr bei mir.

Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.

Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.

Hallo Stephie,

Hannes hat viele kluge Dinge gesagt; hier noch einer oder zwei Gedanken:

Hat das „kommt zu dir“ in der ersten Strophe eine Bedeutung? Kommen ist doch eine Bewegung zu mir hin; kann man als Sprechender sagen: „mein“ Herz „kommt“ zu dir? Müßte es nicht heißen: „geht zu dir“? Oder ist das Beckmesserei?

Die Possessiv- und Personalpronomina:

  1. mein Herz - zu dir - bei mir
  2. Legt sich dir - zu dem deinen
  3. seines ewigen Du

Die Bewegung des Herzens kommt zum Schluß: wenn das andere Herz „sein ewiges Du“ ist, dann sind sie seit alters „füreinander bestimmt“. Die Bewegung ist also durchaus subjektiv initiiert (Liebe, Sehnsucht, Gefühle und so), endet aber in der seit Ewigkeiten vorgesehenen Bestimmung.

Ich weiß nicht, ob diese Gedanken nicht zu abgehoben sind und ob sie irgendetwas austragen, aber auf solche Dinge pflegte mein Deutschlehrer - Ehre seinem Andenken! - Wert zu legen.

Der Rhythmus der ersten beiden Strophen - ich habs mir nochmal laut vorgelesen - gibt die vorwärtsdrängende Bewegung wirklich wunderbar wieder: tataTaa - tataTaa - lauter Anpäste, fast wie ein Galopp.

Und dann das Halt, das Brrr: „Dort erst…“ - gleich die Betonung auf der ersten Silbe der Zeile - und dann schwingt es weiter, schwingt aus wie eine sanfte Welle in den letzten beiden Zeilen.

Wenn Morgenstern den Rhythmus mit Bedacht gesetzt hat, dann: meisterhaft!
Wenn er ihn ituitiv gewählt hat: Chapeau!

Gruß - Rolf

Ich weiß nicht, ob diese Gedanken nicht zu abgehoben sind und
ob sie irgendetwas austragen, aber auf solche Dinge pflegte
mein Deutschlehrer - Ehre seinem Andenken! - Wert zu legen.

Wenn Morgenstern den Rhythmus mit Bedacht gesetzt hat, dann:
meisterhaft!
Wenn er ihn ituitiv gewählt hat: Chapeau!

Gruß - Rolf

Hallo Rolf,

ich finde deine Gedanken sehr interessant und finde nicht, dass du zu sehr abhebst. Gedichte sollen einen ja auch „beflügeln“ und solange man seine Aussagen am Text belegen kann ist es ja in Ordnung, egal auf welche Auslegung man kommt - so hat das zumindest unser Deutschlehrer gehandhabt.

Allerdings muss ich aufpassen, dass ich in meinem Unterrichtsentwurf nicht zu sehr abhebe. Ich muss auf der einen Seite zeigen, dass ich das Gedicht „verstanden“ habe - was leider nicht so ganz der Fall ist, aber ich arbeite dran und gebe mir die größte Mühe - auf der anderen Seite muss ich es so aufbereiten, dass auch die Schüler damit klarkommen. Dafür müssen meine Gedanken klar sein und ich muss wissen, wovon ich rede. Und dabei hilfst du mir sehr, insofern bin ich für jeden Beitrag dankbar!

Mit Hilfe eines anderen Forums bin ich nun noch auf folgenden Aspekt zu dem „ewigen Du“ gekommen, den du ja auch schon angesprochen hast:

Die letzte Zeile „…seines ewigen Du“ beschreibt den wohl wichtigsten Aspekt des Gedichts. Das Ich steht nicht alleine, sondern ist einer Vorbestimmung unterworfen: sein Herz ist einem Du zugeordnet. Dieses Du ist nicht beliebig, es gibt es nur einmal und muss vom Ich gefunden werden. Ohne dieses Du ist das Ich ruhelos, sein Herz macht sich quasi selbstständig. Hat es das Du gefunden, dann kann es dort erst zur Ruhe kommen. Da das Du vorbestimmt ist, kann das Ich sogleich bis auf den Grund des Dus dringen; sie sind wesensgleich. Ich und Du bilden eine Einheit, eine Ge-meinschaft mit dem Herzen. Daher kann das Du auch nicht ausgewechselt werden, für das Ich gibt es nur eines. Haben die richtigen Partner sich gefunden, dann ist es für „ewig“. Es gibt nur das Ideal der einen - wahren - Liebe.

Allerdings muss ich aufpassen, dass ich in meinem
Unterrichtsentwurf nicht zu sehr abhebe. Ich muss auf der
einen Seite zeigen, dass ich das Gedicht „verstanden“ habe -
was leider nicht so ganz der Fall ist, aber ich arbeite dran
und gebe mir die größte Mühe - auf der anderen Seite muss ich
es so aufbereiten, dass auch die Schüler damit klarkommen.
Dafür müssen meine Gedanken klar sein und ich muss wissen,
wovon ich rede. Und dabei hilfst du mir sehr, insofern bin ich
für jeden Beitrag dankbar!

Liebe Stephie,

die Gedanken aus dem anderen Forum, die du angeführt hast, sind schön und tragfähig. Jetzt wäre natürlich noch von Interesse, in welcher Klasse Du die Stunde geben mußt.

Und wenn ich mir so anschaue, was wir bisher über das Gedicht eruiert haben, kommt mir der Gedanke, ob nicht vielleicht ein Gedicht von Benn - Das gezeichnete Ich - noch sehr gut passen könnte. Aber ich vermute mal, daß nicht du die Texte aussuchst und - vor allem -, daß dies wohl doch ein wenig zu schwierig würde.

Übrigens: bis wann mußt Du alle Gedanken zusammenhaben? Damit ich weiß, wann ich mit Nachdenken aufhören kann!

Gruß - Rolf

Mit dem Nachdenken kannst du ab jetzt aufhören - zumindest was das Gedicht anbelangt…

Es handelt sich um eine 8. Klasse einer Realschule. Ich kenne die Klasse kaum, weiß aber ungefähr, was ich von ihnen erwarten kann. Ich denke, mit den ganzen Infos, die ich jetzt habe, werde ich gut zurechtkommen.

LG und danke
Stephie

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]