Dieser Artikel war (sinngemäß) in der FAZ abgedruckt;
Dem Artikel nach soll die BSC ein " starres, in sich geschlossenes System" sein, favorisiert wird ein „unternehmenspezifisches, hybrides Sytem“
Ist die BSC nicht bereits ein allgemein gehaltener Vorschlag, ein beliebig erweiterbares Konzept, nur an den Erfordernissen der Firma orientiert ? Worauf zielt dann die Kritik ?
Die Balanced Scorecard hat ihren Zenit überschritten
Der Vorreiter der modernen strategischen Steuerungssysteme wird langsam abtreten / Von Randolf Schrank
FAZ / MANNHEIM, 23. März 2003. An der Balanced Scorecard, dem wohl meistdiskutierten strategischen Steuerungssystem, scheiden sich die Geister. Dennoch ist sie eine der stärksten „Marken“ im Bereich der Managementkonzepte. Von Siemens und Daimler Chrysler über die Lufthansa bis hin zu einer Controlling Abteilung der BASF oder einem Krankenhaus in Südschwaben haben sich fast alle größeren Unternehmen an der Kür der modernen Unternehmensführung versucht mit mehr oder weniger großem Erfolg. Wer die Übung ernst nahm, erhielt eine beispiellose strategische Transparenz im Unternehmen. Die Unternehmen jedoch, die sich um des schönen Scheins willen einem Set von Einzelkennzahlen verschrieben, erlitten allzu oft Schiffbruch. Welches große Unternehmen kann nicht auf eine Vielzahl von mehr oder weniger unverbundenen Einzelinitiativen in verschiedenen Bereichen hinweisen? Wohl kaum ein strategischer Planer oder Controller wird in der eignen Firma niemals Kontakt mit dem Konzept der Balanced Scorecard gehabt haben. Wie kam es zu diesem Erfolg?
Ein kurzer geschichtlicher Abriss: Anfang der neunziger Jahre rüttelte ein Aufsatz des Harvard Professors Robert Eccles die Fachwelt wach. Der Wissenschaftler sprach aus, was vielen ohnehin klar war: Die klassischen, finanzorientierten Systeme des Controlling allein ergaben aus Sicht der strategischen Steuerung keinen Sinn mehr. Sein Kollege Robert Kaplan hatte diese Denkweise wesentlich mitgeprägt, verstand es aber, sie weit pragmatischer zu nutzen. 1992 stellte er zusammen mit David Norton die Balanced Scorecard der Öffentlichkeit vor, welche seitdem ihren beispiellosen Siegeszug in den Unternehmenszentralen der Welt fortgesetzt hat. Vom. multinationalen Konzern über die Buchhaltungsabteilung bis zum mittelständischen Unternehmen: Jeder wollte seitdem seine Balanced Scorecard haben.
Natürlich kam diese Entwicklung nicht von ungefähr: Die Balanced Scorecard schien all die Probleme zu lösen, die dem klassischen Rechnungswesen zu Recht vorgeworfen wurden: Vergangenheitsorientierung, kein Bezug zur Strategie, keine Integration in das operative Geschäft und vieles mehr. Die Lösung bestand in verschiedenartigen, auch qualitativen Indikatoren, einer vielschichtigen Erfolgsdefinition und einer stringenten Verknüpfung mit der Strategie. Nur leisteten dies gerade in der Frühphase des Performance Measurement auch andere Systeme, wie beispielsweise die Performance Pyramid, welche dem Konzept der Balanced Scorecard sehr ähnlich ist und im selben Zeitraum entstand. Warum aber hat sich gerade die Balanced Scorecard mit solcher Macht durchgesetzt?
Die Antwort ist einfach: Der Markt für Managementkonzepte funktioniert nicht anders als viele Konsumentenmärkte auch. Die beiden Innovatoren, Kaplan und Norton, verfügten über ein überlegenes Marketing Instrumentarium. Ein Harvard Professor, eine verbundene Unternehmensberatung und ein noch heute bestehendes Netzwerk von internationalen Partnern in Forschung, Verlagen und Beratungen sorgten dafür, dass sich die Balanced Scorecard als dominante Marke etablierte. Andere, ähnliche Originalkonzepte wie das französische „Tableau de Board" oder die erwähnte Performance Pyramid konnten sich nicht durchsetzen.
Auf der anderen Seite griffen alternative Ansätze wie das Total Quality Management Anregungen der Balanced Scorecard auf und machten sie zum integralen Bestandteil ihres Ansatzes. Auch die Nachahmerprodukte fanden schnell auf den Markt: Kaum eine große Managementberatung, welche nicht mit einem eigenen Performance Measurement Konzept inklusive Markenname aufwarten kann. Doch gerade durch diese Vielfalt beginnt sich die Dominanz der Balanced Scorecard zu verflüchtigen. Was bleibt, sind die grundlegenden Eigenschaften, welche moderne Performance Measurement Systeme in den Mittelpunkt des Interesses gestellt haben: Kennzahlen aus verschiedenen Bereichen nicht nur der finanziellen Sphäre und die enge Anbindung an die Unternehmensstrategie. Da jedoch Unternehmensstrategien so individuell sind wie Fingerabdrücke, setzen sich zunehmend maßgeschneiderte Systeme durch. Schon in den Neunzigern implementierte beispielsweise ABB Schweden ein System, welches die Balanced Scorecard um eine Perspektive erweiterte: die der Mitarbeiter. Auch andere Firmen wie die Chase Manhattan Bank erkannten, dass sich die Balanced Scorecard nur durch Wandlung erfolgreich einsetzen lässt. Erst recht setzte diese Anpassung bei Scorecards spezieller Bereiche ein. So wendet die europäische F&E der Firma Johnson & Johnson ein Performance Measurement System an, welches auf sechs Perspektiven basiert und mit der Original Balanced Scorecard nur noch die genannten Grundgedanken gemeinsam hat. Dennoch verhalf das „Abacus“ getaufte System zu der erhofften Transparenz und den angestrebten Leistungssteigerungen. Die wichtigste Folge dieser Entwicklungen ist sicher, dass sich die Enkel der Balanced Scorecard nicht mehr anmaßen, den Unternehmen ihre Erfolgsdefinition vorzuschreiben: Das Performance Measurement wird erwachsen.
Neuere Ansätze wie das GOPE (Goal Oriented Performance Evaluation )Modell oder das Performance Prisma machen die Struktur des Steuerungssystems von den spezifischen Problemen des einzelnen Unternehmens abhängig. Ohne Berührungsängste verbindet die neue Generation des Performance Measurement auch ehemals konkurrierende Systeme: Warum etwa soll ein modernes Kennzahlensystem nicht auf den klassischen Säulen des Qualitätsmodells der "European Foundation for Quality Management“ aufbauen? Schließlich benutzen bereits Hunderte von Unternehmen
seit langem vergleichbare Total Quality Management Systeme und sind es leid, wegen einem neuen Modebegriff das Erreichte aufs Spiel zu setzen. Strategische Steuerungssysteme werden zu Unikaten. Auch das Performance Prisma der Cranfield Business School stellt eher eine Sammlung verschiedener Kenngrößen aus den verschiedensten Bereichen des Unternehmens dar als ein starres, in sich geschlossenes System. Wenn sich die Unternehmen von der Balanced Scorecard zumindest aber von dem Begriff lösen, wird die Zukunft in solchen Systemen bestehen. Sie stellen die unausweichliche Fortsetzung des Performance Measurement Gedankens dar. Die Balanced Scorecard hat dieser Art des Denkens in den Steuerungszentralen der Wirtschaft den Weg geebnet. Es ist Zeit, abzutreten und unternehmensspezifischen und hybriden Lösungen das Feld zu überlassen.