Hallo Chan,
Seltsamerweise ähnelt nicht nur die (auch von Nichiren vertretene) Lehre von der allesdurchdringenden Buddhanatur den Lehren der westlichen Mystik,
Wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht - sind die sich dann ähnlich oder nicht? „Ähnlichkeit“ ist eine sehr subjektive Kategorie und die Wahrnehmung von „Ähnlichkeit“ ist nur allzu häufig abhängig von der Genauigkeit (bzw. deren Vernachlässigung), mit der man „ähnliche“ Objekte betrachtet.
Ich muss eingestehen, dass ich für meinen Teil mit einer genauen Betrachtung der „Lehren der westlichen Mystik“ nicht dienen kann. Ich habe habe mich etwas eingehender mit Loyolas Exerzitien, Thomas a Kempis’ Imitatio und (natürlich) auch mit Meister Eckart beschäftigt – bei letzterem freilich weitgehend beschränkt auf seine deutschen Predigten. Dazu (vor allem aus lokalhistorischem Interesse) mit Hildegard von Bingens ‚Scivia‘. Alleine schon das unter einem einzigen Begriff wie „westliche Mystik“ zu subsumieren, scheint mir problematisch. Ich denke, wenn man weitere Schlüsselfiguren wie Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Marguerite Porète usw. usf. in die Betrachtung einbezieht, wird das nicht besser. Schon gar nicht, wenn man unter „westlicher Mystik“ nicht nur christliche oder christlich inspirierte Lehren verstehen will. Ein wenig (genug, um einen ersten Einblick zu gewinnen) habe ich mich auch mit dem osteuropäischen Chassidismus beschäftigt – da wird die Zusammenfassung unter einem Oberbegriff „westliche Mystik“ noch ein ganzes Stück dubioser. Jedenfalls für mich.
Das Gebiet ‚Buddhanatur‘ (Jap. Busshô, Chin. Foxing) hingegen ist mir schon etwas vertrauter, ohne dass ich hier eine wirklich umfassende Kenntnis vortäuschen will. Um überhaupt eine Grundlage für eine Diskussion dieses Begriffs zu haben, der – auch hinsichtlich der Begriffsgeschichte – in seiner Komplexität mit dem abendländischen Begriff „Geist“ durchaus vergleichbar ist (das ist kein inhaltlicher Vergleich!) sollte man zumindest das Ratnagotravibhaga studiert haben - eine Synopse von Aussagen verschiedener Sutren, aus denen dann ein konsistentes Konzept des ‚Tathagatagarbha‘ konstruiert wird, das sowohl in der tibetischen wie auch der ostasiatischen (chinesisch-koreanisch-japanischen) Tradition gemeinsame Grundlage und Ausgangspunkt für die Begriffsgeschichte der Buddhanatur ist. Der Quasi-Doketismus des XVI. Lotossutra-Kapitels bzw. das sich daraus entwickelnde Dharmakaya-Konzept - auch wenn das Saddharmapundarika (Lotossutra) im Ratnogotravibhaga keine direkte Erwähnung findet – gehört neben dem Ratnogotravibhaga sicher auch zu den historischen Wurzeln, jedoch sollte man sich hüten, die Konzepte „ursprüngliche Erleuchtung“ und „Buddhanatur“ schlicht gleichzusetzen. Das gleiche gilt für eine andere (‚hinayanische‘) Wurzel im Abhidharma – nämlich das Konzept cittaprakrti. Das - und damit eine einigermaßen klare Vorstellung, was unter Buddhanatur eigentlich zu verstehen ist - wäre, wie gesagt, eine gemeinsame Diskussionsgrundlage, wie weit das Konzept der Buddhanatur anderen, speziell westlichen, Lehren ähnelt.
Ich möchte nicht versäumen hinzuzufügen, dass wir damit lediglich eine Ausgangsbasis hätten. Das im Ratnagotravibhaga entworfene Konzept wurde in China vor allem im Foxing Lun (‚Abhandlung über die Buddhanatur‘) weiter ausdifferenziert. Von besonderer Bedeutung für das chinesische Chan bzw. dessen japanischen Ableger Zen ist dann weiterhin noch das Mahayanashraddotpadashastra, das den Tathagathagarbha mit dem Alayavijnana amalgamiert und so Cittamatra- und Tathagathagarbha-Ansätze zusammenführt. Das wiederum ist für die Begriffsgeschichte im tibetischen Kontext unerheblich – hier wäre hingegen in Betracht zu ziehen, wie z.B. Je Tsongkhapa die Buddhanatur-Doktrin weiterentwickelt. Das ist nun ebenfalls nicht mein Beritt – aber ich kann dazu anmerken, dass Je Tsongkhapa wie auch die unbekannten Verfasser des Foxing Lun und des Mahayanashraddotpadashastra entschieden gegen jede Reifikation des Tathagathagarbha bzw. der Buddhanatur argumentieren – durchaus im Einklang mit dem Ratnagotravibhaga, das entsprechende Passagen z.B. aus dem Mahaparinirvanasutra oder Srimalasutra dialektisch ausdeutet – als pädagogisch intendierte Antithese zu einem falschen(!) – d.h. einseitig negativistischen – Verständnis der Prajnaparamita-Sutren und der Madhyamaka-Philosophie.
Näheres kann ich zur tibetischen Rezeption des Buddhanatur-Begriffs nicht sagen. Genausowenig auch zu Nichirens Verständnis von Buddhanatur, da ich Nichirens sehr umfangreiches Werk (das übrigens komplett in englischer Übersetzung vorliegt) nur in Umrissen kenne. Insofern kann und will ich auch da keine Aussagen zu irgendwelchen „Ähnlichkeiten“ machen. Vertraut ist mir als Sôryo der Soto-Zentradition hingegen natürlich insbesondere Dogen Kigens Auffassung, wie sie vor allem in seinem ‚Essay‘ Shobogenzo Bussho dargelegt ist, der in etlichen Passagen Bezug auf verschiedene Meister der Chan-Tradition nimmt und ein Beispiel par excellence für die Behandlung des Budhanatur-Konzeptes im Zen ist. Das schließt auch die moderne Rezeption von Dogens Buddhanatur-Begriff (etwa bei Masao Abe) zu einem guten Teil mit ein. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen kann ich sagen, dass ich keine Ahnung habe, welchen „Lehren der westlichen Mystik“ die „Lehre von der allesdurchdringenden Buddhanatur“ ähneln soll.
Du scheinst mit dem Ausdruck „Mystisches Gesetz“ nicht zufrieden zu sein, vermutlich, weil du im Mystikbegriff etwas Unbuddhistisches vermutest. Wie begründet ist diese Vermutung? Nichiren schreibt:
http://www.suedwestnetz.de/studium/basis/NamMyohoRen…
Myo ist der Name für das mystische Wesen des Lebens, und Ho für seine Manifestationen.
Zunächst einmal war nicht von einem „mystischem Gesetz“ die Rede, sondern von einem „mystischen Prinzip“. Das (bzw. Engl. „mystic principle“) ist die zumindest in der nichiren-buddhistischen Soka Gakkai übliche Übersetzung von „myo“ (妙). Offen gesagt, habe ich keine Ahnung, was Nichiren unter „das mystische Wesen des Lebens“ versteht, dazu müsste ich etwas mehr von ihm gelesen haben.
Grundsätzlich: „myo“ (妙) ist ein Begriff mit einem sehr weiten Bedeutungsspektum. Die Hauptbedeutung geht in die Richtung „wundervoll, erhaben, hervorragend“. Nebenbedeutung u.a. „rein, unbefleckt“ (als chinesische Übersetzung des Sanskritbegriffs pranīta), auch „verborgen, zugrundeliegend, mysteriös“ (wobei mysteriös und mystisch bekanntlich zwei verschiedene Paar Schuhe sind). Was nun die Nebenbedeutung angeht, die mit „mystisch“ bzw. „mystic“ übersetzt wird, so beruht diese bei den Nichiren-Übersetzern vermutlich auf der Interpretation von „myo“ (妙) als „fuka shigi“ (不可思議, etwa „jenseits diskursiven Denkens“) – was wiederum die chinesische Wiedergabe von Skrt. acintya ist. Das mag ein Berührungspunkt mit Aussagen über mystische Erfahrungen in der abendländischen Literatur sein, mehr vermag ich da jedoch nicht zu erkennen.
Die Buddhanatur ist das allgegenwärtige Wesen alles Existierenden, zumindest alles Lebendigen.
Das mag Dein Verständnis von Buddhanatur sein, meines ist es jedenfalls nicht. Um Deine Frage zurück zu geben:
Wie begründet ist diese Vermutung?
Ist die vedantische Grunderfahrung des Brahman (= das wahre ´Selbst´) wirklich eine andere als die buddhistische Erfahrung des Nirvana bzw. der Leere (Shunyata)?
Wer will das beurteilen? Ich für meinen Teil überlasse das gerne Leuten, die beide Erfahrungen gemacht haben – jeweils im Kontext der zugehörigen Lehre und Praxis, versteht sich. Kennst Du da jemanden?
Im Nirvana-Sutra (ein bedeutender Text des Mahayana-Buddhismus) verwendet Buddha übrigens - ganz unbuddhistisch - den Begriff des Selbst als Bezeichnung für das Wesen des wahrhaft Wirklichen:
Das Mahaparinirvanasutra enthält etliche scheinbar (oder tatsächlich) ‚heterodoxe‘ Stellen, die wiederum in der Regel zu anderen Stellen in diesem Sutra in direktem Widerspruch stehen. Die „atman-Stellen“ werden in der klassischen Exegese in dem Sinn aufgefasst, wie ich es schon oben im Abschnitt über das Ratnagotravibhaga angedeutet habe – als Formulierung einer Antithese zu extremen, nihilistischen Auffassungen. Was eben nicht heisst, diese Antithese sei ‚wahrer‘ oder eine ‚Richtigstellung‘ – sie ist vielmehr ein Remedium, das zur Synthese eines mittleren Weges zwischen Nihilismus und Eternalismus führen soll. Nüchtern philologisch betrachtet ist das Sutra eine Montage von Texten unterschiedlicher räumlicher und zeitlicher Provenienz – eine angesichts der inneren Widersprüche naheliegende Schlussfolgerung. Übrigens enthält es auch in ethischer Hinsicht ausgesprochen dubiose Stellen, die zum Missbrauch einladen. Man vermutet bei diesen Passagen einen ähnlichen historischen Hintergrund wie beim Kalachakratantra, nämlich die gewaltsame Auslöschung des Buddhismus in Nordindien.
Das hat natürlich nie Leute davon abgehalten, sich aus diesem Sutra genau das herauszupicken, was ihnen gerade in den Kram passt. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Dr. Tony Page, der mit Hilfe insbesondere dieses Sutras einen pantheistischen „Tathagathagarbha-Buddhismus“ zu rekonstruieren versucht, dessen tatsächliche historische Existenz ich für mehr als zweifelhaft halte. „Bedeutend“ ist dieses Sutra sicherlich in historischer Perspektive, weil es vorübergehend eine wichtige Rolle bei der Rezeption des Mahayana in China gespielt hat, insbesondere bei der Ausdifferenzierung des Buddhanatur-Konzeptes. Auslöser war dabei das durch dieses Sutra eingeführte Konzept der ‚Icchantika‘ – Wesen, deren Karma dazu geführt hat, dass sie von der Buddhanatur ‚abgeschnitten‘ (agotra) und damit unfähig zur Erleuchtung sind. Konkret und ethisch bedeutsam in diesem Zusammenhang war dann die Fragestellung, ob solche Wesen getötet werden können, ohne dass für den Täter selbst karmische Konsequenzen entstehen. In der jahrelang geführten Debatte setzte sich schließlich Daosheng (360 - 434) durch, der die ‚Erlösbarkeit‘ der Icchantika vertrat und Gründer der Niepanshi (Nirvana-Schule, benannt nach dem Nirvana-Sutra) wurde. Diese Schule war verhältnismäßig kurzlebig; sie ging bereits im 6. Jahrhundert vor allem in der Tiantai-Schule auf und mit ihr schwand auch die Bedeutung des Nirvana-Sutra als Lehrtext.
The Nirvana Sutra is a very important scripture because of its influence on Zen Buddhism.
Das ist so undifferenziert formuliert falsch bzw. irreführend. Inwiefern das Nirvana-Sutra „important“ ist, habe ich bereits geschrieben. Der Einfluss auf das (frühe) Chan war hingegen eher indirekter Natur, er ging nämlich von der oben erwähnten Nirvana- Schule aus und bezieht sich vor allem auf die schon von Daosheng vertretene dunjiao-Doktrin (Lehre von der ‚plötzlichen‘ Erleuchtung, Subitismus), die zu einem ‚Markenzeichen‘ von Chan bzw. Zen wurde. Auf das Nirvana- Sutra lässt sich diese Doktrin jedoch nicht zurückführen. Ähnliches gilt für die vom Chan übernommene Doktrin von der (auch Icchantika einschließenden) Universalität der Buddhanatur – sie beruht auf Daoshengs Interpretation des Nirvanasutra in dieser Frage, die sich gegen eine gegenteilige Interpretation desselben Sutra durchgesetzt hatte. Huineng (638-713), der als sog. 6. Patriarch Gründerfigur des klassischen Chan wurde) gehörte möglicherweise ursprünglich einem späten Überrest der Nirvana-Schule an, einen überzeugenden Beleg dafür gibt es jedoch nicht. Die im Plattform-Sutra gesammelten Lehren Huinengs jedenfalls haben keinen speziellen Bezug auf das Nirvana-Sutra, hingegen auf das zur Prajnaparamita-Gruppe gehörende Diamantsutra.
Freundliche Grüße,
Ralf