Buddhistisches Prinzip ‘Honin myo’

Hallo Zusammen,
ich habe eine Frage zu einem buddhistischen Prinzip aus dem Lotus Sutra „Hon´in myo“.
Dieses Prinzip bedeutet, daß es immer möglich ist neu zu beginnen oder sich neu zu entschließen das Leben oder die Einstellung zu ändern. Unter den Buddhisten auch ins deutsche übersetzt als „von nun an“…

Leider kann ich kaum Litheratur darüber finden. Meist nur Floskeln und sehr abstrakte Erklärungen.

Weiß jemand mehr darüber?

Vielen herzlichen Dank
Steffi

Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung
Hi.

Tychiades hat sich bisher nicht zu Wort gemeldet, also versuche ich zur Klärung deiner Frage beizutragen.

´Hon`in´ bedeutet ´wahre Ursache´, d.h. im buddhistischen Kontext: die wahre Ursache der Buddhaschaft, der ultimativen Erleuchtung. Ausgangspunkt der Überlegungen war die Erörterung der Buddha-Frage im Lotossutra. Das mahayanische Denken hatte zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Sutras eine Vielzahl von individuellen Buddhas eingeführt. Um diesen Zustand zu entwirren, ersannen die Autoren des Lotossutra die Gestalt des Ewigen Buddha, der ohne Anfang in der Zeit ist, den es also ´schon immer´ gibt. Im Sutra, 16. Kap, sagt Buddha:

Meine Lebensdauer beträgt eine unermessliche Zahl von Asamkhyeya-Kalpas und bleibt stets erhalten, ohne zu erlöschen.

(kalpa = Existenzdauer eines Universums / der Buddhismus postuliert eine endlose Reihe entstehender und vergehender Universen)

Die Idee vom Ewigen Buddha wird auf den historischen Buddha Shakyamuni übertragen und dieser als Verkörperung des Ewigen Buddha gedeutet. Daraus ergibt sich folgende Überlegung: Wenn Shakyamuni der Ewige Buddha war, dann kann er die Buddhaschaft gar nicht erlangt haben, da sie ihm schon gegeben war. Was also war unter dem Bodhibaum geschehen?

Der chinesische Gelehrte T´ien-t´ai (auch: Chih´L) differenziert im 6. Jh. uZ in seinem Kommentar zum Lotossutra, dem ´Hokke Gengi´, zwischen der Wahren Ursache (hon`in) der Erleuchtung und der Wahren Wirkung (honga), d.h. die Erleuchtung selbst. Als Ursache benennt er das Praktizieren des Bodhisattva-Wegs. Damit sind zwei Zustände gegeben: der des Bodhisattva und der des Buddha. Meditative Praxis soll vom ersten Zustand zum zweiten führen. Das bedeutet, dass die Buddhaschaft als ein Ergebnis spiritueller Bemühungen erlangt werden muss, was der konventionellen Auffassung vom Buddha-Werden (jobutsu) entspricht .

Der Japaner Nichiren Daishonin (13. Jh. zu) dagegen lehnt die Unterscheidung von Ursache und Wirkung ab. Für ihn hat Shakyamuni keine Zustandsveränderung (vom Bodhisattva zum Buddha) durchlaufen, sondern einfach nur erkannt, dass er bereits Buddha ist. Die Buddhaschaft gehört zum innersten Wesen des Lebendigen, insofern sind Ursache (hon`in) und Wirkung (honga) gleichzeitig gegeben. Es gibt keinen Sprung vom ersten zum zweiten. Spirituelle Praxis besteht daher nicht darin, einen bestimmten Zustand zu erlangen, sondern sich bewusst zu machen, dass man sich (bis dato unbewusst) schon in diesem Zustand befindet.

Eine wichtige Konsequenz dieser Lehre ist, dass es jedem Menschen, nicht nur speziell begabten, grundsätzlich möglich ist, Buddhaschaft zu realisieren, da diese, wie schon erwähnt, eine elementare Eigenschaft des Lebens an sich ist.

Chan

Hallo Steffi,
Deine Probleme, tiefergehendere Informationen zu "ho’n-in-myo“ zu finden, hängen möglicherweise mit verschiedenen Missverständnissen zusammen. Außerdem fürchte ich, dass auch ich Dir nur eine "sehr abstrakte Erklärung“ geben kann. Ich stecke auch nicht wirklich tief genug in der Materie, um speziell nichiren-buddhistische Lehren ‚sine ira et studio‘ zu referieren. Bei ernsthaftem religionswissenschaftlichem Interesse wäre ich jedoch bereit, einen Kontakt mit Dr. Yukio Matsudo zu vermitteln, der das deutschsprachige Standardwerk über Nichiren und seine Lehre (ISBN: 3833407670 Buch anschauen) als Habilitationsschrift an der Uni Heidelberg verfasst hat – wobei es sicher sinnvoll wäre, sich vorher etwas mit diesem Buch zu beschäftigen.

Zunächst einmal ist anzumerken, dass es sich um einen speziell im Nichiren-Buddhismus gebräuchlichen Begriff handelt. Insbesondere die von Dir angeführte Bedeutung -

daß es immer möglich ist neu zu beginnen oder sich neu zu entschließen das Leben oder die Einstellung zu ändern

geht auf die Interpretation dieses Begriffs durch Nichiren Daishonin (1222 – 1282) und die von ihm entwickelte, damit verbundene religiöse Praxis zurück. Von einer „Übersetzung“ ist das allerdings weit entfernt, insofern ist dazu:

Unter den Buddhisten auch ins deutsche übersetzt als „von nun an“…

zu sagen, dass das schlicht falsch ist, egal ob nun Buddhisten oder Nichtbuddhisten das übersetzen. ‚ho’n-in-myo‘ (本因妙) heisst „mystisches Prinzip der wahren Ursache“ (wobei der Begriff „mystisch“ in dieser Übersetzung nicht ganz unproblematisch ist). Anzumerken ist auch, dass sich dieses „Prinzip“ so (durch diesen Begriff ausgedrückt) nicht im Lotossutra findet, sondern in einer der wichtigsten exegetischen Schriften zum Lotossutra, nämlich dem Fahua xuanyi (法華玄義, vollständiger Titel Miaofa lianhuajing xuanyi 妙法蓮華經玄義, T. 1716) des Gründers der Tiantai-Schule (天台宗) Zhiyi (智顗, 538-597) - einer der einflußreichsten Gestalten des ostasiatischen Mahayana. Nichiren Daishonin wiederum kam aus der Tendai-Schule, also dem japanischen Ableger der Tiantai Zong, und bezog sich stark auf Zhiyis o.g. Werk, allerdings auf recht originelle Weise.

Zwischenbemerkung: kausale Bedingungen für das Erwachen spielen natürlich generell in der buddhistischen Soterologie eine zentrale Rolle und wurden/werden breit diskutiert. Außerhalb der Nichiren-Schule ist der gebräuchliche terminus technicus allerdings nicht ‚ho’n-in-myo‘, sondern ‚sho-in‘ (正因). Bei Zhiyi übrigens ist ‚ho’n-in-myo‘ nur eines von zehn „mystischen Prinzipien“, die er im Lotossutra identifiziert.

Zhiyi prägt den Begriff 本因妙 (Jap. ‚ho’n-in-myo‘) bei seiner Exegese einer Passage des 16. Kapitels (dem sog. Lebensspanne-Kapitel) des Lotossutra: „Seitdem ich Buddha geworden bin, ist eine äußerst lange, ewige Zeit vergangen. Meine Lebensdauer beträgt eine unermessliche Zahl von Asamkhyeya-Kalpas und bleibt stets erhalten, ohne zu erlöschen. Gute Männer, einst praktizierte ich einen Bodhisattva-Weg, und die Lebensdauer, die ich dadurch erwerben konnte, ist immer noch nicht erschöpft. Sie wird noch doppelt so lange dauern wie bis hierher vergangen.“ (Übers. Margarethe v. Borsig). Zhiyi verweist auf die besondere Bedeutung dieser Passage, weil es hier um die (wahre) Ursache für das Erwachen (die Buddhaschaft) des historischen Buddha Shakyamuni geht. Vordergründig aufgefasst ist das „Praktizieren eines Boddhisattva-Weges“ das „mystische Prinzip der wahren Ursache“ (ho’n-in-myo); die zugehörige wahre Wirkung (ho’n-ga) ist das ursprüngliche Erwachen, dessen Manifestation in der Zeit das Erwachen des historischen Shakyamuni Buddha ist. Entscheidend für Zhiyis Argumentation ist, dass das „Praktizieren eines Boddhisattva-Weges“ ohne Anfang (zeitlos) ist; das gleiche gilt wiederum für das ursprüngliche Erwachen Buddhas. Es geht Zhiyi mithin nicht um eine einfache kausale Beziehung (Ursache-Wirkung), vielmehr ist die Auffassung, Buddhaschaft (Erwachen, Erleuchtung) könne erlangt werden, irrig. Dies widerspräche der zentralen Mahayana-Lehre von der allen Wesen ‚angeborenen‘ Buddhanatur – „alle Wesen“ sind Buddha, die konkrete Erfahrung des Erwachens (die sog. Erleuchtung) ist mithin nicht ein „Buddha werden“ sondern die Realisierung der seit jeher existenten Buddhanatur (oder des „ursprünglichen Erwachens“). Es besteht also zwar eine kausale Beziehung zwischen Bodhisattva-Praxis und Erwachen – aber zwischen Ursache und Wirkung besteht keine temporale Beziehung, kein „Vorher und Nachher“.

Dies erklärt auch die Deutung der Nichiren-Schule des „mystischen Prinzips der wahren Ursache“ als Verweis auf den gegenwärtigen Augenblick, das Hier und Jetzt. Nichiren definiert das „mystische Prinzip der wahren Ursache“ als das „Gesetz von Nam-myoho-renge-kyo“ (das steht so natürlich nicht im Lotossutra und auch nicht bei Zhiyi) und setzt es mit der mystischen nichiren-buddhistischen Praxis des Chantens des Myoho-renge-kyo vor dem Gohonzon als „Rückkehr zum Ursprung des Lebens“ gleich. Das ist aus seiner Sicht die Bodhisattva-Praxis, von der Shakyamuni Buddha im Lotossutra spricht.

Das ist natürlich eine sehr nichiren-spezifische Lehre, die von vielen Buddhisten als heterodox abgelehnt wurde (und wird). Noch weniger Zustimmung außerhalb der Nichiren-Schule findet Nichirens Auffassung, er selbst sei (als Offenbarer des „Gesetzes von Nam-myoho-renge-kyo“) der wahre Buddha von ho’n-in-myo, also Buddha der „wahren Ursache“, und damit Manifestation aller drei Gestalten Buddhas (hier wird dann noch auf die Trikaya-Doktrin rekurriert), während der historische Buddha Shakyamuni und alle anderen Buddhas lediglich den einen Aspekt der wahren Wirkung (ho’n-ga) manifestieren.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Tychiades,
vielen lieben Dank für das Angebot, den Kontakt herzustellen. Aber ich denke das ist nicht notwendig. Sein Name ist mir auch geläufig :wink: aber Deine Stellenangaben haben mir schon sehr viel weiter geholfen. Werde ich gleich nochmals nachlesen.

Ich praktiziere selbst schon seit einigen Jahren und möchte die nächste Studienversammlung vorbereiten… dieses Prinzip wurde immer nur am Rande betrachtet. Zum Jahresende hin finde ich dieses Prinzip sehr passend.

herzlichen Dank
Steffi

Mystik, Buddhanatur, Selbst und Nicht-Selbst
Hi.

Zwei Fragen an den Experten zu 1) mystischer Urgrund vs. Buddhanatur und 2) Selbst vs. Nicht-Selbst.

Seltsamerweise ähnelt nicht nur die (auch von Nichiren vertretene) Lehre von der allesdurchdringenden Buddhanatur den Lehren der westlichen Mystik, auch etymologisch gibt es eine - natürlich zufällige - Verbindung: „myo“ im Japanischen steht für (sinngemäß) eine unsichtbare allgegenwärtige kreative Kraft, während „myo“ im Griechischen ´verschließen, verschweigen´ bedeutet und - gemäß weitgehendem Konsens - als Wurzel des Begriffs Mystik gilt.

Du scheinst mit dem Ausdruck „Mystisches Gesetz“ nicht zufrieden zu sein, vermutlich, weil du im Mystikbegriff etwas Unbuddhistisches vermutest. Wie begründet ist diese Vermutung? Nichiren schreibt:

http://www.suedwestnetz.de/studium/basis/NamMyohoRen…

Myo ist der Name für das mystische Wesen des Lebens, und Ho für seine Manifestationen.

Hier stehen sich zwei Prinzipien gegenüber, die typisch sind für jede mystische Lehre: Ein ´Absolutes´ (sorry, den Ausdruck magst du definitiv nicht) und ein ´Relatives´, das als wesenlose Erscheinung (oder Form) aus dem Ur-Prinzip („das mystische Wesen des Lebens“ ) hervorgeht oder präziser gesagt: dessen wahrnehmbare Erscheinungsform ist. In anderer Begrifflichkeit: Die Buddhanatur ist das allgegenwärtige Wesen alles Existierenden, zumindest alles Lebendigen. Laut Nichiren haben auch materielle Objekte Buddhanatur (z.B. Bäume und Statuen), was dem klassischen Mystikverständnis besonders nahe kommt, dass auch vermeintlich ´tote´ Dinge Manifestationen des absoluten Prinzips sind. Das harmoniert mit dem mystischen Standpunkt des Vedanta, dass das Brahman, der transzendente Urgrund alles Existierenden, diesem Existierenden auch wesenhaft immanent ist.

A propos Vedanta. Du schreibst:

http://zensplitter.blogspot.de/2009/12/buddha-natur-…

Aus buddhistischer Sicht kann es hier keinen Kompromiss geben - es ist ja nach Shakyamunis Lehre gerade der Glaube an die Existenz eines atman, der die tiefste Wurzel von duhkha ist – also ist es die Essenz des Dharma, gerade an der Rodung dieser Wurzel zu arbeiten.

Es geht um den vedantischen Begriff des Selbst (sanskr. atman = eigentlich: Atem, Lebenshauch). Dass er an der Oberfläche dem buddhistischen ´Nicht-Selbst´ widerspricht, ist klar. Ist das aber nicht nur ein Spiel mit Worten? Ist die vedantische Grunderfahrung des Brahman (= das wahre ´Selbst´) wirklich eine andere als die buddhistische Erfahrung des Nirvana bzw. der Leere (Shunyata)? Wird das Brahman nicht ebenso wie Shunyata/Nirvana als zeitlos, raumlos, formlos usw. charakterisiert?

Eine Brahman betreffende bekannte Stelle im Brihadaranyaka-Upanishad lautet:

Dieses … nennen die Kenner des Brahman das Unvergängliche. Es ist nicht grob, nicht fein; nicht kurz, nicht lang; blutlos, fettlos; schattenlos, finsterlos; windlos, raumlos; ohne Haftung; ohne Tastsinn, ohne Geruchssinn, ohne Geschmackssinn, ohne Gesichtssinn, ohne Gehörsinn; ohne Sprachfähigkeit, ohne Denkfähigkeit; ohne Wärme, ohne Atem, ohne Mund; ohne Name, ohne Geschlecht; nicht alternd, nicht sterbend; bedrohungslos, unsterblich; ohne Raum, ohne Laut; nicht geöffnet, nicht geschlossen; nicht folgend, nicht vorangehend; nicht außen, nicht innen. Nichts langt hin zu ihm, niemand langt hin zu ihm…

Auf diese Upanishad bezieht sich auch Shankara. Ich erkenne darin aber kein substantielles Selbst, von dem man sich antithetisch mit dem Nicht-Selbst-Begriff absetzen müsste. Vielmehr entpuppt sich das Selbst als Nicht-Selbst (also Eigenschaftsloses), und genau das meint der Vedanta doch, wenn er vom Selbst spricht.

Im Nirvana-Sutra (ein bedeutender Text des Mahayana-Buddhismus) verwendet Buddha übrigens - ganz unbuddhistisch - den Begriff des Selbst als Bezeichnung für das Wesen des wahrhaft Wirklichen:

http://oaks.nvg.org/nirvana-sutra.html

Buddha declares that " in truth there i s Self (Atman) in all dharmas". That Self is „indestructible like a diamond“. Buddha is your immortal Self, thus.
(…)
The Nirvana Sutra is a very important scripture because of its influence on Zen Buddhism. It is striking for its teachings on the eternal, unchanging, blissful, pure, inviolate and deathless " Self" (atman) of the Buddha in the interiority of Nirvana: „If the non-eternal is made away with [in Nirvana], what there remains must be the Eternal; if there is no more any sorrow, what there remains must be Bliss; if there is no more any non-Self, what exists there must be the Self ; if there is no longer anthing that is impure, what there is must be the Pure“
.

Chan

Hallo Ch´an,
Ich bin dankbar für jede Art von Antwort. Auch Antworten von „Nicht-Buddhisten“ sind mir sehr hilfreich. Oft bedienen sich Buddhisten einer Sprache oder verwenden Floskeln, die für Aussenstehende nur schwer verständlich ist. Ich möchte mein Studium möglichst leicht verständlich und für Gäste zugänglich machen.

Da ich von Haus aus ein sehr skeptischer Mensch bin, hätten mich anfangs Begriffe wie z.B. „Mystisches Gesetz“ auch verwirrt. Wenn man dann tiefer drin steckt - ist es dann plötzlich total logisch und man stellt es gar nicht mehr in Frage. Aber genau dieser Dialog ist sehr wichtig.

Sicher gibt es eine jede Menge Literatur… Trotzdem möchte ich mich selbst durch Diskussion vertiefen.

Vielen Dank für Deine Antwort
Steffi

Hallo Chan,

Seltsamerweise ähnelt nicht nur die (auch von Nichiren vertretene) Lehre von der allesdurchdringenden Buddhanatur den Lehren der westlichen Mystik,

Wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht - sind die sich dann ähnlich oder nicht? „Ähnlichkeit“ ist eine sehr subjektive Kategorie und die Wahrnehmung von „Ähnlichkeit“ ist nur allzu häufig abhängig von der Genauigkeit (bzw. deren Vernachlässigung), mit der man „ähnliche“ Objekte betrachtet.

Ich muss eingestehen, dass ich für meinen Teil mit einer genauen Betrachtung der „Lehren der westlichen Mystik“ nicht dienen kann. Ich habe habe mich etwas eingehender mit Loyolas Exerzitien, Thomas a Kempis’ Imitatio und (natürlich) auch mit Meister Eckart beschäftigt – bei letzterem freilich weitgehend beschränkt auf seine deutschen Predigten. Dazu (vor allem aus lokalhistorischem Interesse) mit Hildegard von Bingens ‚Scivia‘. Alleine schon das unter einem einzigen Begriff wie „westliche Mystik“ zu subsumieren, scheint mir problematisch. Ich denke, wenn man weitere Schlüsselfiguren wie Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Marguerite Porète usw. usf. in die Betrachtung einbezieht, wird das nicht besser. Schon gar nicht, wenn man unter „westlicher Mystik“ nicht nur christliche oder christlich inspirierte Lehren verstehen will. Ein wenig (genug, um einen ersten Einblick zu gewinnen) habe ich mich auch mit dem osteuropäischen Chassidismus beschäftigt – da wird die Zusammenfassung unter einem Oberbegriff „westliche Mystik“ noch ein ganzes Stück dubioser. Jedenfalls für mich.

Das Gebiet ‚Buddhanatur‘ (Jap. Busshô, Chin. Foxing) hingegen ist mir schon etwas vertrauter, ohne dass ich hier eine wirklich umfassende Kenntnis vortäuschen will. Um überhaupt eine Grundlage für eine Diskussion dieses Begriffs zu haben, der – auch hinsichtlich der Begriffsgeschichte – in seiner Komplexität mit dem abendländischen Begriff „Geist“ durchaus vergleichbar ist (das ist kein inhaltlicher Vergleich!) sollte man zumindest das Ratnagotravibhaga studiert haben - eine Synopse von Aussagen verschiedener Sutren, aus denen dann ein konsistentes Konzept des ‚Tathagatagarbha‘ konstruiert wird, das sowohl in der tibetischen wie auch der ostasiatischen (chinesisch-koreanisch-japanischen) Tradition gemeinsame Grundlage und Ausgangspunkt für die Begriffsgeschichte der Buddhanatur ist. Der Quasi-Doketismus des XVI. Lotossutra-Kapitels bzw. das sich daraus entwickelnde Dharmakaya-Konzept - auch wenn das Saddharmapundarika (Lotossutra) im Ratnogotravibhaga keine direkte Erwähnung findet – gehört neben dem Ratnogotravibhaga sicher auch zu den historischen Wurzeln, jedoch sollte man sich hüten, die Konzepte „ursprüngliche Erleuchtung“ und „Buddhanatur“ schlicht gleichzusetzen. Das gleiche gilt für eine andere (‚hinayanische‘) Wurzel im Abhidharma – nämlich das Konzept cittaprakrti. Das - und damit eine einigermaßen klare Vorstellung, was unter Buddhanatur eigentlich zu verstehen ist - wäre, wie gesagt, eine gemeinsame Diskussionsgrundlage, wie weit das Konzept der Buddhanatur anderen, speziell westlichen, Lehren ähnelt.

Ich möchte nicht versäumen hinzuzufügen, dass wir damit lediglich eine Ausgangsbasis hätten. Das im Ratnagotravibhaga entworfene Konzept wurde in China vor allem im Foxing Lun (‚Abhandlung über die Buddhanatur‘) weiter ausdifferenziert. Von besonderer Bedeutung für das chinesische Chan bzw. dessen japanischen Ableger Zen ist dann weiterhin noch das Mahayanashraddotpadashastra, das den Tathagathagarbha mit dem Alayavijnana amalgamiert und so Cittamatra- und Tathagathagarbha-Ansätze zusammenführt. Das wiederum ist für die Begriffsgeschichte im tibetischen Kontext unerheblich – hier wäre hingegen in Betracht zu ziehen, wie z.B. Je Tsongkhapa die Buddhanatur-Doktrin weiterentwickelt. Das ist nun ebenfalls nicht mein Beritt – aber ich kann dazu anmerken, dass Je Tsongkhapa wie auch die unbekannten Verfasser des Foxing Lun und des Mahayanashraddotpadashastra entschieden gegen jede Reifikation des Tathagathagarbha bzw. der Buddhanatur argumentieren – durchaus im Einklang mit dem Ratnagotravibhaga, das entsprechende Passagen z.B. aus dem Mahaparinirvanasutra oder Srimalasutra dialektisch ausdeutet – als pädagogisch intendierte Antithese zu einem falschen(!) – d.h. einseitig negativistischen – Verständnis der Prajnaparamita-Sutren und der Madhyamaka-Philosophie.

Näheres kann ich zur tibetischen Rezeption des Buddhanatur-Begriffs nicht sagen. Genausowenig auch zu Nichirens Verständnis von Buddhanatur, da ich Nichirens sehr umfangreiches Werk (das übrigens komplett in englischer Übersetzung vorliegt) nur in Umrissen kenne. Insofern kann und will ich auch da keine Aussagen zu irgendwelchen „Ähnlichkeiten“ machen. Vertraut ist mir als Sôryo der Soto-Zentradition hingegen natürlich insbesondere Dogen Kigens Auffassung, wie sie vor allem in seinem ‚Essay‘ Shobogenzo Bussho dargelegt ist, der in etlichen Passagen Bezug auf verschiedene Meister der Chan-Tradition nimmt und ein Beispiel par excellence für die Behandlung des Budhanatur-Konzeptes im Zen ist. Das schließt auch die moderne Rezeption von Dogens Buddhanatur-Begriff (etwa bei Masao Abe) zu einem guten Teil mit ein. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen kann ich sagen, dass ich keine Ahnung habe, welchen „Lehren der westlichen Mystik“ die „Lehre von der allesdurchdringenden Buddhanatur“ ähneln soll.

Du scheinst mit dem Ausdruck „Mystisches Gesetz“ nicht zufrieden zu sein, vermutlich, weil du im Mystikbegriff etwas Unbuddhistisches vermutest. Wie begründet ist diese Vermutung? Nichiren schreibt:

http://www.suedwestnetz.de/studium/basis/NamMyohoRen

Myo ist der Name für das mystische Wesen des Lebens, und Ho für seine Manifestationen.

Zunächst einmal war nicht von einem „mystischem Gesetz“ die Rede, sondern von einem „mystischen Prinzip“. Das (bzw. Engl. „mystic principle“) ist die zumindest in der nichiren-buddhistischen Soka Gakkai übliche Übersetzung von „myo“ (妙). Offen gesagt, habe ich keine Ahnung, was Nichiren unter „das mystische Wesen des Lebens“ versteht, dazu müsste ich etwas mehr von ihm gelesen haben.

Grundsätzlich: „myo“ (妙) ist ein Begriff mit einem sehr weiten Bedeutungsspektum. Die Hauptbedeutung geht in die Richtung „wundervoll, erhaben, hervorragend“. Nebenbedeutung u.a. „rein, unbefleckt“ (als chinesische Übersetzung des Sanskritbegriffs pranīta), auch „verborgen, zugrundeliegend, mysteriös“ (wobei mysteriös und mystisch bekanntlich zwei verschiedene Paar Schuhe sind). Was nun die Nebenbedeutung angeht, die mit „mystisch“ bzw. „mystic“ übersetzt wird, so beruht diese bei den Nichiren-Übersetzern vermutlich auf der Interpretation von „myo“ (妙) als „fuka shigi“ (不可思議, etwa „jenseits diskursiven Denkens“) – was wiederum die chinesische Wiedergabe von Skrt. acintya ist. Das mag ein Berührungspunkt mit Aussagen über mystische Erfahrungen in der abendländischen Literatur sein, mehr vermag ich da jedoch nicht zu erkennen.

Die Buddhanatur ist das allgegenwärtige Wesen alles Existierenden, zumindest alles Lebendigen.

Das mag Dein Verständnis von Buddhanatur sein, meines ist es jedenfalls nicht. Um Deine Frage zurück zu geben:

Wie begründet ist diese Vermutung?

Ist die vedantische Grunderfahrung des Brahman (= das wahre ´Selbst´) wirklich eine andere als die buddhistische Erfahrung des Nirvana bzw. der Leere (Shunyata)?

Wer will das beurteilen? Ich für meinen Teil überlasse das gerne Leuten, die beide Erfahrungen gemacht haben – jeweils im Kontext der zugehörigen Lehre und Praxis, versteht sich. Kennst Du da jemanden?

Im Nirvana-Sutra (ein bedeutender Text des Mahayana-Buddhismus) verwendet Buddha übrigens - ganz unbuddhistisch - den Begriff des Selbst als Bezeichnung für das Wesen des wahrhaft Wirklichen:

Das Mahaparinirvanasutra enthält etliche scheinbar (oder tatsächlich) ‚heterodoxe‘ Stellen, die wiederum in der Regel zu anderen Stellen in diesem Sutra in direktem Widerspruch stehen. Die „atman-Stellen“ werden in der klassischen Exegese in dem Sinn aufgefasst, wie ich es schon oben im Abschnitt über das Ratnagotravibhaga angedeutet habe – als Formulierung einer Antithese zu extremen, nihilistischen Auffassungen. Was eben nicht heisst, diese Antithese sei ‚wahrer‘ oder eine ‚Richtigstellung‘ – sie ist vielmehr ein Remedium, das zur Synthese eines mittleren Weges zwischen Nihilismus und Eternalismus führen soll. Nüchtern philologisch betrachtet ist das Sutra eine Montage von Texten unterschiedlicher räumlicher und zeitlicher Provenienz – eine angesichts der inneren Widersprüche naheliegende Schlussfolgerung. Übrigens enthält es auch in ethischer Hinsicht ausgesprochen dubiose Stellen, die zum Missbrauch einladen. Man vermutet bei diesen Passagen einen ähnlichen historischen Hintergrund wie beim Kalachakratantra, nämlich die gewaltsame Auslöschung des Buddhismus in Nordindien.

Das hat natürlich nie Leute davon abgehalten, sich aus diesem Sutra genau das herauszupicken, was ihnen gerade in den Kram passt. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Dr. Tony Page, der mit Hilfe insbesondere dieses Sutras einen pantheistischen „Tathagathagarbha-Buddhismus“ zu rekonstruieren versucht, dessen tatsächliche historische Existenz ich für mehr als zweifelhaft halte. „Bedeutend“ ist dieses Sutra sicherlich in historischer Perspektive, weil es vorübergehend eine wichtige Rolle bei der Rezeption des Mahayana in China gespielt hat, insbesondere bei der Ausdifferenzierung des Buddhanatur-Konzeptes. Auslöser war dabei das durch dieses Sutra eingeführte Konzept der ‚Icchantika‘ – Wesen, deren Karma dazu geführt hat, dass sie von der Buddhanatur ‚abgeschnitten‘ (agotra) und damit unfähig zur Erleuchtung sind. Konkret und ethisch bedeutsam in diesem Zusammenhang war dann die Fragestellung, ob solche Wesen getötet werden können, ohne dass für den Täter selbst karmische Konsequenzen entstehen. In der jahrelang geführten Debatte setzte sich schließlich Daosheng (360 - 434) durch, der die ‚Erlösbarkeit‘ der Icchantika vertrat und Gründer der Niepanshi (Nirvana-Schule, benannt nach dem Nirvana-Sutra) wurde. Diese Schule war verhältnismäßig kurzlebig; sie ging bereits im 6. Jahrhundert vor allem in der Tiantai-Schule auf und mit ihr schwand auch die Bedeutung des Nirvana-Sutra als Lehrtext.

The Nirvana Sutra is a very important scripture because of its influence on Zen Buddhism.

Das ist so undifferenziert formuliert falsch bzw. irreführend. Inwiefern das Nirvana-Sutra „important“ ist, habe ich bereits geschrieben. Der Einfluss auf das (frühe) Chan war hingegen eher indirekter Natur, er ging nämlich von der oben erwähnten Nirvana- Schule aus und bezieht sich vor allem auf die schon von Daosheng vertretene dunjiao-Doktrin (Lehre von der ‚plötzlichen‘ Erleuchtung, Subitismus), die zu einem ‚Markenzeichen‘ von Chan bzw. Zen wurde. Auf das Nirvana- Sutra lässt sich diese Doktrin jedoch nicht zurückführen. Ähnliches gilt für die vom Chan übernommene Doktrin von der (auch Icchantika einschließenden) Universalität der Buddhanatur – sie beruht auf Daoshengs Interpretation des Nirvanasutra in dieser Frage, die sich gegen eine gegenteilige Interpretation desselben Sutra durchgesetzt hatte. Huineng (638-713), der als sog. 6. Patriarch Gründerfigur des klassischen Chan wurde) gehörte möglicherweise ursprünglich einem späten Überrest der Nirvana-Schule an, einen überzeugenden Beleg dafür gibt es jedoch nicht. Die im Plattform-Sutra gesammelten Lehren Huinengs jedenfalls haben keinen speziellen Bezug auf das Nirvana-Sutra, hingegen auf das zur Prajnaparamita-Gruppe gehörende Diamantsutra.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Anmerkung zu Deiner Quelle

http://www.suedwestnetz.de/studium/basis/NamMyohoRen…

Habe da gerade reingeschaut. Da steht:
„Myoho [jp. 無妙] bedeutet »Mystisches Gesetz« und drückt das Verhältnis zwischen dem im Universum vorhandenen Leben und den Millionen von verschiedenen Formen aus, die dieses Leben annehmen kann. Nichiren erläutert dies so: »Myo ist der Name …“ usw. usf.

„Myoho [jp. 無妙]“ ist Stuss. 無妙 wäre vielmehr ‚mumyo‘ - „nicht wundervoll“. Dem Ersteller des Textes ist offensichtlich entgangen, dass in der Formel ‚Nam-myoho-renge-kyo‘ das ‚nam‘ verkürzt für ‚namu‘ steht und mit zwei Kanji geschrieben wird: 南無 (chin. Transliteration von Skt. namas / Pāli namo). Das lässt die fachliche Kompetenz des Verfassers etwas zweifelhaft erscheinen.

Myoho - ‚wunderbares Gesetz‘ oder wenn es denn unbedingt sein muss von mir aus auch ‚mystisches Gesetz‘ ist natürlich 妙法. Übrigens - im Text steht auch: „Myoho-Renge-Kyo bedeutet Mystisches Gesetz des Lotos-Sutras, eine wörtliche Übersetzung des Sanskrit-Titels Saddharma Pundarika Sutra“. Es ist zwar richtig, dass Myoho 妙法 die Übersetzung von Skt. Saddharma सद्धर्म ist - nur lässt sich सद्धर्म (anders als 妙法) auch beim besten Willen nicht als „mystisches Gesetz“ übersetzen.

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