Grüeß Dich, Julia,
von der falschen Seite des Bodensees, dem am weitesten nördlichen Eck, wo alemannisch gesprochen wird, will ichs einmal probieren - kulturell und unabhängig von modernen Grenzen gibts da ja noch ein paar zugewandte Kantone. Die Eidgenossen unter uns mögen mir ein nüt für uguet gestatten.
S isch äbe ne mönsch uf ärde
Simelibärg
Dass der Sänger sich in der dritten Person einführt, ist bloß Höflichkeit. Es geht bis zum Ende um ihn selber.
Und d’s vreneli abem guggisbärg
U d’s simmes hansjoggeli änet äm bärg
S isch äbe ne mönsch uf ärde
Und I möcht bin ihm si
Für die Bedeutung der genannten Orte braucht es Kenntnisse der früheren Verfassung, die mir im Einzelnen fehlen. Die Eidgenossenschaft war nicht immer so republikanisch organisiert wie heute, und territoriale Bindung von Untertanen hat es da auch gegeben, obwohl die feudalen Auswüchse wie in Deutschland durch rechtzeitigen Austritt vermieden werden konnten. Kann es sein, daß die zwei nicht zusammen kommen, weil sie wegen ihre Wohnorte verschiedenen Herrschaften zugetan sind und sie nicht heiraten dürfen? Kann der soziale Unterschied durch die beiden Orte ausgedrückt sein? (vgl. „es sin emol zwei gspieli gsi“, wo das Schicksal des nicht standesgemäß heiratsfähigen Knechtes durch den Kehrreim „Hopp und zue, loss umundumme go“ eindrücklich illustriert ist.
U maner mir nid wärde
Vor chummer stirbe i
U stirbe I vor chummer
So leit me mi is grab
Unerfüllte Liebe und Tod: Die romantische Auffassung der im Minnesang verklärten Vorstellung, unerfüllte Liebe würde adeln („dâz ihr deste werter sît“). Am weitesten verbreitet dazu „Horch, was kommt von draußen rein“, die letzte nurmehr selten gesungene Strophe „wenn ich einst gestorben bin…“
I mines büelis garte
Den Büeli muß ich den Eidgenossen überlassen, ich würde Dir fürs erste zustimmen
Dert stöh zwöi jungi böim
Dr eini treit muschgate
Der angri nägeli
Liebe und (vermeintlich) aphrodisiakisch, treuebildend etc. wirkende Pflanzen: Auch dieses ein „Standard“ aus Volksliedern. Von den Nachbarn „En passant par la Lorraine“ die unglückliche Duchesse Anne en Sabots, die einen Majoranstrauß bekommt: „S’il fleurit, je serai reine, avec mes sabots, dondaine etc.“. Auch „Mir hat heut nacht geträumet ein’ wundersamen Traum, es wuchs in meinem Garten ein Rosmarienbaum…“
Mueschgaate die si süess
U nägeli si räss
I gibs mim lieb z’versueche
Das äs mi nie vergäss
siehe oben, zu der eigentlich von mueschgate und nägeli erhofften Wirkung weiß man im Brett „Esoterik“ wahrscheinlich mehr
Ha di no nid vergässe
Ha immer a di dänkt
S’isch nume zwöi jahr vergange
Die zweijährige Wartezeit auch in „Wohlan, die Zeit ist kommen“. „Jahr und Tag“ des fremdgeschriebenen Gesellen sind kürzer, aber es gibt aus der vorbürgerlichen Epoche sicher auch noch andere Warterituale, etwa betreffend Verlobung. Eventuell eine Pflicht-Wartezeit für einen Gesellen, der Meister werden will und dann erst heiraten könnte.
Das mi a di ha ghänkt
Dert unde I der tiefi
Dert steiht äs mühlirad
Das Mühlenrad ebenfalls ein häufiges Motiv. Zwei Fährten: (1) Der Müller als nicht zunftfähiger unehrlicher Beruf, in dessen Mühle (wo häufig auch ausgeschenkt werden durfte) die „öffentliche Ordnung“ nicht so ganz genau ist und (2) Fortuna und das Rad. Im Volkslied des ca. 18ten Jahrhunderts ist jede Menge Mittelalterliches verblieben.
Das mahlet nüt aus liebi
Bi nacht und ou bi tag
Das mühlirad isch broche
Und d liebi het es änd
We zwöi vonenangre scheide
De gäh si enangere d händ
Hier wirds erst richtig tragisch: Die beiden sind nicht zusammengekommen, sondern haben ihrer liebi ein end gesetzt und sich endgültig verabschiedet. Wie das geht, weiß der Sänger so wenig wie ich, daher ist ihm das Herz auf Dauer gebrochen und er muß singen.
Wenn ich den Text richtig interpretiere, dann handelt das Lied
von Hansjoggeli Simmen und von Vreneli - aber wie ist die
Ich-Form zu verstehen?
Hansjoggeli ist der unerhörte Liebhaber, aus dessen Sicht auch gesungen wird. Der Sänger fühlt mit ihm.
Und was ist ein „Büeli“? (2. Strophe) (ich würde es spontan
mit „Liebste/r“ übersetzen)
Ich passe und gebe weiter
Das Lied ist ja irgendwie ziemlich tragisch, aber ich kann
nicht direkt eine Geschichte darin sehen - kann mir da jemand
etwas anderes zeigen?
Die eigentliche Geschichte behält der Sänger für sich, wie es sich für Herzensangelegenheiten gehört. Er beschreibt eine Befindlichkeit, und das so schön, daß man eigentlich keinen US-Blues mehr hören braucht…
Naja - das waren meine konkreten Fragen. Ich freue mich aber
auch über alle anderen Infos zu diesem Lied bzw. Text.
Wenn Du irgendwo Aufnahmen von Urs Widmer (früher bei Zytglogge verlegt, glaube ich) auftreiben kannst: Horch einmal hinein. Öppe chai Züricher, sondern (?) Appenzeller oder (?) Toggenburger, aber schöö! - Hat in den siebziger Jahren, auf dem Höhepunkt der „Folk“-Mode, Auftritte eingeleitet mit den Worten „I mach chai Folk, i mach Folchlore“
Ich hoffe, Du bist damit es bizli witer cho.
Schöne Grüße
MM