Hallo!
Für die Aufbewahrung obiger kenne ich Reliquiare oder auch Schreine, aber hat man für eine Reliquie ein eigenes „Haus“ gebaut? Ein neu zu errichtendes Gotteshaus sollte eine Reliquie besitzen oder eine solche wurde in einer existierenden Kirche untergebracht, aber gibt es tatsächlich kirchliche Bauten, die eigens errichtet wurden, um dort eine Reliquie unterzubringen?
Gruß,
Eva
Hallo Eva,
Das in dieser Formulierung zu bejahen oder zu verneinen. würde voraussetzen, die Gründungsgeschichten sämtlicher Kirchenbauten, die je existiert haben, zu kennen.
Tatsächlich aber wurden von der frühen Martyrerverehrung angefangen, in der gesamten Spätantike, und bis ins Hochmittelalter Kirchenbauten vorzugsweise auf den Gräbern von Märtyrern und anderen Heiligen errichtet. Damit waren die somatischen Überreste in diesen Kirchenbauten bereits gegeben. Sie wurden in der Regel in den Hauptaltar des dem jeweiligen Heiligen geweihten Baues eingelagert.
Andere Kirchenbauten - insbesondere in den Zeiträumen der exzessiven germanischen und keltischen (großenteils gewaltsamen) Christianisierung - wurden auf bereits vorhandenen nichtchristlichen Kultstätten errichtet. Aus verschiedenen Gründen:
- natürlich aus missionstaktischen Gründen als Kompromiss mit den jeweiligen chthonischen Kulten,
- infolge von Synkretismen mit ebendiesen: Die jeweiligen Kultgestalten wurden entweder selbst „christianisiert“, wie z.B. die keltischen Brigit oder die nordische Lucia. Oder sie wurden mit (passenden oder passend gemachten) christlichen Heiligen identitfiziert,
- weil - was kirchenhistorisch oft unterschätzt wird - die jeweiligen Orte (bestimmte Berge, Quellen usw) bereits seit Jahrhunderten als „Fanum“, als heilige Fixpunkte in den Landschaften, kultische Relevanz hatten (dasselbe galt für vormalige Festtage der chthonischen Kulte).
Wo aber keine lokale Grabstätte eines Heiligen schon existitierte, ein solcher also importiert wurde, dort benötigte man (in der erwähnten Periode Spätantike bis Hochmittelalter) wenigstens einen reliquiaren Körperteil von diesem, um den jeweiligen Weihe-Bau als Fanum definieren zu können. Das führte in dieser Epoche zu dem bekannten manisch betriebenen Reliquienhandel. Das Primäre war aber dabei der Kirchenbau, für den man dann eine Reliquie zu erwerben suchte. Nicht umgekehrt.
Was aber deiner Vermutung nahekommt, ist die Tradition, daß in vorhandenen Bauten für zusätzliche erworbene Reliquien nicht nur Schreine, sondern eigene Altäre (bei größeren Bauten auch eigene Abteilungen, Nischen) errichtet wurden.
Daß für von einer Gemeinde erworbene Reliquien, die also nicht zu einem lokal vorhandenen Heiligengrab gehörten, eigens eine neue Kirche errichtet wurde, davon ist mir ad hoc nichts bekannt.
Gruß (nach langer Zeit mal wieder)
Metapher
Danke und herzlichen Gruß. Schön, einmal wieder von Dir zu hören! Wie immer eine erstklassige Antwort, die mir alle sagt, was ich wissen wollte und ein bissl mehr Kommt wieder in mein Privatarchiv.
Wünsche frohe Weihnachten gehabt zu haben und einen guten Rutsch in ein rundum erfreuliches neues Jahr!
Eva
Hallo!
Mir fällt da die Sainte-Chapelle in Paris ein, die Ludwig der Heilige zur Aufnahme der von ihm erworbenen Passionsreliquien erbauen ließ:
Erwähnen könnte man auch die böhmische Burg Karlstein, die Kaiser Karl IV. erbauen ließ, um die von ihm gesammelten Reliquien und Reichskleinodien (die teilweise, wie die Stephansburse und die Mauritiuslanze, auch Reliquiencharakter besitzen) zu verwahren:
Kapellen
Du erwähnst allerdings zu Recht die „Sainte Chapelle“-Tradition der französischen Könige. Die waren ja sogar, wie die Bezeichnung sagt, als Aufbewahrungsgehäuse definiert: Kapelle, Chapelle (lat. capella = „Mäntelchen“), deren klerikaler Verwalter der „Kapellan“ ist, ist ja das Deonym desjenigen Andachtshäuschens, in dem die Mantelhälfte des St. Martin von Tour aufbewahrt wurde. und das aus diesem Grund Capella genannt wurde.
Allerdings war solch eine Kapelle, im Falle von Palastkapellen traditionell als „Sainte Chapelle“ bezeichnet, zunächst lediglich, wenn überhaupt, ein bloßer Andachtsraum, keine Kirche. Und außerdem grundsätzlich im öffentlich nicht zugänglichen royalen Privatbesitz. Im Weiteren wurden dann auch Andachtsräume, öffentliche in der Landschaft, oder in Privathäusern, oder die erwähnten Nischen mit Seitenältären in größen Kirchen, Basiliken, Kathedralen als Kapelle bezeichnet. Auch ohne Zusammenhang mit Reliquien.
Der entscheidende Unterschied zu den Reliquien, die zu einem/einer bestimmten Heiligen geweihten Kirche gehören, ist aber, daß jene nie Knochenreliquien waren, sondern lediglich (angebliche) Gegenstände, die mit dem Lebenden zusammenhingen. Wie eben prototypisch der geteilte Martinsmantel.