Hallo Helena,
Zitat aus Krämer/Trenkler, Lexikon der populären Irrtümer, ISBN:3492224466 Buch anschauen, mit weiterführendem Literaturhinweis.
Grüße
Wolfgang
Nero
Kaiser Nero hat seine eigene Hauptstadt Rom in Brand gesetzt Von allen römischen Kaisern hat Lucius Domitius Ahenobarbus, besser bekannt als Nero, heute die schlechteste Presse. Zusammen mit Hitler, Stalin und Pol Pot wird er gern dem Spitzenquartett humaner Monster zugerechnet - ein hemmungsloser Lüstling, Mutter-, Vater-, Frauen-, Brudermörder, Christenverfolger, Brandstifter, Sadist, ein einziger Ausbund an Scheußlichkeit und Perversion.
Nicht daß Nero an diesem Image schuldlos wäre - nach heutigen Maßstäben von Menschlichkeit und gutem Benehmen gehörte er zweifellos in einen Zoo. Aber nicht alles, was man ihm heute zuschreibt, hat er wirklich auch getan. Und verglichen mit seinen Vorgängern Caligula, Tiberius, Augustus und Cäsar war Nero eher ein harmloser Idiot.
Insbesondere ist der große Brand von Rom im Jahr 64 nach Christus, die bis dahin und wohl auch für alle Zeiten größte Katastrophe der römischen Stadtgeschichte, entgegen allen Gerüchten und Legenden vermutlich doch nicht Neros Werk gewesen. Damals lebten in Rom, der größten Stadt der Erde, über eine Million Menschen, dichtgedrängt in Holzbaracken oder Mietskasernen, so wie heute in Hongkong oder in Rio de Janeiro; Zehntausende verloren alles, was sie hatten. Fünf Tage und fünf Nächte wütete das Feuer, zehn von damals vierzehn Stadtbezirken wurden angegriffen, drei komplett vernichtet, Chaos, Durcheinander ohnegleichen. „Dazu das Wehgeschrei der verängstigten Frauen, die schwachen Greise und die kleinen Kinder, dazu die Leute, die sich selbst und anderen helfen wollten, die Kranke wegschleppten oder auf sie warteten, das Zögern der einen, die Eile der anderen“, lesen wir bei Tacitus. „Oft wurden Leute, die nach rückwärts schauten, von den Flammen von der Seite oder von vorne umzingelt. Und man floh nur bis in die nächsten Gassen, so wurden auch diese vom Feuer ergriffen. Selbst auf Straßen, von denen man glaubte, sie seien sicher, lauerte plötzlich dieselbe Gefahr. Schließlich wußte keiner mehr, wo es gefährlich, wo noch einigermaßen sicher war. Menschenmassen füllten die Straßen, andere warfen sich auf den Feldern hin. Manche hatten ihre ganze Habe verloren und nicht einmal für einen Tag zu essen.“
Eine solche Katastrophe braucht natürlich einen Schuldigen, und so begann man schon bald nach dem Brand zu tuscheln, Nero selber hätte ihn gelegt, aus architektonischem Größenwahn, um Platz für einen neuen Palast zu schaffen. „Nero behauptete, der Anblick der häßlichen alten Häuser und der engen, gewundenen Straßen beleidige sein Auge, und ließ daraufhin die Stadt in Brand stecken“ (Sueton). „Nero schickte unter der Hand einige Leute aus, die sich betrunken stellten oder so, als wollten sie irgendeinen schlechten Streich ausführen. Diese legten dann das Feuer, die einen da, die anderen dort…“ (Cassius Dio). Diese und ähnliche Gerüchte machten schnell die Runde.
Jedoch wurden diese Verdächtigungen von Kennern der Szene niemals richtig ernst genommen. Denn Nero hatte durch dieses Feuer mehr als jeder andere verloren: seinen eigenen Palast, seine geliebte Kunstsammlung und sehr viel Bargeld obendrein, denn er war als Kaiser für Obdach und Ernährung seiner Untertanen höchstpersönlich selbst verantwortlich - nach dem Brand war Nero finanziell fast völlig ruiniert. „Wir können heute davon ausgehen, daß die Brandstiftertheorie von Sueton in die Welt gesetzt wurde, einem Autor, der nicht Geschichte aufzeichnete, sondern Geschichten, und mitunter unkritisch Gerüchte und Anekdoten kolportierte, die ihm zu Ohren kamen“, schreibt der Nero-Biograph Philipp Vandenberg.
Auch die in verschiedenen Hollywood-Filmen verewigte Legende, Nero hätte sogar, das brennende Rom zu Füßen, dramatische Gesänge vorgetragen, ist höchstwahrscheinlich frei erfunden. Zwar hielt sich Nero in der Tat für einen großen Sänger und hatte vielleicht in seiner Vorliebe für Griechenland und alles Griechische im brennenden Rom das brennende Troja aus der „Ilias“ des Homer gesehen, aber singend vorgetragen hat er diese Gedanken sicher nicht, allein schon deshalb, weil fast alle später gern zitierten Vortragsstätten selbst in hellen Flammen standen (oder von dort das brennende Rom überhaupt nicht sichtbar war).
„Die ersten frühchristlichen Autoren hätten gute Gründe gehabt, die Brandstiftung durch Nero zu erwähnen, aber offensichtlich waren sie selbst nicht von Suetons Darstellung überzeugt“, schreibt Vandenberg. „Erst mit wachsendem zeitlichen Abstand kamen im vierten Jahrhundert Legenden um die Märtyrer der Urchristen auf. Und dazu brauchte man Nero als mutwilligen Brandstifter, der die Verantwortung anschließend auf die Christen abschob.“
Denn ein Schuldiger mußte gefunden werden, und dazu eignet sich am besten eine unbeliebte Minderheit - damals zufällig die Christen. Falsche Ankläger und Denunzianten waren ohne Schwierigkeiten aufzutreiben, es gab die ersten Märtyrer, und damit war Neros Nachruhm unausweichlich ruiniert; diese Verfolgungen hat ihm das siegreiche Christentum niemals mehr verziehen.
Obwohl also Nero - „für römische Verhältnisse im ersten Jahrhundert eigentlich ungewöhnlich normal“ (Vandenberg) - zur Zeit der Christenprozesse gerade Griechenland bereiste und von den Verfolgungen unter Umständen überhaupt nichts wußte, obwohl vor ihm und nach ihm andere Imperatoren weit schlimmer wüteten, weit mehr Gesetze mißachteten und weit mehr unschuldige Menschen auf dem Gewissen hatten, obwohl Nero seine Rolle als römischer Kaiser weit weniger mißbrauchte als viele andere vor ihm und nach ihm, stand er von nun an reichlich unverdient als größtes Monster der Geschichte da.
Literatur Philipp Vandenberg: Nero: Kaiser und Gott, Künstler und Narr, München 1981. Die wichtigsten Originalquellen sind die antiken Historiker Tacitus (55-116), Sueton (70-150) und Cassius Dio (150-235), die Nero vor allem als abschreckendes Beispiel herausstellen und damit neben der christlichen Kirche nicht unwesentlich zu seinem verzerrten Nachruhm beigetragen haben.