erlöste Gottlose
Hi Ralf,
wie stellen sich die großen
christlichen Kirchen zur Frage der Erlösung jener Menschen,
die Christus nicht als ihren Heiland annehmen konnten, da sie
entweder vor seinem Auftreten lebten oder aber nie die „Frohe
Botschaft“ hören und annehmen konnten?
Darin eingeschlossen ist dann ja auch die Frage nach den Kindern, die sterben, bevor sie diese Fragen überhaupt perzipieren können.
Zu der Stellung der katholischen Dogmatik (bei der diese Fragen natürlich auch in ständiger Diskussion sind), habe ich tatsächlich hier schon einmal etwas angedeutet. Ich finde es allerdings nicht mehr, daher hier nochmal eine Zusammenfassung:
In der katholischen Theologie bzw. Dogmatik istdas Thema unbedingt geknüpft an die Vorstellung des „aus den Toten“ aufstehenden Menschen (anástasis ek tôn nekrôn). Hier ist es nach meiner Ansicht von Vorteil, diesen Ausdruck „anástasis“ aus dem Johannesevangelium nicht mit dem pathetischen, traditionellen „Auferstehung“ zu übersetzen, sondern mit „Aufstehen“. Er wird in diesem Text bedeutungsgleich mit egeiro/egeiromai („wecken“/„wachwerden“) und hairo/hairomai („erheben“/„sich aufrichten“) verwendet.
Die kath. Lehrmeinung sagt zu der gestellten Frage u.a. Folgendes:
Alle Toten werden in der krísis („Entscheidung“, in der jur. Sprache „das Gericht“) am sog. „Jüngsten Tag“ (eschatê heméra, im Joh. bedingungslos mit nýn „jetzt“ in Verbindung gebracht!) mit ihren Leibern auferstehen.
Das ist als eine Form des sog. Dogmas formuliert („sententia certa“). Zu ergänzen ist: in einer unvergänglichen Form (aphtharsia nach 1 Kor. 15,52ff). Dabei steht der Begriff „auferstandener Leib“ mit den Begriffen „verklärt“ und „umgestaltet“ in Verbindung, was (mir) aber hier zu diskutieren zu komplex ist.
Ferner:
„Die Toten werden mit demselben Leib auferstehen, den sie auf Erden getragen haben“ ist als absolut verbindlicher Glaubenssatz („de fide“) formuliert.
„Auferstehen“ (leiblich) tun also alle Toten, die Glaubenden und die Nichtglaubenden.
Überflüssig zu erwähnen: Hierbei ist natürlich weiter zu fragen, was unter „Auferstehung“, „Jüngster Tag“ und „leiblich“ zu verstehen ist. Diese Begriffe sind seit Anfang der Geschichte des Christentums Gegenstand der Diskussion bzw Auslegung gewesen, zumal darin die 4 Positionen a. der Synoptiker, b. des Johannes-Evangeliums, c. der paulinischen Theologie und 4. der Apokalypse nicht unbedingt kompatibel sind. Von der Todes-Theologie der Apokalypse nimmt die katholische Theologie sowieso immer mehr Abstand.
Es gibt jedenfalls einen Unterschied der Art des auferstandenen Leibes der Glaubenden und Nichtglaubenden (abgesehen davon, daß unter den Glaubenden die „Gerechten“ und die „Sünder“ auch noch unterschiedliche Wege gehen!):
Ich zitiere zwei Aussagen, die zwar nicht den Status des absolut verbindlichen Dogmas haben, aber den des „gesicherten Glaubenssatzes“ (sententia certa):
„Die Leiber der Gerechten werden … verklärt werden.“
„Die Leiber der Gottlosen werden … nicht verklärt werden.“
Der Unterschied hängt also an dem Begriff „Verklärung“. Dieser ist eine Übersetzung des griech. metamorphosis, der von vielen Autoren - auch sinnvollerweise - in der nächstliegenden Form wiedergegeben wird: „Umgestaltung“.
Damit ist bei den kath. Theologen gemeint (nur unter anderem, der Begriff ist recht komplex): der „umgestaltete“ Leib ist nicht mehr leidensfähig. Die „gottlosen“ Auferstandenen bleiben also leidensfähig, womit gewisse Folgen verbunden sind …
So, damit entsteht die Frage, die du gestellt hast. Denn in der o.g. Formulierung ist unter einem „Gottlosen“ ein Toter zu verstehen, der in bewußter Entscheidung den Gott, und zwar den in der Begrifflichkeit, von dem hier die Rede ist, ablehnt. Klar ist, daß gerade mit dieser so verstandenen Gottlosigkeit der Gott als überhaupt Existierender, und zwar - für den Toten - als ein Gegenüber, vorausgesetzt ist.
Die Folge dieser Haltung, die dann mit dem Begriff „ewige Verdammnis“ gefaßt wird (eine „Hölle“ in dem landläufigen Sinne gibt es in der kath. Theologie gar nicht), besteht dann darin, daß dieser Art von Toten das „Ansehen“ Gottes irreversibel versagt bleibt - was wiederum ja nur dann eine „Qual“ sein kann, wenn sich die Sehnsucht nach dem vormals Abgelehnten wieder einstellen würde. Da gibt es also Widersprüchlichkeiten, die meines Wissens in der kath. Theologie nicht deutlich genug diskutiert wurden.
Eine weitere unaufgelöste Unstimmigkeit besteht nun bezüglich der von dir benannten Klasse von Toten. In der mittelalterlichen Theologie wurde ein (an sich viel älteres) Konzept wieder aufgegriffen: Das einer Art „Vorhölle“ (Limbus): der „Limbus puerorum“ für die „unschuldigen“ Kinder (die zwar mit der überindividuellen „Erbschuld“, aber nicht mit einer individuellen Sünde belastet sind), und der „Limbus patrorum“ für diejenigen, die entweder zeitlich vor der Rettungswerk Christi lebten, oder nachher, aber nie eine Möglichkeit der Kenntnisnahme bekamen.
Der Limbus wurde so verstanden, daß die „Insassen“ zwar ebenfalls in Gottesferne ihr Dasein leben mußten, aber nicht in der Qual einer unerfüllten Sehnsucht. Die Ungereimtheit liegt hier darin: Christus ist ja (in der christlichen Vorstellung) zwischen Tod und Auferstehung in der „Unterwelt“ gewesen, um ebendort sein Erlösungswerk auch auf genau die obenerwähnten Toten auszuweiten: Diejenigen, die von ihm noch nichts wissen konnten und die, die von ihm zeitlebens nichts wissen werden). Somit ist - nach dem Erlösungswerk - die später entstandene Konzeption dieses Zwischenzustandes a posteriori überflüssig.
Aus diesen Irritationen hat dann Johannes XXIII die Konsequenz gezogen, die sich in den bereits von pendragon zitierten Formulierungen niederschlägt: Diese Toten, die in Unkenntnis leben, sind bereits „erlöst“.
Mit den Problemen der Rechtfertigung (sofern damit nicht die andere Rechtfertigung des Theodizeeproblems gemeint ist), hat das, soweit ich sehe, keinen Zusammenhang. Dabei geht es ja nur um die toten Gläubigen.
Gruß
Metapher