Ähnlichkeiten mit der Gegenwart wären rein zufällig unvermeidlich:
Die arbeitende Bevölkerung, gleich ob hörige Bauern oder Tagelöhner, Bergleute, Handwerksgesellen, Dienstboten, Heim- oder Manufakturarbeiter, lebte von der Hand in den Mund. Wurde einer krank, arbeitsunfähig oder altersschwach, mussten er oder seine Angehörige betteln gehen. Auch bei regelmässiger Arbeit reichte der Lohn selten aus, eine Familie zu ernähren, und dabei schufteten die Menschen täglich zwischen vierzehn und siebzehn Stunden. Bei guter Konjunktur und steigenden Preisen blieben die Löhne gleich, wodurch das Realeinkommen weiter sank. Absprachen oder gar Bündnisse der Arbeiter mit dem Ziel, durch gemeinsames Vorgehen eine Erhöhung ihres Lohnes zu erreichen, waren streng verboten und wurden strengstens bestraft. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts gingen auch immer mehr deutsche Kleinstaaten dazu über, alle Almosenempfänger, Bettler, Waisenkinder, Krüppel und Greise in Anstalten unterzubringen, doch nihct zu ihrer Pflege, sondern zur „nützlichen Verwendung“, wobei der Lohn für die Zwangsarbeit nur in kärglichster Verpflegung und menschenunwürdiger Unterbringung bestand.
Und je mehr Insassen von Armen-, Spinn-, Zucht-, Arbeits- und Waisenhäuser, Blinden- und Altersheimen an Manufakturen, Bergwerke, Tuchfabriken, Handwerksbetriebe oder zur Feldarbeit vermietet wurden, desto weniger Arbeitsplätze für Lohnarbeiter gab es. Das drückte auf die Löhne und vermehrte die Schar der Bettler, damit aber auch - auf dem Umweg über die Anstalten, in die sie eingewiesen wurden - das Heer der wie Sklaven gehaltenen Zwangsarbeiter.
Sklavenarbeit war es auch, die den Fürsten ermöglichte, mach französischem Vorbild jene höfische Kultur zu schaffen, die ihrem Geltungsbedürfnis entsprach und deren Zeugnisse wir heute als „die deutsche Kunst“ des späten arock und frühen Rokoko bewundern.
Wenn sich ein Markgraf von Baden mitten in die Wildnis seine neue Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe mit jenem lächerlichen Harem als Mittelpunkt anlegte; wenn ein Kurerzbischof von Köln, Clemens August, weil er sich ganz der Jagd und seinen Mätressen widmete, das herrliche Schloss Brühl nebst Jagdschloss Falkenlust erbauen liess, und wenn der Markgraf Friedrich von Bayreuth für das Hauptstädtchen seines Zwergstaats ein neues Schloss, ein prachtvolles Opernhaus sowie das Lustschloss Eremitage zu benötigen meinte, so ging das im Falle des Bayreuthers etwa so vor sich:
Steine und Holz kosteten den Markgraf gar nichts, denn sie stammten aus „seinen“ Bergen und Wäldern, und die Arbeit verrichteten dort Zwangsarbeiter. Den Transport hatten spanndienstpflichtige Bauern gratis durchzuführen. Die eigentlich Bauarbeiten wurden von Handwerkers für Hungerlöhne ausgeführt; der ausländische Architekt bekam ein paar Jahre lang freie Kost und Unterkunft, einen schönen Titel, einen Orden und einen Beutel mit Dukaten. Und für die mühseligen Feinarbeiten, zum Beispiel das Blattgoldwalzen und -hämmern für die reichen Vergoldungen, verwendete man geschickte Waisenkinder, die noch dankbar sein mussten, wenn sie für täglich zehn Stunden Arbeit einen Teller Suppe und einen Kanten Bro erhielten. Ja und selbst das Gold, sowohl für die Dukaten und für die Innenausstattung, kam teils aus dem Ländchen selbst, musste vom Volk in Form von Steuern und Abgaben aller Art erarbeitet werden oder wurde von den in Nordamerika gezwungenermassen für die Kolonialherren kämpfenden oberfränkischen Untertanen mit ihrem Blut teuer bezahlt werden.
Wer aber kam in den Genuss der so geschaffenen Kultur? Dass die zahlreichen Schlösser, Prakanlagen und Lustpavillons, die Gemäldegalerien und Bibliotheken allein dem Landesherrn und seinem Hofstaat vorbehalten blieben, versteht sich unter den damals herrschenden Verhältnissen fast von selbst. Aus dem Volk wurden höchstens ein paar hübsche Mädchen des Glücks teilhaftig, die Pracht des Rokoko-Schlösschens von innen bewundern zu dürfen. Denn selbst die Mätressen der Fürsten waren in aller Regel von ihrem Eltern, Brüdern oder Ehemännern zu deren eigenem Vorteil an den Landesherrn verkuppelte Adelige.
Aber auch die Theater, Opernhäuser und andere, wie man meinen könnte, öffentliche Bauten waren keineswegs für das Volk, sondern zunächst ausschliesslich für den Landesherrn und seinen Hof bestimmt. „Der Pöbel“, wie man bei Hof die Masse verächtlich nannte, durfte lediglich draussen, aus gebührender Entfernung, artig die Hüte schwenken, Hurra schreien und staunend zusehen, wenn sich an bestimmten Tagen die eleganten, mit Juwelen geschmückten Damen und Herren vom Hofe durch ein Spalier von Fackeln haltende Lakaien und das Gewehr präsentierende Wachen zur abendlichen Unterhaltung und Zerstreuung ins Hoftheater oder in die Oper begaben.
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