Das 'Du'-Phänomen im Web

Hallo, liebe Gemeinde,

folgende merkwürdige Situation ist mir gerade aufgefallen: Jemand stellt in einem Forum ähnlich diesem hier, allerdings spezialisiert auf Recht, eine Frage. Antworten gehen ein, die - wie den Usernamen und den Unterschriftsformeln zu entnehmen ist - u.a. von Rechtsanwälten verfaßt wurden. Auch ein Polizeibeamter ist dabei. Alle Antworter siezen den Fragesteller, verwenden darüber hinaus teilweise sogar höflichen, formellen Briefstil. Der Fragesteller hat Rückfragen - und duzt die Antworter völlig unbeeindruckt, als ob das selbstverständlich sei. Und dieser Fall ist in jenem Forum kein Einzelfall.

In einer „realen“ Gesprächssituation wäre das undenkbar. Man stelle sich vor: Jemand sucht einen Rechtsanwalt auf, nimmt in dessen Besprechungsraum Platz und beginnt das Gespräch mit dem Anwalt mit den Worten „Hör mal, Du, ich hab’ da mal 'n Problem…“. Und das gilt bekanntlich nicht nur für das Gespräch beim Anwalt.

Was treibt die Leute, in der Kommunikation per E-Mail (die Kommunikation im Forum ist nichts anderes, mit dem Unterschied, daß niemand den Kreis derer kennt, die die Nachricht letztlich lesen) sämtliche Umgangsformen über Bord zu werfen und sich stattdessen einer Sprache zu bedienen, die im wirklichen Leben vorwiegend unter pickligen Teenies auf Schulhöfen üblich ist? Müßte nicht die Tatsache, daß der Teilnehmer einer Kommunikation per Internet über sein Gegenüber noch viel weniger weiß, als derjenige, der seinem Gesprächspartner „live“ gegenübersteht, eher umgekehrt zu noch mehr sprachlicher Umsicht und Höflichkeit Anlaß geben, als es im „realen“ Gespräch üblich ist?

Grüße,
ATN

PS: Die beliebte Schein-Begründung „Das ist halt im Web so üblich, und wenn Dir das nicht paßt, dann kannst Du ja gehen“ erkenne ich übrigens nicht an. Erstens, weil das keineswegs „im Web so üblich“ ist, wie ein Blick auf jede halbwegs seriöse Webpräsenz, die nicht Musik, Spiele oder Hausaufgaben zum Gegenstand hat, zeigt. Zweitens, weil es nicht im Web schlechthin, sondern allenfalls unter bestimmten „Menschengruppen“ (vorzugsweise Computerspieler, Vielsurfer, Hacker, Kinder) „so üblich“ ist (wobei allerdings zuzugeben ist, daß gerade diese Gruppen intensiv in bestimmten Bereichen des Netzes präsent sind).

Hallo „Du“,

PS: Die beliebte Schein-Begründung "Das ist halt im Web so
üblich

es ist in einem Forum so üblich, nicht im Web. schau dir foren an, es ist so üblich!

und wenn Dir das nicht paßt, dann kannst Du ja gehen"

naja gut. etwas krass. wenn dich einer mit DU anspricht, kannst du ihn wegen seiner schlechten erziehung schlicht ignorieren. geht im netz auch.

erkenne ich übrigens nicht an. Erstens, weil das keineswegs
„im Web so üblich“ ist, wie ein Blick auf jede halbwegs
seriöse Webpräsenz, die nicht Musik, Spiele oder Hausaufgaben
zum Gegenstand hat, zeigt.

ist halt was anderes als ein forum…

der ungezwungene, rel. anonyme plausch zwischen maurer und prof. dr., zwischen kranken und gesunden, zwischen blondem modepüpchen und häßlichem entlein ist doch einfach prima. ein „sie“ wäre hier völlig falsch und würde nur wieder eine gewisse distanz erzeugen, die hemmungen hervorruft. rechtschreibe und grammatikfehler ebenso. einfach drauflosschreiben, egal ob tipfehler. ungezwungene konversation, als ob man spricht.

ich vermute auch, daß dieses „phänomen“ aus der englischsprachigen herkunft des i-netzes herrührt, da ja dort nicht so strikt unterschieden wird, bzw das in der übersetzung verloren geht.

Grüße
Matthias
(ich hoffe, dich stört das du nicht allzusehr)

Hallo „Du“,

Ebenso hallo Du,

der ungezwungene, rel. anonyme plausch zwischen maurer und
prof. dr., zwischen kranken und gesunden, zwischen blondem
modepüpchen und häßlichem entlein ist doch einfach prima. ein
„sie“ wäre hier völlig falsch und würde nur wieder eine
gewisse distanz erzeugen, die hemmungen hervorruft.

Ja, das stimmt wohl. Allerdings kann - je nach Situation - auch mal eine gewisse Distanz durchaus sinnvoll sein.

rechtschreibe und grammatikfehler ebenso. einfach
drauflosschreiben, egal ob tipfehler. ungezwungene
konversation, als ob man spricht.

Grammatik- und Rechtschreibfehler - jedenfalls wenn sie gehäuft auftreten - sind weniger Merkmal ungezwungener Konversation. Sie signalisieren dem Leser vielmehr vor allem, daß ihm der Absender noch nicht einmal soviel Wertschätzung entgegengebracht hat, daß er es für nötig hielt, dem Leser zwei armselige Minuten zu opfern, die nötig gewesen wären, das Machwerk vor dem Absenden noch einmal korrekturzulesen. Stattdessen wirft er dem armen Leser einige hastig hervorgewürgte und halbherzig in die Tastatur gehackte Wortbrocken vor die Füße. Dabei ist ihm offensichtlich gleichgültig, ob der Leser diese Trümmer verdauen kann und zu welcher Einschätzung über den Schreiber er dabei kommt.

Abgesehen davon ist die Beachtung von Grammatik und Rechtschreibung im Interesse der Lesbarkeit einfach geboten. Falls Du hier schon länger dabei bist und daher schon einmal das zweifelhafte Privileg hattest, ein Posting von „asucher“ alias „Rupp“ genießen zu dürfen, wirst Du wissen, was ich meine.

(ich hoffe, dich stört das du nicht allzusehr)

Nein, stört mich absolut nicht. Aber es ist dennoch interessant, daß das Web manchmal seinen ganz eigenen, ungewöhnlichen Gebräuchen folgt.

Tschüß Du :wink:

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Hallo atn,

ich möchte ihre Frage ernst nehmen und versuchen einige Erklärungsansätze zu finden.

Was treibt die Leute, in der Kommunikation per E-Mail (die
Kommunikation im Forum ist nichts anderes, mit dem
Unterschied, daß niemand den Kreis derer kennt, die die
Nachricht letztlich lesen) sämtliche Umgangsformen über Bord
zu werfen und sich stattdessen einer Sprache zu bedienen, die
im wirklichen Leben vorwiegend unter pickligen Teenies auf
Schulhöfen üblich ist?

Dies ist nicht ganz korrekt. Da gibt es das Techniker-Du und das Du unter Handwerkern. Auf dem Bau war es sowieso schon immer üblich (Man stelle sich vor "Bitte rühren Sie eine weitere Ladung Speis an). In vielen Millieus ist das Du mittlerweile standard. Dies findet man auch unter Akademikern, insbesondere natürlich im Computerbereich.

Müßte nicht die Tatsache, daß der
Teilnehmer einer Kommunikation per Internet über sein
Gegenüber noch viel weniger weiß, als derjenige, der seinem
Gesprächspartner „live“ gegenübersteht, eher umgekehrt zu noch
mehr sprachlicher Umsicht und Höflichkeit Anlaß geben, als es
im „realen“ Gespräch üblich ist?

Es gab einmal eine Zeit, in der es selbstverständlich war, dass Kinder Ihre Eltern mit „Sie“ ansprachen. Das war ein klares Gebot, um den Respekt anzuzeigen. Und es gar nicht mal so lange her.
Heutzutage würde man so etwas als absurd und idiotisch betrachten. Die Verwendung der 2ten Person plural (Ihr) als Anrede ist unseren Ohren anachronistiosch. Niemand würde Sie heute ernsthaft in einem Gespräch verwenden.

Kurzum, die Sprache ist in einem Wandel.
Könnte es sein, dass wir gerade die Generation betrachten, in der die 3te Person plural abgeschafft sird?

Der Zweck dieser Anrede ist ja unter anderem Distanz zu schaffen und hierarchische Strukturen zu verdeutlichen. Es hat nun aber ein Wertewandel stattgefunden. Während in den vergangenen Zeitaltern Hierarchien und die Überlegenheit des Einen über den Anderen als etwas Gottgegebenes und Gutes betrachtet wurde, wird dies in den demokratischen Gesellschaften mit Argwohn betrachtet.

Dies sind meine Vermutungen dazu.

Gruß
Carlos Wurster

Nicks
Hallo ATN,

eine weitere mögliche Erklärung:

Viele User nutzen einen Nick, der eine Abkürzung, ein Phantasiewort, eine Figur oder schlicht der Vorname sein kann - so wie Du oder ich. Der vermutlich geringere Teil an Usern nutzt den vollen Vor- und Zunamen bzw. evtl. sogar den Titel.

Offensichtlich ist man in solchen Fällen eher geneigt zu duzen - und die web-Gepflogenheiten spielen zudem eine Rolle: Man käme sich vermutlich reichlich merkwürdig vor, wenn man „James Bond“ oder „Dark Pleasure“ siezen würde :wink:

Dann gibt es die User, die mit vollem Vor- und Zunamen posten und dann duzen, wenn der Fragesteller duzt bzw. dann siezen, wenn der Fragesteller siezt.

Nur als Denkansatz.

Viele Grüße
Diana


Lieber „atn“,

auch ich habe mich eine lange Zeit dagegen
gesträubt, im net zu „Duzen“, wurde gleich-
sam ständig „geduzt“. Nicht, daß ich eine
Lösung gefunden hätte…

Aber ich glaube Ansätze zu haben: Auch „auf
der Strasse“ wird in einem fort „gedutzt“.
Ihnen mögen ja Judika- und Exekutive als be-
hüter des wahren Glaubens erscheinen, doch
ich habe andere Erfahrungen gemacht:
Mir lief Anfang der 90ger eine Koreanerin
in den Arm und erklärte auf english, sie
würde verfolgt: Ich begleitete sie nach
Hause, bat ihren Mitbewohner die Polizei
zu rufen und wunderte mich. Komischer Weise
kam der Belästiger tatsächlich in das Treppen-
haus, als ich grad gehen wollte.
Als ich ihn „stelle“, fallen ihm etwa 10
Pässe aus der Unterwäsche. Der Mann bietet
mir Geld. Ich hoffe auf die Polizei.
Als diese kommt hat meine koreanische
Freundin den Vorfall wohl längst vergessen
(ihr Mitbewohner wimmelt ab) und ich wer-
de gefragt „Was machst Du da?“. Mir fällt
ob sdolcher Dreistigkeit nur ein „Wie bitte?“
ein. In der Folge vermeiden beide Cops die
persönliche Anrede mir gegenüber, benutzen
sie aber umso intensiver gegenüber dem
polnischen „Kanninchen“. Auf meine Frage,
ob die Cops den Polen kennten, weil sie
ihn so dutzen, bekam ich die Antwort, daß
ich froh sein dürfe ohne Anzeige (wegen
„Freiheitsberaubung“)davon zu kommen, wenn
ich jetzt ginge. Ich bin natürlich nicht
gegangen. Dafür durfte der polnische Stalker
(oder was immer sein Problem war) gehen.
Ich hab bei der koreanischen Frau geklingelt
und sie gebeten Zeugin zu sein, bis die
„Dutzer“ gingen…

Viel zu lange Story? Entschuldige.

Die Manie alles und jeden zu dutzen stammt
von den 68gern ab. Noch meine Schullehrer
meinten sich so firm machen zu können.
Noch heute denke ich deshalb: Je schneller
das DU, desto inkompetenter das ICH des
Dutzenden.

Das Gedutze im net hat viel damit zu tun,
daß die web-nutzer überdurchschnittlich
jung sind und entsprechend alles mögen, was
Hierarchien relativiert…
Andererseits haben die jungen web-nutzer so
viel Ahnung von sozialer Etikette, wie von
den Groß- und Kleinschreibregeln… (Pisa…)

x-nada

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Historisch bedingt
Moin!

An der Sache mit „das ist im Web halt so üblich“ ist noch ein bißchen mehr dran. Ich denke, die Sache mit dem „Du“ im Internet hat seine Wurzeln etwas weiter hinten in der Geschichte.
Wo kommt denn das Internet her?
Das Internet war ursprünglich ein Kommunikations-/Datennetz des US Militärs, das irgendwann an die Universitäten abgegeben wurde.
(insbesondere für die Kern/Quantenforscher. Der erste europäische Knoten war glaube ich beim CERN in der Schweiz, aber sicher bin ich mir da nicht.)
Also, da war dieses nackte Datennetz, und einige hundert wilde Studenten. Die haben dann angefangen im Netz Seiten aufzubauen. Zu den Studenten stiessen dann die Hacker, PC Wunderkinder, Schüler Surfer.
Und über etliche Jahre hinweg WAREN diese Leute das Internet.

Zusammen bildeten sie die Net-coummunity.
Das Netz war klein, man kannte und half sich.
Und diese Leute haben sich selbstverständlich geduzt.
(Und alles war Umsonst, man war gleicher unter gleichen und es gab keine „Seriösen Seiten“)

Und irgendwann wurde das Internet auch für andere Interessant. (Wann hat der Internetboom hier angefangen? Späte 90ger Jahre). Die seriösen Seiten und Kaufseiten kamen hinzu und Leute die das duzen nicht kannten. Aber der Kern, die Erschaffer des Internets hatten ihre Gewohnheiten entwickelt und legten die nicht so schnell ab. Deswegen wurde das „Du“ verbreitet.
Inzwischen sind zuviele andere mit in das Internet gekommen, das allgemeine „Du“ bröckelt und der Gedanke der Internetcommunity schwindet. (Ein Beispiel dafür ist zum Beispiel Wer-weiss-was.
Am Anfang war die Idee ein Forum zu schaffen, in dem sich Leute unentgeltlich gegenseitig helfen. Finanziert durch ein paar Werbebanner. Inzwischen kostet die Suchfunktion und das Archiv Geld, und ich hab auch schon Emails von anderen Hilfeforen bekommen, die nach dem Prinzip arbeiten: lass Kohle rüberwachsen, dann helf ich dir.)

Fazit: die Leute die damals das Netz aufgebaut haben, duzten sich, und tun das auch jetzt noch. Und ein Haufen anderer Leute hat diese Sitte übernommen.

Mit freundlichen Grüssen Axel

Das ist so mein schwacher Wissenstand zu dem Thema, aber Garantien geb ich keine.

Hi,

das Internet allgemein und ein Forum insbesondere leben davon, dass Mitmenschen spontan und befreit von Schnörkeln, Floskeln und unnötigen Etiketten ihre Gedanken und ihr Wissen einbringen.

Das Duzen hat sich historisch entwickelt und wurde eingeführt durch die englische Sprache, die in der Kommunikation nur das You, also das Du kennt.

So wurde es in Deutschland übernommen und hat sich etabliert.
Es wäre nicht richtig, das Internetverhalten, in dem einerseits viel Anonymität herrscht und andererseits jeden User gleichberechtigt neben einander stellt, mit Höflichkeitsformen in der realen Kommunikation zu vergleichen und dann folgerichtig als unhöflich und schlimmer zu bezeichnen.

Die im Internet geltenden Etiketten gehen sehr auf die Höflichkeit an sich ein, aber lassen all diese Formen weg, die für einen Umgang miteinander nicht erforderlich sind.

Und deshalb gilt es, wer sich im Internet bewegt, muß die dort herrschenden Gepflogenheiten akzeptieren oder halt das Internet meiden.

Gruß,
Francesco

(off topic) King Chaos…
Hallo Diana!

Offensichtlich ist man in solchen Fällen eher geneigt zu duzen

  • und die web-Gepflogenheiten spielen zudem eine Rolle: Man
    käme sich vermutlich reichlich merkwürdig vor, wenn man „James
    Bond“ oder „Dark Pleasure“ siezen würde :wink:

Was lustiges dazu… ich musste für die Uni kürzlich ein 20-Seiten „paper“ schreiben (heißt bei uns so, weil englischsprachig). Da müssen Quellen natürlich angegeben werden, und da ich im w-w-w Archiv fündig geworden bin, kam ich mangels Realnamens nicht umhin, einen Artikel von „King Chaos“ als

Chaos, K. (2001). Re: Folgen von Streiks und Aussperrungen. Retrieved May 30, 2002, from http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv….

in der Bibliographie aufzuführen *gg* Möchte das Gesicht von meiner Professorin sehen wenn sie auf die Idee kommt, da mal nachzuschaun *ggggg*

Liebe Grüße,

Dennis =o)

Hi atn,

spontan fällt mir dazu ein, daß meines Erachtens die Trennung zwischen „Du“ und „Sie“ etwas überholt ist. Da finde ich ein amerikanisches „You“ erstrebenswert. Früher wurde ein „Sie“ mit Respekt und wohl auch einem Maß an Distanz verbunden.

Teils erlebe ich mich selbst als unsicher wie soll ich nun jemanden ansprechen. Beispielsweise ersteigere ich hi und da etwas auf Ebay, und einmal werde ich geduzt, dann wieder gesiezt… Das macht mich konfus. Um niemanden auf den Schlips zu steigen, habe ich eine Wortwahl mir angeeignet, in der ich neutral bin, ein Du und ein Sie vermeide, mein Gegenüber den ersten Schritt machen lasse. Selbst ist mir ein Du am liebsten, doch ich mag niemanden zu nahe treten.

Es gälte vorab immer erstmal zu klären, was der Einzelne mit einem Du oder Sie verbindet. Doch genau da wäre man schon mitten in einem Gespräch. :smile:

Übrigens, diese Diskrepanz ist auch hier bei Werweisswas zu finden. Damit meine ich nicht, daß teils hier mal ein neuer User in Sieform frägt. Hier wird fast ausnahmslos geduzt bis auf z.B. den Bereich „Partnerschaften“. :smile: Hier wird dann auf einmal unterschieden. :smile:)

Mag sein, daß manche auf ein Sie scheinbar „respektlos“ duzen, doch es mag einfach auch Gedankenlosigkeit sein oder einfach auch eine Unklarheit in sich, einmal Du, einmal Sie… da könnte ich mir vorstellen, daß jemand sich dann für einfach eine Seite entscheidet.

Daß dies in der realen Welt (noch) anders aussieht, ist klar, gleichwohl es hängt davon ab, in welchen Firmen man arbeitet, in welchen Kneipen man verkehrt, auf welche Veranstaltungen man geht. Ich habe fast immer Orte und Menschen getroffen, wo ein Du angesagt war.

Im World Wide Web ist mehr Anonymität bzw. auch Distanz gegeben. Doch meiner Meinung nach sind diese Anredeformen antiquiert und man sollte sich auf eine Anrede einigen. Schließlich drückt sich Respekt und Distanz nicht in einem Sie allein aus.

Ciao,

Romana

Widerspruch
Hallo, Francesco,

zwei Punkte Deines - ansonsten berechtigten - Beitrags können nicht unwidersprochen bleiben:

das Internet allgemein und ein Forum insbesondere leben davon,
dass Mitmenschen spontan und befreit von Schnörkeln, Floskeln
und unnötigen Etiketten ihre Gedanken und ihr Wissen
einbringen.

Das neutral-distanzierende „Sie“ hat - ebenso wie all die anderen hergebrachten Kommunikationsstandards, etwa die Beachtung von Rechtschreibung und Grammatik, das Entbieten von Anreden und Grüßen, „Bitte“ und „Danke“, u.ä. - allein die Aufgabe, dem Kommunikationspartner zu erkennen zu geben, daß ihn der Sprecher bzw. Schreiber als ein mit Menschenwürde versehenes, gleichrangiges Subjekt mit einem grundsätzlich unantastbaren Privat- und Intimbereich anerkennt und achtet. Ohne diese Anerkennung und Achtung (einschließlich ihrer Bekundung nach außen) ist ein Gespräch unter Gleichen schwer vorstellbar. Daß all diese Respekts- und Achtungsbekundungen „Schnörkel“, „Floskeln“ und „unnütze Etikette“ seien, von denen es sich zu „befreien“ gilt, darf daher zumindest bezweifelt werden.

So ganz scheint im übrigen auch Dir die Befreiung von jenen überflüssigen Schnörkeln und unnötigen Etiketten noch nicht gelungen zu sein - bedenkst doch auch Du Deinen Gesprächspartner noch immer mit der altmodischen Anrede und der spießigen abschließenden Grußformel. Ganz ohne die „unnützen Etiketten“ geht es also offensichtlich doch nicht.

Und deshalb gilt es, wer sich im Internet bewegt, muß die dort
herrschenden Gepflogenheiten akzeptieren oder halt das
Internet meiden.

Diese Einstellung zu übernehmen, kann - im Interesse eines verträglichen Miteinanders - niemandem ernsthaft geraten werden. Denn sie leugnet auf eine einfältige und unerträglich selbstgefällige, aggressive Weise die Existenz derjenigen dritten Alternative zwischen den beiden Polen „Pass’ dich an oder verschwinde“, auf die ein friedliches Zusammenleben am meisten angewiesen ist - nämlich die Verpflichtung der „Herrschenden“, sich mit den Bedürfnissen und Anschauungen anderer offen auseinanderzusetzen und sie ggf. zu tolerieren und entsprechend Rücksicht zu nehmen.

Abgesehen davon sehe ich auch nicht die Notwendigkeit, die Du postulierst, das Internet wegen der dort anzutreffenden Umgangsformen zu meiden. Ebensowenig, wie niemand darauf verzichten wird, Bahnhöfe aufzusuchen, weil ihm das Verhalten der dort herumlungernden Drogenabhängigen mißfällt, wird wohl niemand bereit sein, das Internet zu meiden, weil ihm der Tonfall bestimmter Nutzer nicht paßt.

Grüße,
atn

nochn widerspruch *g*

Das Duzen hat sich historisch entwickelt und wurde eingeführt
durch die englische Sprache, die in der Kommunikation nur das
You, also das Du kennt.

das stimmt nicht. der reservierte engländer kennt im gegenteil nur das höfliche Sie (you), während das freundschaftliche Du (thou) ausgestorben ist!

jeden
User gleichberechtigt neben einander stellt,

das ist das stichwort. wir wissen nicht, wer am anderen ende sitzt. „du“ kannst ein älterer herr sein, den ich IRL siezen würde oder auch ein junge, den ich duzen würde. wegen dieser gleichheit hat sich glaube ich das du durchgesetzt.

siezen im web ist grob unhöflich und deutet eine ablehnung des gesprächspartners an!

grüße
lehitraot.

Hallo, lehitraot,

auch wenn ich Deinen Beitrag im übrigen unterschreiben würde, ist das hier

siezen im web ist grob unhöflich und deutet eine ablehnung des
gesprächspartners an!

eine in dieser Allgemeinheit sachlich nicht gerechtfertigte, tendenziöse Fehl- bzw. Überinterpretation der Web-„Umgangsformen“.

Grüße,
atn

eine in dieser Allgemeinheit sachlich nicht gerechtfertigte,
tendenziöse Fehl- bzw. Überinterpretation der
Web-„Umgangsformen“.

hallo atn

zugegeben, ich war jahrelang in den deutschsprachigen newsgroups unterwegs. dort ist siezen eine absichtliche beleidigung. daher meine überinterpretation :smile:

grüße
lehitraot.

Hallo

Erstens, weil das keineswegs
„im Web so üblich“ ist, wie ein Blick auf jede halbwegs
seriöse Webpräsenz, die nicht Musik, Spiele oder Hausaufgaben
zum Gegenstand hat, zeigt.
Zweitens, weil es nicht im Web
schlechthin, sondern allenfalls unter bestimmten
„Menschengruppen“ (vorzugsweise Computerspieler, Vielsurfer,
Hacker, Kinder) „so üblich“ ist (

Das „du“ im Netz stammt aus meiner Sicht aus der Geschichte des Netzes ( und damit meine ich nicht nur das Englische You) die ersten Internet oder Vorläufer User waren Wissenschaftler welche übers Netz gemeinsame Forschungsthemen disskutierten, von Anfang an wurde dabei (übrigens sind die Infos von meinem SChwiegervater) auch in rein deutschen Disskusionen ohne Ansehen von Alter Doktor oder Prof das „du“ verwendet.
Was ich mir noch überlegt habe ist das Gesellschaften sich immer Normen und Werte zulegen. Sind Menschen die sich im Netz bewegen eine eigene Gesellschaft und eine ihrer Normen ist das „Internet-Du“ und wer es nicht akzeptiert outet sich automatisch als nicht zur „Gemeinschaft/Gesellschaft“ gehörig, sondern als einer der von aussen ( aus dem Real Live) kommt und versucht die aussen gültigen Normen und Werte auch im Netz durchzusetzen?
Gruß
Nurgut

Interessante Überlegung
Hallo, Bernd,

Was ich mir noch überlegt habe ist das Gesellschaften sich
immer Normen und Werte zulegen. Sind Menschen die sich im Netz
bewegen eine eigene Gesellschaft und eine ihrer Normen ist das
„Internet-Du“ und wer es nicht akzeptiert outet sich
automatisch als nicht zur „Gemeinschaft/Gesellschaft“ gehörig,
sondern als einer der von aussen ( aus dem Real Live) kommt
und versucht die aussen gültigen Normen und Werte auch im Netz
durchzusetzen?

Interessanter Gedanke. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob das „Internet-Du“ tatsächlich schon eine Norm ist, oder aber (nur bzw. erst) eines von mehreren, miteinander konkurrierenden Verhaltens- oder besser: Umgangsmustern. Ganz abgesehen von der spannenden Frage: Ab wann ist ein Verhaltensmuster „die Norm“?

Grüße,
atn

Hallo,

das stimmt nicht. der reservierte engländer kennt im gegenteil
nur das höfliche Sie (you), während das freundschaftliche Du
(thou) ausgestorben ist!

Offenbar geht die Tendenz in einigen Sprachen in Richtung einer einheitlichen Anrede. Zumindest habe ich im Spanisch-Unterricht gelernt, dass es in Spanien eine Tendenz zu „du“ („tu“) als einheitliche Anrede gibt, während die Tendenz in Lateinamerika in Richtung „usted“, was unserem „Sie“ entsprechen würde, geht. (Vielleicht war’s auch umgekehrt, ist schon lange her).

Im allgemeinen Umgang hat man jedenfalls das Gefühl, dass das Sie ganz langsam ausstirbt.

Bianca

Hi,
vielleicht liegt es ja auch daran, dass viele Menschen auch im echten Leben eigentlich keine Lust mehr auf diesen Unterschied haben, aber da kann man, wie du (tschuldigung) es beschrieben hast, nicht einfach die Sitten verändern.
Im Netz ist das aber kein Problem. Vielleicht ist deshalb auch einfach die Frage falsch und man sollte sich fragen warum im echten Leben dieser Unterschied gemacht wird und wie komisch es im Web wirkt, wenn einer siezt (geht mir manchmal hier im Forum so - aber jedem das seine).
Wenn ich jemandem meinen Respekt, oder was auch immer mit dem „sie“ ausgedrückt werden soll, nicht anders rüberbringen kann, dann ist das sowieso eine seltsame Kommunikation.
Gruß
freak (mich dürft ihr alle duzen…)

Na gut, ich nochmal…
Hi!

Wow, nach 2 Monaten noch 'ne Antwort darauf… :wink:

Ich hatte auch schon eine gepostet, aber aus div. Gründen wieder rausgenommen…

Vielleicht jetzt nochmal zusammengefasst:

Mir ist es auch „suspekt“, wenn man Respekt nur über die Anrede darstellen kann bzw. diesen offiziell wahren will, aber eigentlich nicht hat.

Man kann sehr gut auch mit oder über „Herrn XY“ abwertend reden, dazu muss ich nicht _Du_ A******* sagen.

Andererseits gibt es Personen, die sich nicht anders den Respekt verschaffen können, als mit „für Sie immer noch _Herr_ XY!“…

Heisst also, ich sehe es begründet im Selbstwertgefühl, in der Einstellung („Ich bin halt was Besseres…“) und in der Persönlichkeit (anders nimmt mich keiner für voll…).

Ich kenne genug Personen (im REAL-Life), die doch wesentlich „ranghöher“ (was für ein Ausdruck!) sind als ich (bzw. waren, da Firma gewechselt), mit denen ich mich aber geduzt und trotzdem den gebührenden Respekt gezollt habe.

Dann wiederum gibt es das (wie soll ich’s nennen?) „Alters-Sie“, ältere werden halt „aus Anstand“ gesiezt.

Ab welchem Unterschied das anfängt, kann ich nicht sagen, nur vor kurzem war ich fast sprachlos, als mich auf der Strasse eine junge Frau (~20) ansprach: „Wissen SIE wie spät es ist?“
*hm seh ich schon sooo alt aus…* (bin 30) *g* hätte ich halt nicht mit gerechnet und beanspruche ich für mich auch nicht)

Und dann kommt natürlich auch noch dazu, dass das Duzen heutzutage (unter den jüngeren) eher normal ist als früher.

Eine Einschränkung mache ich aber auch:

„Von oben herab“ IST NICHT!

Wenn irgendein „Schnörkel“ dahergelaufen kommt und mich abfällig duzt (und dem anzusehen ist, dass ER ein SIE erwartet), dann kommt was in der Art "Na Kumpel, seit wann duzt DU mich denn? :wink:

Alle Klarheiten beseitigt? *g*

Grüsse,
Markus (…oder „HERR F*****…“ …) :wink:

Hallo Sie,

meinen Sie nicht, gerade wenn man anonym ist, dass man doch einige Konventionen über Bord werfen kann? Schließlich sind wir ja im ‚normalen‘ Leben viel zu vielen Richtlinien unterlegen, dass man im WWW nicht so stockensteif miteinander umgehen muss.

Geisha