Hi,
weil wir im Gegensatz zu den Tieren ALLE wissen, dass wir mit Sicherheit sterben werden, müsste man auch rein rational, um dem Schmetterich aus vorigem Post zu folgen, einstimmig die Zustimmung geben für OS. Und warum tun wir denn das nicht ALLE? Zumindest ich tue es NICHT, weil ich eben nicht so funktionalistisch und rational bin, wie „man“ sollte. Was mich in meinem Leben am meisten erschüttert hat ist die Nähe des Todes. Und da ich weder an die schönen Geschichten der Esoteriker und Religiösen glaube, denk ich zum Beispiel im Sinne Wittgensteins:
„Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.“
Zu diesem zentralen Thema, das uns alle betrifft, und doch fast immer erfolgreich verdrängt wird, habe ich im Eso-Brett was geschrieben. Ich habe meine Erlebnisse geschildert mit dem nahen Tod, der schockiert und den man trotz aller Strategien nie verdrängen kann. Das betrifft nicht nur meine eigenen Erfahrungen, sondern auch die mit anderen Menschen.
Ein dynamischer Unternehmer, der sich hier ein Haus baute und mir versicherte: „Weißt du Claus, das wird kein gewöhnliches Haus, ich habe extra einen Star-Architekten von Teneriffa beauftragt, das wird ein ganz besonders Haus.“ Als ich mit ihm über das Thema „Unsterblichkeit“ diskutierte, sagte er: „Das ist ja schrecklich! Stell dir mal vor, du müsstest ewig leben?!“ Drei Monate später war er tot. Wenn ich mit seiner viel jüngeren Frau, einer hübschen Italienerin, über seinen Tod spreche, verdrängt sie ihn, es ist ihr unangenehm…
Mich hat auch der Tod eines Managers hier auf der Insel schockiert, der knapp über Fünfzig aus dem Stress in Deutschland ausstieg und sich ein Haus kaufte. Einige Zeit später starb er, ganz mit dem Umbau seines Hauses beschäftigt und ohne jemals die Zeit zur Ruhe zu finden, die er hier auf unserer Insel sich so sehr ersehnt hatte. Vor zwei Jahren sagte meine Schweizer Nachbarin, sie hätte zwanzig Leute gezählt, die sie näher kannte, und alle hier auf der Insel gestorben sind…
Mich hat zum Beispiel eine Geschichte tief berührt von einem jungen Liebespaar. Sie machten Urlaub im „kleinsten Hotel der Welt“, mit nur vier Betten. Das „kleinste Hotel der Welt“ liegt auf einer schmalen Felsenzunge und ragt mitten in den Atlantik und kann bei hoher Flut auch mal völlig überspült werden.
Nachts um ein Uhr trafen sie im Dorf, das vom Hotel ca. 2 Kilometer weit weg liegt, den Hotel-Manager, der ihnen anbot, sie mit seinem Auto nach unten zum Hotel mitzunehmen. Aber statt gleich auf ihr Zimmer zu gehen, wollten sie noch ein wenig spazieren gehen am Meer. Am nächsten Morgen entdeckt der Manager, dass die Betten unberührt sind und ruft die Polizei. Das Liebespaar war in der Nacht in einen Hohlweg gelaufen, in dem die Fischer ihre Boote zu Wasser lassen. Der Hohlweg führt steil nach unten und macht plötzlich eine scharfe Biegung. Ich kenne diesen Hohlweg genau, weil ich selber schon mal da hinein gelaufen bin, voller Neugier, wie es hinter der Kurve weiter geht. Und genau hinter dieser scharfen Biegung des Hohlwegs lauert der Tod…
Bei Ebbe ist der Hohlweg keine Gefahr, aber bei Flut! Man biegt neugierig um die Kurve und kann von einer Wellen dann sofort auf dem steil abfallenden und glitschigen Weg in den Atlantik gerissen werden. Mit einem Hubschrauber findet man die Leiche des jungen Mädchens, ihr Freund bleibt für immer im Atlantik verschollen, auch ich hätte so sterben können…
Wenn der amerikanische Philosoph Prof. Thomas Nagel das Problem der „Qualia“ (siehe Wikipedia!) unter die philosophische Frage stellt: „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“, interessiert mich dagegen die Frage: WIE FÜHLT ES SICH AN, in der Nacht nichtsahnend und voller Neugier in einen Hohlweg zu laufen, und gleich nach der Kurve von einer Flutwelle in den tobenden Atlantik gerissen zu werden? Was für Gefühle müssen das sein, bis schließlich der Tod eintritt? Und hätte man, rein „rational“, die Leiche des jungen Mädchens zur OS verwenden sollen? Oder sind im Kontext dieser Frage die Emotionen einfach zu irrational?
Gruß
C.