Das kleinere Übel

Am Samstag vor der Wahl schlich das Übel durch die Stadt. Als es auf den Marktplatz kam, wisperte es, wähl mich, wähl mich! Ich bin auch nur ein ganz kleines Übel … - Ein Übel bist Du? entgegnete der Wähler, warum sollte ich ein Übel wählen? - Du hast gar keine Wahl, erläuterte das Übel, es stehen in diesem Jahr nur Übel auf der Liste, ich aber bin … - Dann gebe ich diesmal meine Stimme nicht ab, brummte der Wähler dazwischen. - Wahlpflicht! trompete das Übel, sie wurde im letzten Jahr eingeführt. - Auch das noch, brummte der Wähler. - Zwischen zwölf Übeln hast Du zu wählen, trällerte das Übel und sprang wie ein Rumpelstilzchen um den Wähler herum, ich aber bin, fuhr es fort, indem es einen grazilen Ausfallschritt vollführte und in einer demutsvollen Gebärde seinen Hut zog, das kleinste und geringste unter ihnen. - Dann wähle ich Dich gewiss nicht, entschied der Wähler, wenn ich schon Übles wählen muss, soll es wenigstens Größe haben.

Da trat das Übel vor Zorn so heftig auf den Boden, dass dieser sich auftat und das Übel samt seinem spitzen Hut verschlang. Ungläubig starrte der Wähler auf den Spalt in der Erde, der sich langsam wieder schloss. Dann wandte er sich achselzuckend ab und wieder seinen Geschäften zu. In seinem Rücken aber, nahe der Stelle, wo die Erde sich aufgetan und das Übel verschlungen hatte, wuchsen ziemlich schnell drei neue Übel aus dem Boden und maßen die Menschen auf dem Marktplatz, kaum hatten sie Kniehöhe erreicht, mit ihrem besitzergreifenden Blick.

2 Like

Schöne Geschichte. Mal Bilder dazu.

Das ist schön verpackt