Herkunft der Paradiesvorstellungen
Hi.
Parvati hat schon darauf hingewiesen, dass es in den abrahamitisch-religiösen Konzeptionen eines Paradieses nicht um wunschlose Glückseligkeit geht, sondern um die ungehinderte Erfüllbarkeit von Wünschen - allerdings nicht „aller“ Wünsche, wie Parvati meint. Vielmehr sind diesen Wünschen in besagten Konzeptionen moralische Grenzen gesetzt. Als wichtigster „Wunsch“ gilt in allen drei abrahamitischen Religionen die „Gottesschau“, d.h. die Teilhabe am Wesen „Gottes“. Im Judentum und Islam gibt es daneben auch die konkurrierende und viel simplere Vorstellung einer uneingeschränkten Befriedigung sinnlicher (nicht unbedingt sexueller) Wünsche.
Ich gliedere den Beitrag in zwei Abschnitte, die jeweils einen der Aspekte der Paradiesvorstellung behandelt, auf diesem engen Raum natürlich nur sehr fragmentarisch.
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Wie bei allen theologischen Begriffen kann ich auch hier empfehlen, sich die Herkunft des Paradiesbegriffs anzuschauen. Er entstand im Sumer des 3. Jt. vuZ. und basiert auf sehr irdischen Verhältnissen, nämlich der Fruchtbarkeit der mesopatamischen Alluvialebene. Wahrscheinlich leitet sich der israelitische Begriff „Eden“ (Wonne, Vergnügen) vom akkadischen Begriff „edinnu“ ab, welches vom sumerischen „eden“ (Steppe) herrührt, das sich auf die baumlose Graslandschaft der Alluvialebene bezog. Die vier Flüsse des biblischen Paradieses könnten sich den vier Kanälen verdanken, durch welche die sumerischen Feldparzellen begrenzt und ihre reicher Ertrag erst ermöglicht wurden. Die Vorstellung eines paradiesischen „Gartens“ verdankt sich im engeren Sinne den Gärten jener sumerischen Tempel, die der Muttergöttin Ninhursag geweiht waren. Mit einiger Sicherheit geht die theologische Paradiesidee also auf Kulte um Muttergottheiten zurück. Die Idee eines von einem männlichen Gott beherrschten Paradieses konnte nur unter der Bedingung entstehen, dass Muttergöttinnen und Göttinnen überhaupt gänzlich aus dem religiösen Denken herausgedrängt wurden - eine Erfindung der jüdischen Theologie.
Ein wichtiger Aspekt der Muttergottheit war ihre Macht über die Tiere („Herrin der Tiere“). Ich zitiere zwei Texte, welche die Abhängigkeit der jüdischen von der sumerischen Paradiesvorstellung demonstrieren. Zuerst eine Passage aus der sumerischen Dichtung „Enki und Ninhursag“ (Vers 11-28):
Im ´Paradies´ krächzt kein Rabe; der Frankolin (?) kräht (noch) nicht;
der Löwe reißt nicht; der Wolf erbeutet (noch) keine Lämmer;
der Haushund weiß (noch) nicht Zicklein zu erlegen;
das Schwein weiß (noch) nicht das Getreide aufzufressen.
(…)
Die Augenkrankheit sagt nicht: ‘(Hier,) ich bin die Augenkrankheit!;
das Kopfweh sagt (noch) nicht: ‘(Hier,) ich bin das Kopfweh!;
Die davon betroffenen alten Frauen sagen dort nicht: ‘(Hier,) ich bin eine alte Frau!;
die davon betroffenen alten Männer sagen dort (noch) nicht: ‘(Hier,) ich bin ein alter Mann!
Keine ungewaschene junge Frau lebt in der Stadt;
kein Mann, der am Kanal aushebt, sagt da: ‘Es wird dunkel!
Kein Polizist (muss) in seinem Bezirk herumgehen.
Kein Sänger singt das Elulam-Klagelied;in den Vorstädten ertönt (noch) keine Weheklage.
Nun einige Verse aus Jesaja 11:
6 Dann ist der Wolf beim Lamm zu Gast, / und neben dem Böckchen liegt ein Leopard. / Kalb und Löwenjunges wachsen miteinander auf; / ein kleiner Junge hütet sie. 7 Kuh und Bärin teilen eine Weide, / und ihre Jungen legen sich zusammen hin. / Und der Löwe frisst Stroh wie das Rind. 8 Der Säugling spielt am Schlupfloch der Schlange, / in die Höhle der Otter steckt das Kleinkind die Hand.
und Jesaja 65:
17 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude, 19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. 20 Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.
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Der andere, abstraktere Aspekt der monotheistischen Paradiesidee, die „Gottesschau“, hat meiner Ansicht nach, wie ich in diesem Forum schon öfters vorbrachte, mit dem weitgehend untabusierten Umgang der alten Kulturen mit pflanzlichen Drogen zu tun. Entwicklungsgeschichtlich älter als der meditative Zugang zur Erleuchtung dürfte nämlich der Gebrauch von Drogen zur Erlangung über-sinnlicher Zustände sein, das lässt sich für die brahmanistische bzw. zoroastrische Religion einigermaßen sicher belegen. Auch im mesopotamisch-syrischen Bereich, also jener Region, die auch das Judentum hervorbrachte, war der Umgang mit psychoaktiven Pilzen wahrscheinlich verbreitet, auch in der Priesterschaft. Diese These vertritt jedenfalls John Allegro, und sie hat ihm natürlich Feinde beschert, denn er erweiterte sie auch auf das Judentum. Terence McKenna vertritt den gleichen Ansatz und bezieht das in den jüdischen Texten beschriebene „manna“ auf den „psilocybe cubensis“, einen psychoaktiven Pilz. Wie auch immer - die „Gottesschau“ ist ein Konzept, das über-sinnlichen Erfahrungen entspringt, die vermutlich in alter Zeit auf dem Konsum besagter und andere Pflanzen basierten. In modernen Versionen erscheint dieses Motiv bei Charles Baudelaire, Aldous Huxley und Timothy Leary.
Ein Problem stellt bei den alten Konzepten die Durchdringung über-sinnlicher (transzendenter) Aspekte mit königsideologischen Vorstellungen eines „Gottes“, der die Welt und die Menschen im Stile eines altorientalischen Fürsten beherrscht. Das Transzendente, in den fortgeschrittenen mystischen Traditionen ein alles hervorbringende, aber gänzlich a-personale Dimension, wird in den exoterischen Varianten mit einer Herrscherfigur verschmolzen, was ausschließlich machtpolitische Gründe hat, die darzulegen hier nicht der Ort ist. Jedenfalls hat diese Verschmelzung zweier an sich völlig unzusammenhängender Aspekte (Transzendenz und Herrscher) zu den in sich widersprüchlichen Konzeptionen eines „Paradieses“ geführt, in welchem die Menschen glückselig im Glanz eines anthropomorphen Subjektes („Gott“) baden.
Chan