„Das Buch gibt vor, im 6. Jahrhundert v. Chr. verfasst worden zu sein. Auf Basis eines Vergleiches des Inhalts mit tatsächlichen historischen Ereignissen gehen die meisten Exegeten heute von einer tatsächlichen Entstehung, zumindest der hinteren Teile ab Kapitel 7 erst während der Konflikte der Makkabäer mit dem Seleukiden Antiochos IV. (167–164 v. Chr.) aus.“
Ich kann das kaum glauben und frage daher: Ist es wirklich wahr?
Wenn ja: Legt das nicht nahe, dass die herrschende Meinung in der Exegese biblischen Texten, die beanspruchen, die Zukunft vorhersagen zu können (so verhält es sich doch, oder; ist das echte Prophetie?), eben diese Fähigkeit absprechen? Degradiert sie die Bibel damit nicht zu einem rein historischen Produkt der menschlichen Autoren?
Gibt es Gründe, an der Spätdatierung zu zweifeln? Sprachliche Analysen etwa?
hast Du mal versucht, Pacific Daylight Time in Görlitzer Zeit umzurechnen?
Siehste, genau so kann man das mit der Jahreszählung nach verschiedenen Bezugssystemen auch machen.
Beiläufig: Wenn Du das Buch Daniel auch nur in groben Zügen kenntest, wüßtest Du, dass dort nicht von irgendetwas die Rede ist, das man als Prophezeiung des kommenden Messias lesen könnte. Jesaja ist nicht Daniel.
Wie kommst du darauf, daß das - in dieser Allgemeinheit - „herrschende Meinung“ sei? In den israelitischen und (nach dem Exil) jüdischen Traditionen der Prophetie ist die geschichtliche Vorausschau nur ein Anteil. Und die bezieht sich (insbesondere Micha und Jesaia) auf einen Gottesgesandten, der in einer imaginierten „Endzeit“ auftreten werde als Richter (dieses Mythem hat übrigens in der avestischen Religion des Zarathushtra einen Vorläufer). Dieser wird teils Meschensohn (hebrisch ben adam, aramäisch bar nascha), teils Messias („Gesalbter“. hebr.maschiach, aramäisch meschicha, ein Ehrentitel für Köige und Priester) gemannt, und wird als Abkömmling des davidischen Königshauses vorgestellt.
Diese Ideen wurden bereits in frühchristlicher Zeit als Voraussagen auf Jesus umgedeutet. Das - und nur das - ist zwar auch teilweise noch Tradition in christlicher Exegese. In den Religionswissenschaften (auch nicht in deren christlichen Schulrichtungen) aber keineswegs!
Das Buch Daniel (aus mindestens drei verschiedenen Redaktionen kompiliert) gibt zwar vor, in der Zeit des Babylonieres Nebukadnezar II zu handeln und auch da geschrieben worden zu sein. Aber bereits in der griech. Spätantike wußte man, daß die Abfassung in die Zeit des Anitiochos II zu datieren sei. Und seit dem 19. Jhdt. weiß man auch Genaueres über die zahlreichen historischen Ungereimtheiten des Textes. Sie sind ja im Wesentlichen in dem von dir zitierten Wiki-Artikel aufgelistet.
Das Buch enthält in Aramäisch, in Hebräisch und in Griechisch verfasste Teile. in den aramäischen (Kap. 2-6) sind Mytheme enthalten, von denen zu vermuten ist, daß sie aus älteren Volksmythologien stammen. Eine (ansonsten nicht weiter beschriebene) prophetisch begabte, mythische Person namens Daniel wird bereits bei Ezechiel erwähnt. Auch in einem der älteren Bücher (3. Jhdt.v. Chr.) des äth. Henoch. Es wird angenommen, daß die Autoren des Buches Daniel sich diese mythische Person als Protagonisten zu eigen machten.
Ein Hinweis auf die „Spätdatierung“ das Buches ist btw. auch, daß es Zitate daraus erst sehr spät gibt, ab ca 1. Jhdt. n. Chr… In einem jüngeren Buch des äth. Henoch z.B. und im 4. Buch Esra.
Auffallend ist der in den ntl. Evangelien häufig auftauchende Terminus „Menschensohn“ mit seiner eschatologischen Funktion… Er wird allerdings nicht unmittelbar an „Daniel“ assoziiert. Und er wird ausschließlich in den dem Jesus zugeordneten wörtlichen Reden gebraucht, und auch dort spricht Jesus von ihm immer (!) in der dritten Person.
Ein Bild aus (u.a.) diesem Buch ist übrigens in die christliche Volksmythologie übergegangen: Die Vorstellung von Gott als einem alten Mann mit weißem Haar: „Sein Haupt war weiß wie Wolle“ ist eine Vision, die sich im Buch Daniel findet (7. Kapitel: wo vom „Alten der Tage“, „'attiq jomin“, die Rede ist) und in einem älteren Buch des äth. Henoch (Kap. 47, 70 und 71), Von dort hat es ein Autor des „Daniel“ wohl übernommen.