Dem Wehrdienst im Zweiten Weltkrieg entgehen?

Mich interessiert das Thema sehr, doch findet man dazu sehr wenig Informationen. Gab es zu Beginn des Zweiten Weltkrieges Männer, die versucht haben, sich dem Dienst zu entziehen, bzw. vor oder nach der Musterung versucht haben das Land zu verlassen, oder unterzutauchen? Für viele muss das ja eine Höllenangst ausgelöst haben, den Einberufungsbescheid im Briefkasten zu haben, mit dem Gewissen, vielleicht an der Front zu sterben. Ich stelle mir das schrecklich vor, wenn da ein junger Mann vielleicht noch Zuhause bei seinen Eltern wohnte und dann auf einmal den Befehlt erhielt, seine Militärausbildung anzutreten mit anschließendem Einsatz an der Ostfront, weit, weit weg von Zuhause. Gibt es im Internet Informationen zu dem Thema oder vielleicht sogar Bücher?

Servus,

es wäre klug gewesen, wenn Du Olivers kurze Darstellung zu dem Thema gelesen hättest, in der Du sehen kannst, dass Deine Großmutter die Wehrmachtskriminalstatistik offenbar nicht kannte.

Insbesondere den Zeugen Jehovas, die auch im Dritten Reich den Kriegsdienst verweigerten, tut Deine Großmutter Unrecht.

Und den Begriff des Kriegsverbrechers solltest Du besser auch mal klären, bevor Du so große Meinungen verkündest: Kein Soldat wurde von irgendjemand, geschweige denn „ständig“, wegen bloßer Teilnahme an Kampfhandlungen als Kriegsverbrecher „verurteilt“.

Schöne Grüße

MM

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Hallo
Es gibt Kampfhandlungen und es gibt Kriegsverbrechen.Vermutlich waren die meisten Soldaten in Kampfhandlungen verwickelt und die wenigsten an Kriegsverbrechen beteiligt.

Ob man eine Wahl hatte, wenn man aufgerufen war, ein Dorf als Vergeltung zu massakrieren? Ja, man konnte zwischen seinem Gewissen und seiner Angst wählen - ersteres war zwar lebensgefährlich, aber es gab Menschen, für die dies dennoch eine Option war.

Und rein hypothetisch: Und stell dir vor, was gewesen wäre, wenn eine ganze Kompanie sich geweigert hätte mit der Überzeugung, ein deutscher Soldat tut sowas nicht?

Einige der an Kriegsverbrechen beteiligten waren Sadisten, die sich endlich mal austoben durften - die hätten auch nicht nein gesagt, wenn ihnen nichts gröberes gedroht hätte. Daheim waren sie dann liebende Söhne und Familienväter - ich lege deshalb für niemanden meine Hand ins Feuer, weil ich grundsätzlich jedem alles zutraue.

Und für alle anderen Soldaten: Wahl hat immer bestanden - aber Menschen sind nunmal Feiglinge und wählen oft die für sie sichere Variante.

Gruss, Sama

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Ja. Auf Kriegsdienstverweigerung als ein Tatbestand der „Wehrkraftzersetzung“ stand zunächst Gefängnis (Zuchthaus, KZ), dann die Todesstrafe. Unter den Kriegsdienstverweigerern waren viele Christen, v.a. Zeugen Jehovas und Adventisten:

Beste Grüße

Oliver

Laut meiner Großmutter gab es das nicht. Wer verweigert hatte auf „Hitlers“ Seite zu kämpfen wurde ähnlich behandelt, wie die KZ-Opfer und entweder mit Kopfschuss hingerichtet, ins Gefängnis gesteckt und ins KZ.

Deswegen finde ich heute die ständige Verurteilung von NS-Kriegs"verbrechern" so surreal. Sie hatten keine wahl und wären sonst selber dran gewesen!

Servus,

eher erfolgversprechende Wege als die von Oliver genannten, die direkt oder auf dem Weg über das Konzentrationslager zum Tod führten, waren (1) wegen einer wichtigen Funktion in irgendeiner der Gliederungen der Partei UK- („unabkömmlich“) gestellt zu werden und (2) bei der Wehrmacht, der Reichsbahn oder der Organisation Todt einen „Druckposten“ in der Etappe zu ergattern.

Die „Druckposten“ in den Gliederungen der Partei führten allerdings ab Oktober 1944 auf dem Weg über den Volkssturm mit miserabler Ausrüstung und praktisch ohne militärische Ausbildung unter Umständen zu einem viel höheren Risiko, an der Front zu fallen, als es für einen gewöhnlichen Landser während fünf Jahren Infanteriedienst bestand. Es war im letzten halben Jahr des Kriegs teils recht zufällig, wer da UK bleiben konnte, und wer zum Volkssturm gezogen wurde; so wurden z.B. die Planungen für eines von Hitlers Lieblingsspielzeugen, die 300-cm-Breitspurbahn, noch bis Februar 1945 fortgesetzt.

Schöne Grüße

MM

Zu einem gewissen Grad kann ich das verstehen. Aber zu sagen, daß die Menschen damals keine Wahl gehabt hätten, sondern sich an Hitlers Regime (insbesondere Kriegsverbrechen) beteiligen mußten, stimmt nicht. Alle in Deutschland und in den besetzten Gebieten hatten eine Wahl. Selbstverständlich mußten sie im schlimmsten Fall mit dem Tod rechnen und die Entscheidung, nicht mitzumachen und für diese Entscheidung zu sterben, ist außerordentlich schwer. Aber eine Wahl gibt es immer. Die oben genannten Christen (aber nicht nur sie) sind in den Tod gegangen, statt gegen ihr Gewissen zu handeln und sich an dem verbrecherischen Krieg zu beteiligen. Darin zeigt sich die Stärke wahren Glaubens, die Christen schon während der Verfolgungen im Römischen Reich gezeigt haben, als sie lieber in den Märtyrertod gegangen sind, statt sich von ihrem Glauben abzuwenden. Deshalb nötigt das Verhalten der Zeugen Jehovas und anderer Respekt ab, sich eben unter (drohendem) Verlust ihres Lebens nicht (auf diese Weise) an Hitlers Regime zu beteiligen.

Übrigens sollen 350.000 bis 400.000 Soldaten der Wehrmacht desertiert sein. Das sind in absoluten Zahlen gesehen nicht nur ein paar. Zum Tode verurteilt wurden davon etwa 30.000, bei etwa 23.000 wurde das Urteil vollstreckt. Also gab es auch faktisch eine Wahl, die nicht immer zum Tod führte.

Beste Grüße

Oliver

Wie bereits erwähnt, gab es natürlich auch viele Männer, die versuchten, dem Wehrdienst zu entgehen.
Anfangs war es noch verbreitet möglich, das Glück zu haben, mit seinem Arbeitsplatz als „Unabkömmlich“ zu gelten.
Das wurde aber mit den Jahren immer schwieriger.
Mein Großonkel hat mir mal seine Geschichte erzählt, er war anfangs auch sehr froh, von seinem Chef so eingestuft zu werden, aber 1942 half es nichts, er musste an die Front, wurde zum Glück ziemlich schnell verwundet und geriet dann auch gleich in Gefangenschaft - das war auch eine Taktik an der Westfront, sich möglichst schnell gefangen nehmen zu lassen…
Es gab auch Deserteure, die mussten sehr auf Helfer vertrauen, damit sie nicht verraten wurden. Meine Großeltern haben einen Deserteur im letzten Kriegsjahr in ihrem Garten versteckt…

Beatrix

  • ach ja, noch was zur Sache mit der Höllenangst:

Es war zufällig am Morgen seines zwanzigsten Geburtstags, als mein Vater in Tripoli ausgeladen worden war und ein paar Stunden dienstfrei hatte, bis Quartier gemacht war usw. Der Geleitzug war über Nacht gefahren, und jetzt erst im Morgenlicht war vom Kai aus im Hintergrund die lange Reihe der Masten und Takelagen der von den Engländern versenkten italienischen und deutschen Schiffe zu sehen. Der Gedanke, der sich bei diesem Anblick einstellte, war „Jetzt bist Du in Afrika, und von hier aus kommst Du nicht lebend wieder weg.“

Es hat dann doch nur einige Monate gedauert, bis er lebend (oder eigentlich halb lebendig, halb tot) wieder wegkam: In der „Tante Ju“, mit (oder eigentlich ohne) einem im Feldlazarett notdürftig amputierten linken Bein und 41 Grad Wundfieber. Nach der zweiten, sorgfältigeren Operation, von der ihm dann grade noch ein kurzer Stumpf des Oberschenkels blieb, ging dann das Fieber schnell zurück, er wachte aus dem Ätherdusel auf und konnte wieder denken. Sein erster Gedanke, als er wahrnahm, dass ihm ein Bein fehlte, war „Gott sei Dank, so schicken sie Dich wenigstens nicht in den Osten!“

Kurzer Sinn dieses Verzähls: Der Begriff „Angst“ war für diese Leute und in diesen Jahren relativiert.

Schöne Grüße

MM

Hallo Ihr Lieben,

und neben den vorgenannten Möglichkeiten gab es da auch noch den „Klassiker“: Sich bei der Musterung oder in der Grundausbildung kranker machen als man eigentlich war und deswegen als untauglich ausgemustert zu werden.

Klassiker deshalb, weil das so auch schon vorher in der kaiserlichen Armee und später in der Bundeswehr / NVA praktiziert wurde. Beides sehr schön beschrieben in Heinrich Manns Roman „Der Untertan“ oder Thomas Manns Buch „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“.

Einen schönen Samstag noch.

Euer
Ebenezer