Denken, verstehen, bewerten, argumentieren

Guten Tag!

Nachdem ich meinen ersten Anlauf, mich an diesem Brett regelmäßig zu beteiligen, recht schnell wieder gestoppt habe und zwar aus Gründen, die ich sogleich thematisiere, möchte ich nach reiflicher Überlegung nun einen zweiten Versuch wagen und dem einige Bemerkungen vorwegschicken. Es geht dabei vordergründig nur um mich selbst, letztlich aber um Aspekte, die vielleicht auch andere betreffen und darum von allgemeinem Interesse sein könnten.

Ich bin davon überzeugt, dass einige der User, die hier regelmäßig schreiben, sehr kompetent sind. Diese User schätze ich schon ob ihrer Fachkenntnis. Mit dankbarer Freude nehme ich auch ihr Bemühen wahr, andere an dem eigenen Wissen teilhaben zu lassen.

Ich verstehe und zwar nicht zuletzt auf Grund meiner eigenen Erfahrungen in den Rechtsbrettern, wo ich mich selbst zu den Fachleuten zählen darf, dass die wahren Experten hin und wieder die Geduld mit bestimmten Usern verlieren. Das gilt insbesondere für die Geduld mit den Usern, denen es weniger darum geht, Wissen zu erwerben oder auszutauschen, als vielmehr darum, eigene Thesen zu verbreiten (die dann, um den Anschein der Regelkonformität zu erwecken, in Frageform gegossen werden).

Die Ungeduld mit Usern, die bestimmte Ausführungen schlicht nur nicht begreifen, verstehe ich letztlich auch. Allerdings - und das gehört zu den wichtigsten Anliegen dieses Postings - möchte ich am Beispiel meiner Person für ein wenig mehr Verständnis werben.

Ich begreife durchaus, dass ich einen Text, der vor 1.900 Jahren entstanden ist, nur bedingt mit den Methoden und der Denkweise des ausklingenden zweiten Jahrtausends und des beginnenden dritten Jahrtausends angehen kann. Wenn ich darum aber versuche, mich von allem frei zu machen, was mich zu einem falschen Verständnis verleiten könnte, dann muss ich zunächst einmal einfach alles, mithin auch jede denkbare Interpretation für möglich halten. Führt dies zu Fragen, die einem Experten absurd erscheinen, und drückt der Experte dies dann auch mehr oder weniger deutlich so aus, so sehe ich mich in einem Dilemma: Auf der einen Seite muss ich mich dem mir fremden Denken vergangener Zeit öffnen, indem ich mich ihm ohne Vorurteil nähere, auf der anderen Seite soll ich aber schon wissen, was ja nun wirklich völlig absurd ist und so niemals gedacht worden sein kann, weshalb meine Frage irgendwie abwegig sei. (Ich beziehe mich nicht auf irgendwelche Postings der letzten Tage, insbesondere auch nicht in dem Thread „Gibt es ein weiter Leben nach dem Tod ?“)

Es wäre schön, wenn die meinen Fragen zugrunde liegende Denkweise wertneutral zur Kenntnis genommen und berücksichtigt würde. Ich sehe mich hinsichtlich meiner Fragen zwar in einer Holschuld und nicht etwa die wissenden Experten in einer Bringschuld. Was ich aber nicht zu leisten vermag, vermag ich nicht zu leisten, und wenn man mir dann und wann ein Stück des Weges entgegenkommen muss, dann ist das keineswegs meiner mangelnden Bereitschaft geschuldet, mich selbst nach Kräften um das rechte Verständnis zu bemühen. Vielleicht ergeht es auch anderen Usern wie mir; in diesem Fall wäre gleich mehreren Personen geholfen.

Ich bin Atheist, aber ich bin es nicht gern. Mein Atheismus ist das, was andere missverständlich als Agnostizismus bezeichnen würden und auch ich bis vor kurzem, einem Irrtum erliegend, so bezeichnet habe. Ich glaube weder, dass (ein) Gott existiert, noch glaube ich, dass er nicht existiert. Ich weiß es einfach nicht, und ich weiß auch nicht, was ich aus welchem Grund für wahr halten soll. Es ist ja ganz prima, wenn es Menschen gibt, die meinen, man könne per Willensakt beschließen, was man fortan glaubt, aber ich kann das leider nicht und zwar nicht nur nicht in dieser Frage, sondern auch in keiner anderen, sei sie nun religiös, philosophisch, politisch oder sonst etwas.

In keiner Weise bin ich ein Antitheist. Ich bin vor allem nicht „gegen Gott“, und es irritiert mich außerordentlich, wenn etwa Christen die Menschheit in die, die an Gott glauben, und die, die gegen ihn sind, einteilen (wie es vor einigen Wochen oder Monaten auch hier im Brett ganz ausdrücklich formuliert wurde). Ebenfalls irritiert mich, wenn sog. Gläubige gegen uns Atheisten allerlei unfaire Vorwürfe erheben, etwa dass wir mangels eines Glaubens auch keine Moral hätten oder ja ziemlich dämlich sein müssten, wenn wir Gott nicht zu erkennen vermögen, wiewohl ich weiß, dass religiöse Menschen von Atheisten auf ähnliche Weise angegriffen werden (wofür ich nun aber nichts kann).

Ich habe sehr großen Respekt vor den verschiedenen Glaubensrichtungen und Weltanschauungen und ihren Anhängern, aber manchmal vermisse ich deren Respekt vor mir (oder überhaupt vor anderen Weltanschauungen als den eigenen). Vielleicht könnte der eine oder andere Mensch des Glaubens in sich gehen und seine Haltung prüfen und, wenn erforderlich, korrigieren.

Schließlich und endlich empfinde ich es als anstrengend, wenn manchen Arten von Verständnisfragen nahezu reflexartig unterstellt wird, sie seien eine verkappte (atheistische) Missionierung. Ich missioniere nicht, und ich versuche nicht, irgendwen von irgendwas zu überzeugen, schon weil ich gar nicht wüsste, wen ich wovon überzeugen sollte und warum.

Für diese ein wenig an Pawlowsche Hunde erinnernde Reaktion mancher religiösen Menschen sehe ich zwei Ursachen. Die eine ist wohl die Sammlung einschlägiger Erfahrungen mit Atheisten, die Fragen nur stellen, um andere von einer bereits gefestigten Meinung zu überzeugen, also: Argumente in Gestalt von Fragen (vgl. schon oben). Die andere Ursache liegt nach meiner Auffassung in der sehr weit verbreiteten Haltung, alles in zwei Gruppen einzuteilen: richtig und falsch, gut und böse, schwarz und weiß. Diesem Phänomen begegne ich sehr häufig und zwar auf allen möglichen Gebieten. Nehme ich den Papst gegen Vorwürfe in Schutz, die ich für nicht gerechtfertigt halte, unterstellen mir kopfschütteldende Zeitgenossen sofort, wohl katholisch und der römischen Kurie gegenüber nicht kritisch genug zu sein. Das ausreichende Maß an Kritik ist für viele erst erreicht, wenn man die Institution und die Person komplett ablehnt und sich moralisch über sie erhebt. Wende ich mich gegen bestimmte christliche oder andere religiöse Positionen, werde ich von einigen religiösen Menschen sofort in eine (atheistische, kirchenkritische, christenfeindliche usw.) Schublade gesteckt.

Ich glaube mit anderen Worten, dass viele Menschen ihre eigene Art, die Welt in einfache Kategorien einzuteilen, auf mich übertragen, so nach dem Motto: „Wenn er diesen und jenen Gottesbeweis nicht anerkannt, dann glaubt er nicht an Gott.“ Das ist unfair und sachlich nicht richtig, und ich würde mich freuen, wenn man mir (aber natürlich auch anderen) mit weniger Vorurteil begegnete. Andernfalls sehe ich mich gezwungen, künftig jedem Posting einen Disclaimer anzuhängen, in dem betont wird, was ich in meine Texte bitte grundsätzlich alles nicht hineininterpretiert wissen möchte, z.B. „Es gibt keinen Gott.“, „Christentum ist doof.“, „Religiöse Menschen sind dumm.“

Übrigens meine ich, dass in diesem Brett einige Musterbeispiele für differenziert denkende und argumentierende Menschen vertreten sind und dass die Quote damit weit über dem Durchschnitt der Bevölkerung und der Menschheit liegt. Leider kann ich dieses Kompliment aber nicht allen Teilnemern hier machen, wenngleich gerade die regelmäßigen Brettbesucher den nur sporadisch auftauchenden Personen im Durchschnitt etwas voraus haben.

Ich habe gelesen, dass es zumindest einer der Experten dieses Forums als für Antworten hilfreich begrüßt, wenn Fragesteller in ihrer ViKa Angaben zur Person machen. Dies hat mich nun motiviert, meine ViKa mit einigen Informationen zu füllen. Wenn Fragen offen sind, deren Antwort den Experten irgendwie behilflich sein könnte, bitte ich um Nachricht. Zu meinen Motti gehört, dass man mich einfach alles fragen darf, wenn ich mir eine Antwort natürlich auch vorbehalte.

Ich könnte mir vorstellen, dass mein Posting eine Diskussion auslöst. In meiner Absicht liegt das aber nicht. Ich plane darum auch nicht, etwaige Antworten zu lesen, denn ich wollte nur einige Hinweise erteilen und nicht zu diskutieren anfangen.

Ich hoffe, der Mod sieht mir nach, dass ich an dieser Stelle keine religionswissenschaftliche Frage gestellt habe.

Viele Dank für die Aufmerksamkeit!

Benvolio

Hi.

Ich denke dich verstanden zu haben.

Die Frage ist die?
Warum um Gottes Willen nimmt man beides an?
Gehört eigentlich ins Phylobrett.

Gruß.

Balázs

Hi,

niemand weiß, ob es Gott gibt oder nicht gibt. Und nach meinem Wörterbuch der Philosophie ist der Atheismus auch nur ein Glaube, weil unbegründbar. Was ich allerdings nicht verstehe ist, dass du dich mit dieser Haltung, die schon Protagoras im alten Griechenland ambivalent formulierte, nicht zufrieden geben willst und dich nicht glücklich und gut damit fühlst, wie ich zum Beispiel. Glaube ist bekanntlich nicht Wissen, das ist ja aber dann auch nicht weiter schlimm, oder? Aber letztlich liegt es doch am Einzelnen, ob er sich für oder dagegen entscheidet.

„Der Mensch ist das Maß aller Dinge“, kann man sicher glauben, jedenfalls ist dieser Glaube für mich gewisser als der Glaube an einen von Menschen selbst konstruierten „Gott“. Wenn man sich mit dieser Ambivalenz, dass man weder weiß, ob es Gott gibt, noch weiß, dass s keinen Gott gibt, emotional und geistig nicht abfinden will, dann stehen einem doch als Glaubender alle Möglichkeiten offen in dieser Welt.

Ich glaube aber, beide gegensätzliche Positionen sind in ihren dogmatischen Behauptungen nicht die absolut höchste menschenmögliche Vernunft.

Gruß
C.

Ich habe Deine Vika mir angesehen. Was ich daraus entnehme ist, dass Du gern, wirklich gern alles fragst.
Nur was ich wirklich schwierig finde ist, sich über Fragen zu diesem Themen-Bereich, Objektiv auszutauschen.

Denn ich bin Christ. Was für mich wichtig ist, ist für einen Mensch, der das so für sich nicht annimmt, nicht ein Argument.
Dieser Mensch läßt da oft die Antwort gern offen. Manche verneinen es auch.

Für mich ist alles was mit dem Glauben zutun hat wichtig, aber das macht mich nicht zu einem Experten.

Klar finde ich es eben Schade oft deswegen angegriffen zu werden.

Manches aus der Bibel versuch ich auch immer wieder zu prüfen, weil ich gern noch mehr die Zusammenhänge verstehen möchte.
Aber leider ist auch viel Wissen verloren gegangen oder manches weiß wirklich keiner genau.

Ich denke das wird leider so bleiben. Deshalb hab ich mich damit abgefunden. Respektiere auch die Kritik gegen mich.

Gruß
Sissi

Hi,

da ich mich hier direkt angesprochen fühle, möchte ich doch kurz dazu Stellung nehmen. Es geht hier in dieser Sparte des Forums leider nicht mehr nur mum Wissensvermittlung, sondern sehr viel auch um Dominanzkämpfe. Ich wunderte mich schon, wie ein ‚User‘ von einem ‚Experten‘ auf eine sehr diffamierende Weise abgekanzelt wurde. Er würde keine Bücher lesen, wenn, dann missversteht er sie, er könne ja nicht einmal hebräisch, es ist einfach alles Blödsinn, was er sagt, und jetzt ist er auf Bildungsurlaub, weil er das ja dringend nötig habe.

Wo ist hier die Wissensvermittlung? Das ist nur Konkurrenzdenken. Dieser User hat durchaus ein sehr profundes Wissen. Er beantwortete mir einiges meiner Fragen auf sehr fudierte Weise, wofür ich mich bei ihm auch bedankte. Dadurch bin ich in der Folge halt bei dem Experten nun voll unten durch.

Zufällig stieß ich auf eine Doktorarbeit, ich muss dazusagen, ich befasse mich hobbymäßig mit mesopotamischen Mythen im Vergleich zur Bibel, und in dieser Doktorarbeit, auf einer deutschen Uni approbiert, Religionswissenschaften, stand: der Name der biblischen Eva sei von einer Erdgöttin abgeleitet, die auch als Schlange galt. Da mir das nicht 100% plausibel erschien, stellte ich hier in diesem Form das als Frage.

Die Reaktion war nur: welch ein Blödsinn, aus welchem Schmöker? Weil es dann aber doch eine Doktorarbeit war, hätte ich halt nur alles falsch verstanden. Ich bin es schon leid hier überhaupt noch Fragen zu stellen. Diese ständigen Diffamierungen, ein Halbgebildeter, der hätte doch ruhig zu sein, der solle einfach nur den Experten zuhören.

Warum diese heftige abwehrende Reaktion auf meine Frage? Es geht in der Sparte Religionswissenschaften leider nicht nur um Wissens-, sondern auch um Glaubensvermittlung. In meine Fragen vermutet man nun immer etwas antireligiöses. Und, da nicht sein kann, was nicht sein darf, bleiben sachliche Diskussionen besser außen vor.

mithin auch jede denkbare Interpretation für möglich halten.

Das wäre schön.
Gruß Fralang

Hallo B.,

habe erst gerade jetzt diesen Thread überflogen und kann - weil Du Dich gleichzeitig ja auch als „Jurist“ vorstellst - selbstverständlich nicht umhin, auch noch hier meinen Senf dazu zu geben. :smile:

Denn: die ganze „Problematik“, die Du hier zur Sprache bringst und - so nehme ich an - hinsichtlich des Grundes zu hinterfragen versuchst, hat selbigen nämlich ausschließlich und gerade in der so genannten „Rechtsordnung“, bzw. dem PRINZIP, mit dem sie und jedes beliebige so genannte „Gesetz“ überhaupt begründet wurde und nach wie vor wird. :smile:

Das ist nun auch kein „Glaube“, den ich damit zu verbreiten versuche, sondern in FAKTEN begründet, die jeder leicht nachvollziehen könnte, wenn er/sie nur wollte. Ich kann lediglich darauf hinweisen, indem ich die Fakten zu einer entsprechenden Argumentation verknüpfe, das selber Denken kann ich deswegen wem anderen aber nicht abnehmen. :smile:

Klar, dass das nicht unmittelbar einsichtig sein kann, wenn man es nur so verkürzt mal vor den Latz geknallt bekommt. Denn wieso sollten alle zwischenmenschlichen „Streitereien“, die Du ansprichst und wie sie nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch hier auftreten, darin ihren Ursprung haben?
Oder gar das offensichtliche „Nicht-Wissen“ zu eigentlich völlig klaren Fragestellungen, u.v.a.m.

Es ist aber trotzdem so.
Man darf dabei nämlich nicht übersehen, dass auf der Grundlage dieses PRINZIPS ja schon die eigene „Erziehung“ und die jedes anderen Menschen quasi „stattgefunden“ hat und dass schon damals die dem PRINZIP immanente Gewalt-Anwendung entsprechende, nur noch immer nicht verstandene „Spuren“ hinterlassen hat, die bei fast allen das Leben lang „nachwirken“ und dann z.B. auch in den „Reflexen“ auf jede so genannte „Kritik“ und unvermeidlich zum Ausdruck kommen.

Wenn ich also sage, dass die von Dir hier aufgezeigte und jedem bekannte Problematik nicht durch „Appelle“ oder sonstige Maßnahmen aus der Welt geschafft werden kann, sondern erst dann verschwinden kann, wenn endlich dieses PRINZIP in Frage gestellt wird, dann ist das auch ein Faktum. :smile:

Vielleicht abschließend noch eine Analogie zu Deiner Analyse das Religionsbrett betreffend. Es ist ja nicht falsch, was Du sagst.
Für meinen Teil hatte ich einmal versucht, alle diese Fakten im Forum von www.jusline.at (bin ein Ösi :smile:) zur Diskussion zu stellen.
Es kam dann auch zu einer recht anregenden Diskussion über Monate, aber nur so lange, als das „Rechtssystem“ nicht in den Vordergrund der Hinterfragung gestellt wurde, obwohl es der Ursprung aller „Ungerechtigkeit“ und damit auch den Folgen daraus ist.

Will damit sagen, dass innerhalb dieser „Gesellschaftsordnung“ jeder eine bestimmte „Rolle“ und einem „Spezialbereich“ gezwungenermaßen einnimmt, jede isolierte „Kritik“ daran aber für einen darin festgelegten Menschen nicht akzeptiert/ertragen werden kann, ganz besonders, wenn diese von „außerhalb“, also einem anderen „Spezialbereich“ erfolgt.

Im Grunde kann ich mich dem Gedanken, den Du implizit zum Ausdruck gebracht hast, anschließen, dass die Einteilung in „Kategorien“ (hier im Forum dann als „Bretter“ bezeichnet) eigentlich realitätsfremd ist, weil im Grunde jede beliebige Frage alle anderen mit umfassen würde.
Unter den gegebenen und nach diesem PRINZIP festgelegten Umständen reine Illusion.

Ergo: man hat nur die Wahl, es mit allen Konsequenzen so zu akzeptieren, wie es ist oder dieses PRINZIP endlich in Frage zu stellen.

Was an Fakten dabei eine entsprechende und ganzheitliche Argumentation stützen würde, steht eh´ auf meinem Blog zur Verfügung, daher höre ich mit meinem Gequatsche hier auch auf. :smile:

Grüße

Gert