Depression / Suizid mit Tötung Unbeteilgter

Hallo,

wenn eine depressive Person sich selbst tötet, dann tötet sie ja manchmal auch Unbeteilgte.
Beispielsweise geschah das bei einem Geisterfahrerunfall vor einiger Zeit, bei dem der junge Mann sein Fahrzeug ganz bewusst in den Gegenverkehr gesteuert hat (A46 bei Meschede, ging durch die Medien).

Beim Absturz der GermanWings Maschine ist ja nun wohl etwas Ähnliches geschehen.

Was ich gerne wissen würde:
Ist ein Mensch in so einer Situation sich bewusst, dass er andere tötet?

WILL er es sogar? (Etwa: „Wenn ich nicht weiterlebe, dann sollen auch andere sterben.“)
Oder ist es ihm mangels Empathie schlichtweg egal?

Kann man dazu eine Aussage treffen?

Moin

Was ich gerne wissen würde:
Ist ein Mensch in so einer Situation sich bewusst, dass er
andere tötet?

Ja.

WILL er es sogar? (Etwa: „Wenn ich nicht weiterlebe, dann
sollen auch andere sterben.“)
Oder ist es ihm mangels Empathie schlichtweg egal?

Kann man dazu eine Aussage treffen?

Es muss als Basis eine Persönlichkeitsstörung vorliegen. Meistens wird es sich nicht nur um eine narzisstisch gestörte, sondern um eine „antisoziale Persönlichkeitsstörung“ handeln. Auf diese pfropft sich gleichsam die aktuelle Kränkung/Wut/Depression auf.
Dann haben wir diese explosive Mischung.
Gruß,
Branden

Hallo,

Was ich gerne wissen würde:
Ist ein Mensch in so einer Situation sich bewusst, dass er
andere tötet?

WILL er es sogar? (Etwa: „Wenn ich nicht weiterlebe, dann
sollen auch andere sterben.“)
Oder ist es ihm mangels Empathie schlichtweg egal?

ich denke, daß beide Varianten möglich sind: a) Die Tötung anderer ist als solche direkt gewollt (z. B. Selbstmordattentäter), b) die Tötung anderer ist billigend in Kauf genommener Nebeneffekt der eigenen Tötung. Letzteres läßt sich vielleicht unter den Begriff des egoistischen Suizids (Durkheim) fassen. Der Suizidale ist aus bisherigen sozialen Bezügen herausgelöst, herausgefallen, die anderen spielen in seinem Denken, Fühlen und Wollen keine Rolle mehr. Der eigene Wunsch zu sterben und auf diese Weise zu sterben, überwiegt daher die Hemmung, Unschuldige mit in den Tod zu nehmen. Gemeinsamkeiten mit antisozialen Persönlichkeitszügen sind erkennbar, für eine Antisoziale Persönlichkeitsstörung müßte aber deren Vollbild vorliegen. Dafür sehe ich im aktuellen Fall (noch) keine Hinweise.

Beste Grüße

Oliver

Hallo,

Beim Absturz der GermanWings Maschine ist ja nun wohl etwas Ähnliches geschehen.

Wenn ein Selbstmörder sich vor ein Auto schmeisst oder in den Gegenverkehr fährt, dann kann man davon ausgehen, dass ihm die möglichen weiteren Opfer egal sind in dem Sinne, dass er weder weiss, wer noch wieviele es sein könnten, noch ob es überhaupt weitere Opfer gibt.

Diese Tat ist ehr mit einem Amoklauf vergleichbar, wo gezielt zum Teil bekannte Personen mit in den Tod genommen werden, ohne das es persönliche Gründe wie beim erweiterten Suizid gäbe.

Was ich gerne wissen würde Ist ein Mensch in so einer Situation sich bewusst, dass er andere tötet?

Es ist doch davon auszugehen, dass er bei klarem Verstand war und weder Stimmen gehört hat, noch shizophren oder sonstwie verwirrt war.

WILL er es sogar? (Etwa: „Wenn ich nicht weiterlebe, dann sollen auch andere sterben.“)

Ganz sicher wusste er, dass dieser Suizid eine andere Wirkung hat als ein einfacher Selbstmord. Vermutlich wird man nicht erfahren, was seine Motiviation war, aber von banalen Dingen wie fehlender Mut für andere Arten (ist hier wohl auszuschließen) über Rache an Arbeitgeber/Beruf bis hin zu zweifelhaftem Ruhm (vgl. Ermordung von John Lenon) ist alles möglich.

Oder ist es ihm mangels Empathie schlichtweg egal?

ich weiss nicht, was Du damit genau meinst. Ich würde es eher so beschreiben, dass es in Relation zu der Wirkung auf ihn (seinen eigenen Tod, sein beendetes Dasein und die Wirkung auf die zurückgelassenen) nur geringe Priorität hat.

Kann man dazu eine Aussage treffen?

nein

Huhu!

Ich bin nun nicht irgendwie psychologisch qualifiziert, darum ist es eher ein „Gefühl“ -

aber ich denke, man könnte dein „Selbstmordattentäter“ besser ersetzen mit „Amokläufer“.
Ich glaube ein Attentäter nimmt den eigenen Tod in Kauf, weil das die bestmögliche Strategie für einen guten Kollateralschaden ist, hat aber vermutlich wohl eher selten einen persönlichen (depressiv motivierten) Todeswunsch.
Ich habe das Gefühl, bei „Amokläufern“ ist das anders, da ist der eigene Tod Teil oder gar Ziel des Plans, mit dem „Sahnehäubchen“ dass man noch ein paar mitnehmen kann; oft dann ja die, die er für das eigene Leid irgendwie verantwortlich macht (ok, das ist wohl bei beiden irgendwie der Fall).

Fiel mir nur eben als Ergänzung ein.

Liebe Grüße
Lockenlicht

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Hallo,

aber ich denke, man könnte dein „Selbstmordattentäter“ besser
ersetzen mit „Amokläufer“.

u.U. ist beides das Gleiche. Historisch waren Amokläufer indonesische Krieger, die eine Schlacht dadurch für die eigene Seite zu gewinnen suchten, indem sie blindwütig in die Menge der Feinde gelaufen sind. Heute bezeichnet man damit oft geplante Aktionen, bei denen entweder der eigene Tod nicht miteingerechnet ist oder den Suizid in Kombination mit der Tötung Nahestehender (erweiterter Suizid).

Ich glaube ein Attentäter nimmt den eigenen Tod in Kauf, weil
das die bestmögliche Strategie für einen guten
Kollateralschaden ist, hat aber vermutlich wohl eher selten
einen persönlichen (depressiv motivierten) Todeswunsch.

Es muß keine Depression vorliegen, um Suizid zu verüben.

Der Selbstmordattentäter wird zur Kategorie des altruistischen Suizids (Durkheim) gerechnet, weil er sein Leben für Ziele der Gemeinschaft, der er angehört, opfert. Das war beim ursprünglichen Amok so, bei der japanischen Tokubetsu Kōgekitai und den Kaiten im 2. Weltkrieg (Kamikaze-Flieger bzw. Mini-U-Boote) und in der arabisch-muslimischen Welt heute.

Beste Grüße

Oliver

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Hallo,
ich denke auch, dass " Depression" das Krankheitsbild des Täters nicht oder nicht vollständig trifft. Zur Depression gehört ja in der Regel nicht, dass man eine Gefahr für andere ist.
Ein bisschen befürchte ich, dass jeder mit diagnostizierter Depression nun einige Zeit lang als potenzieller Massenmörder angesehen wird…
Bei dem Kopiloten muss noch eine weitere Störung dazu gekommen sein. Oder zumindest sollte man es so definieren: Der Wunsch, sich selber umzubringen und möglichst viele Menschen mit in den Tod zu nehmen, geht weit über eine „Depression“ hinaus.

Hallo LadyLockenlicht,

wenn ich dich gut begreife, ist bei egoïstischer Suizid eine grosse Portion Narzismus mit drin? Wäre eine gute Erklärung…

Gruss: Gerrit

Moin Branden,

was ist denn der Unterschied zwischen „narzistisch gestörte Persönlichkeit“ und eine antisoziale Persönlichkeitsstörung"?

Gruss: Gerrit

Zu den Persönlichkeitsstörungen
Moin

was ist denn der Unterschied zwischen „narzistisch gestörte
Persönlichkeit“ und eine antisoziale Persönlichkeitsstörung"?

Psychoanalytisch gesehen, entsteht die Basis der schwereren Persönlichkeitsstörungen schon im ersten halben Jahr des Säuglings. Die bekanntesten, relevanten „früh gestörten“ Persönlichkeitstypen sind: schizoide, narzisstische, borderline und antisoziale Pers. (vgl. Otto Kernberg u.a.) Die schizoide (nicht mit Schizophrenie zu verwechseln!) kommt häufig vor und ist meist vergleichsweise harmlos und nicht unbedingt als pathologisch einzustufen. Die narzisstische ist ähnlich einzuschätzen, aber (zumindest für mich) etwas „undankbarer“ in der Behandlung. Die borderline-Pers. ist oftmals für sich selbst, für andere und den Behandler nicht leicht.
Die antisoziale Pers. ist aber quasi nicht wirklich behandelbar bzw. zumindest eine schwierige Angelegenheit.
Es grüßt dich
Branden

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Hallo Gerrit,

bei solchen Taten liegt die Überlegung in Richtung Persönlichkeitsstörung deshalb nahe, weil ein erweiterter Selbstmord auch mit der Übertragung eigener Gefühle von Wut, Hass oder Verzweiflung auf andere zu tun haben kann.
Diese Formen von Projektiver Identifizierung wären für einige Persönlichkeitsstörungen viel typischer als für eine Depression.
Auch ein Narzisst oder Borderliner legt eigene Gefühle in andere hinein.
Bei einem Täter mit narzisstischer PS bestünde jedoch die Chance, dass er seine Tat als Übertragung der eigenen Wut oder Opferidentität emotional nachzuempfinden lernen kann.

Bei einer antisozialen PS besteht diese Brücke nicht.
Der Rückweg, der eine Verbindung eines eigenen emotionalen Erlebens mit dem, was er anderen antut darstellt, ist abgeschnitten.

Die oft scheinempathische –vielmehr übertragende – Fähigkeit des Narzissten, Gefühle anderer zu manipulieren und dann einzuschätzen(!), ist bei der antisozialen Persönlichkeit sozusagen völlig im kognitiven Zentrum verkapselt.
Es gibt keinen spiegelnden Schaltkreis der Mitgefühl möglich macht.

Der hier aufkommende Gedanke an eine antisoziale PS begründet sich also auch darin, dass eine Fähigkeit zu Reue, echter Empathie oder Gewissensbissen die Ausführung einer solchen Tat in Frage stellt.

Ein an Depression erkrankter überträgt zumeist nicht, oder wenn dann eher seine eigenen Schuldgefühle, nimmt doch im Gegenteil eher zuviel Verantwortung auf sich.
Wobei diese „Beimischung“ auch in der Handlung des Co-Piloten erkennbar wäre, in der Übertragung von Schuldgefühlen an seine eigenen Eltern.
Kategorisierungen und glasklare Trennungen sind schwierig.
Depression wird zwar als innere Leere oder Teilnahmslosigkeit einer Folgeerscheinung verschiedener Persönlichkeitsstörungen zugeschrieben, Depression aber als Ursache der hier thematisierten Handlungen zu diskutieren, empfinde ich auch als verfehlt – oder vielleicht der oberflächlichen Leichtverdaulichkeit von Medienberichten oder der Diskretion geschuldet.
Möglicherweise bestehen auch Schwierigkeiten, gerade eine gut angepasste antisoziale Persönlichkeitsstörung zu erkennen, solange der Betreffende nicht strafrechtlich auffällig wird.

Beispiele für eine antisoziale Persönlichkeit werden im Delinquenzbereich sehr viel deutlicher.Wie bei dem Serienmörder Klaus S., der zwar in beeindruckender Weise eine kognitive Klarheit für seine ungeheuerlichen Taten zeigt, dem aber jegliche emotionale Rückkopplung, sowohl an seinem eigenen Schicksal als auch an dem seiner Opfer deutlich fehlt.Der redet darüber wie übers Kuchenbacken.
(In der Doku „Mörderische Triebe“ ein interessantes Portrait)

Grüße
Heidi

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Danke dir Heidi fûr deine ausführliche Erklärungen. Da kann ich etwas mit anfangen.

Gruss: Gerrit

Danke dir Branden. Muss ja schrecklich sein für einen Psychiater/Psycholog festzustellen, dass ein Patiënt nicht behandelbar ist, weil einfach „Matrial“ fehlt.

Was machst du in so einem Fall? Abbrechen?
Oder retten was zu retten ist?

Du schreibst die Fehlentwicklung entsteht bereits im ersten halben Lebensjahr? Wodurch entsteht sie? Und ist so was vererb-bar?

Gruss: Gerrit

Was machst du in so einem Fall? Abbrechen?
Oder retten was zu retten ist?

Wichtiger als die Diagnose ist für mich das Gefühl, was in den Probesitzungen besteht:
Können wir zusammen arbeiten oder eher nicht.

Du schreibst die Fehlentwicklung entsteht bereits im ersten
halben Lebensjahr? Wodurch entsteht sie?

Kohut hat mal sehr schön geschrieben: Wenn der Glanz im Auge der Mutter fehlt, wenn sie ihren Säugling betrachtet und/oder an der Brust hat, dann entsteht schon dieser Mangel, dieses Verlorenheitsgefühl, diese Ungeborgenheit.

Und ist so was
vererb-bar?

Eher weniger. Natürlich müssen wir auch bei allen Störungen einen gewissen genetischen Einfluss mit einkalkulieren.
Es grüßt dich
Branden

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Vernunft und Logik
Einen Menschen in so eine Ausnahmesituation mit (nach unseren Massstäben) Vernunfts- oder Logikargumenten „verstehen“ oder nachvollziehen oder messen zu wollen, ist glaube ich schon der falsche Ansatz.

Jemand, der ernsthaft seinen Selbstmord plant oder vorhat, hat die Wege der Vernunft ja schon weitgehend verlassen. In „seiner momentanen“ Logik mag es nachvollziehbare Gründe für das eine oder andere Verhalten geben.
Natürlich versuchen Fachleute da anzusetzen (und das hat ja auch ab und an Erfolg) und sich da reinzudenken und Einfluss zu nehmen.

Deshalb finde ich es schwierig, da Absicht oder mangelnde Empathie zu vermuten.

Krötengrüße

Hallo!

Jemand, der ernsthaft seinen Selbstmord plant oder vorhat, hat
die Wege der Vernunft ja schon weitgehend verlassen.

Das ist keineswegs immer der Fall. Aber zunächst etwas zur Begrifflichkeit: Selbstmord kann es nicht geben, weil regelmäßig die in § 211 StGB festgelegten Mordmerkmale fehlen. Man sollte deshalb präziser von Selbsttötung, Freitod oder Suizid reden. Ungeachtet dessen kann ein Freitod mit Mord einher gehen.

Zu den Wegen der Vernunft: Es gibt Situationen, die einen Menschen - vernünftig und geistig klar - zum Suizid veranlassen. Denkbar ist z. B. eine mit Gewissheit diagnostizierte und spürbar fortschreitende Erkrankung, die absehbar in einen Zustand abhängiger Pflegebedürftigkeit mit Verlust der geistigen Fähigkeiten führt. In solcher Situation gibt es Menschen, die das selbstbestimmte Ende ihres Lebens wählen. Sie deshalb als (Selbst-) Mörder zu bezeichnen, halte ich für abwegig.

Gruß
Wolfgang

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