Der Mensch = Gehirnspezialist

Hallo Freunde
Ich getraue mich mit einer Idee auf dieses Brett und hoffe auf ein paar gescheite Antworten und vielleicht Literaturhinweise:
Der Mensch hat im Laufe der Evolution unzweifelhaft ein auffällig leistungsfähiges Gehirn entwickelt, das ihn vor andern Säugetieren auszeichnet. Soweit wird das wohl kaum bestritten.
Das Gehirn nimmt über die Sinne Informationen auf („input“) und daraus erzeugt diese graue Masse als Resultat Informationen, die nach aussen abgegeben werden müssen („output“), sonst ist das Ganze ja nur „l’art pour l’art“. Das wichtigste Instrument zur Realisierung der Denkresultate waren und sind die Hände des Menschen. Damit komme ich zum Kern meiner Idee: Die Hände haben sich in ähnlich komplexer und einmaliger Art entwickelt wie das Gehirn, dessen gleichwertige Partner sie damit wurden. Ohne die Hände machte die ganze Entwicklung keinen praktischen Sinn.
Erstaunlicherweise jedoch werden die Hände in der Erziehung und Ausbildung (und in der öffentlichen Meinung) arg benachteiligt und unterschätzt, obwohl deren ausgezeichneter und unerlässlicher Nutzen ja ins Auge springt, denke man z.B. an Jäger/Krieger/Bildhauer/Pianist/Feinmechaniker/Uhrmacher/Chirurg …
Ich finde deshalb, wir sollten diese „Peripheriegeräte“ (um im Computer-Jargon zu bleiben) in der öffentlichen Meinung aufwerten, indem wir nicht weiter die akademische Bildung den manuellen Handwerken als qualitativ höherwertig entgegenstellen. Ich hatte das grosse Vergnügen, in meiner langen beruflichen Tätigkeit Leute zu treffen, die ihr manuelles Metier noch wirklich meisterhaft beherrschten. Viele waren uns „Schreibtischtätern“ haushoch überlegen. Erziehung und Ausbildung sollte in allen Bereichen viel mehr als heute in unserer westlichen Gesellschaft üblich eine Symbiose von Hirn und Hand anstreben.
Vielleicht hat jemand bis hierher gelesen! Dann freue ich mich auf eine Meinungsäusserung.
Danke im voraus
Erich

Hallo !

Sicher haben die Evolution der Hände (mit der Gegenüberstellbarkeit des Daumens zum Greifen und der Feinmotorik) und die des Gehirns miteinander zu tun. Was ich aber für noch wichtiger halte als die Hände ist die Fähigkeit der sozialen Interaktion und Kommunikation (man muß in dieser Beziehung diese beiden Themen als einen Komplex betrachten). Die Fähigkeit, flexibel soziale Strukturen zu schaffen und zu verändern durch gezielte und zunehmend abstakte Kommunikation war IMHO der wesentliche Partner in der Evolution unserer kognitiven Fähigkeiten, die mehr oder weniger sekundär auch für „technische“ bzw. „manuelle“ Fertigkeiten „misbraucht“ wurde.

Das
wichtigste Instrument zur Realisierung der Denkresultate waren
und sind die Hände des Menschen.

Ich denke, eine Spur wichtiger noch ist der Mund (Kehlkopf inbegriffen).

Erziehung und Ausbildung sollte in allen Bereichen
viel mehr als heute in unserer westlichen Gesellschaft üblich
eine Symbiose von Hirn und Hand anstreben.

Ich glaube, da haben wir in der westlichen Welt aktuell weit größere Probleme als die „Anerkennung der Hand“…

Viele Handwerker/Künstler/Chirurgen/Schreibkräfte/Tichtennisspieler/… nutzen ihre Hände in einer perfektionierten Weise. Die Bewegungsmuster werden hart antrainiert und laufen dann aber mit wenig intellektueller Leistung. Es ist geradezu das Meisterstück, höhere kognitive Fähigkeiten auszuschließen. Die perfektesten, virtuosesten Handlungen werden oft ganz wesentlich nur noch über das verlängerte Rückenmark gesteuert - da hält sich die Großhirnrinde total raus (bis auf den Aspekt, dass sie prinzipielle Handlungs-Motivationen erarbeitet - was aber nichts mit der Koordiantion der Hände zu tun hat!). Dass man kein komplexes Gehirn für „manuelle“ Meisterleistungen benötigt, zeigt das unglaubliche Geschick, mit dem Vögel ihre Nester bauen. Hier liegt der Unterschied zum Menschen nicht in der Machbarkeit, sondern in der Plastizität der erlernbaren Abläufe. Die Teile des Gehirns, welche beim Menschen die Koordinationsteuern, sind trainierbar auf die unterschiedlichsten Aufgaben, der Vogel ist da ziemlich auf die Perfektionierung des Netzbaus beschränkt. Im Ergebnis allerdings (wenn der Mensch eine Tätigkeit perfekt gelernt hat) ist die Steuerung nicht viel anders und verlangt vom Menschen nicht mehr „Hirnschmalz“ vom Vogel.

Interessanterweise gilt Ähnliches auch für die Perfektionierung „intelektueller“ Tätigkeiten. Es braucht nicht viel Hirn, Differentialgleichungen zu lösen - wenn man’s kann! Das Problem ist, es erst mal zu lernen. Ob das Erlernen des Lösens von Differentialgleichungen (prinzipiell) schwieriger ist als das Setzen einer guten Schweißnaht oder einer Bypass-Operation ist IHMO nicht einfach zu beurteilen (weil von sehr vielen Einflüssen abhängig), wird aber oft anhand starker Vorurteile meist anders gesehen.

Danke für deine Denkanstöße und ich hoffe, ich habe weitere dazu beitragen können.

LG
Jochen

hallo erich,

erst mal sehe ich es auch so, dass die anforderungen, die manuelle tätigkeiten gemeinhin stellen unterschätzt werden, bzw. unterbewertet sind im ansehen. in meinem studium war es immer sehr viel cooler sich für theoretische physik als für experimentelle oder gar angewandte physik zu interessieren.

allerdings kam ich dabei:

Das wichtigste Instrument zur Realisierung der Denkresultate waren
und sind die Hände des Menschen.

ins nachdenken…sind die gedanken nicht selber wieder eine realisierung der denkresultate? wieso sollten diese minderwertig gegenüber den händen sein? kann es sein, dass du damit der materie mehr ‚realität‘ bzw. höhere wertigkeit zuschreibst als den gedanken?
…rein formal-philosophisch kann ich mit dem radikalen konstruktivismus sehr viel anfangen…in diesem kontext wäre es nicht so ‚sinnvoll‘ so zu denken, wie ich es dir unterstelle.

Das Gehirn nimmt über die Sinne Informationen auf („input“)
und daraus erzeugt diese graue Masse als Resultat
Informationen, die nach aussen abgegeben werden müssen
(„output“), sonst ist das Ganze ja nur „l’art pour l’art“.

hm…du trennst ein aussen und ein innen…wieso? letztlich gibt es nur ein innen, alles was du als aussen wahrnimmst ist nur ein rekursives konstrukt deines innen. mehr kannst du ehrlicherweise nicht sagen.

Das
wichtigste Instrument zur Realisierung der Denkresultate waren
und sind die Hände des Menschen. Damit komme ich zum Kern
meiner Idee: Die Hände haben sich in ähnlich komplexer und
einmaliger Art entwickelt wie das Gehirn, dessen
gleichwertige Partner sie damit wurden. Ohne die Hände
machte die ganze Entwicklung keinen praktischen Sinn.

naja. du meinst hier ja allgemein eine materielle einwirkungsmöglichkeit deines materiellen selbst auf das, von dir als nicht-selbst wahrgenomme aussen. leute wie jesus, buddha etc. haben aber sehr wenig materiell und sehr viel immateriell auf ihre umgebung gewirkt. wie willst du das in deinem bewertungs-kanon einstufen?

Ich finde deshalb, wir sollten diese „Peripheriegeräte“ (um im
Computer-Jargon zu bleiben) in der öffentlichen Meinung
aufwerten, indem wir nicht weiter die akademische Bildung den
manuellen Handwerken als qualitativ höherwertig
entgegenstellen.

naja, in grenzen gebe ich dir recht, es mag auch sein, dass die form von übertreibung die du mit deiner forderung in meinen augen machst notwendig ist um die überbewertung des immateriellen zu korrigieren.

bedenke aber auch, dass es offensichtlich einfacher ist die denkleistung des menschen in expertensystemen abzubilden, es aber sehr viel schwieriger ist, die ganz simplen ‚manuellen‘ / körperlichen / haptische funktionen des menschen nachzubilden. das spicht erst mal für dich…letztlich glaube ich aber dass auch diese letztgenannten probleme irgendwann in der robotik etc. gelöst werden…was bleibt dann worauf mensch stolz sein kann?

Erziehung und Ausbildung sollte in allen Bereichen
viel mehr als heute in unserer westlichen Gesellschaft üblich
eine Symbiose von Hirn und Hand anstreben.

für diese forderung mache ich gerne jede übertreibung mit :wink: wenn du bitte hier noch das geistig-spirituelle aufführst, umso besser. mit geistig-spirituell meine ich nix esoterisches, sondern die bildung, die notwendig ist um den transzendenten ‚trieb‘ des menschen auszuleben. letztlich wollen wir alle (also ich, und das reicht mir für diese argumentation :wink: wissen, was das ist, das ist und warum nicht NICHTS ist - oder?

und dazu braucht man erst mal keine hände?!!?

cu,

stefan

Hallo Erich!

Dass die Hände von entscheidender Bedeutung für die evolutive Hominidenentwicklung sind, ist unbestritten. Um im Computer-Jargon zu bleiben: Es gehören aber noch weitere „Peripherie-Geräte“ dazu: Augen, Ohren, der Sprachapparat, aufrechter Gang - um die wahrscheinlich wichtigsten zu nennen.

Bloß: Niemand wird die Leistungsfähigkeit seines Rechners anhand der Qualität des Bildschirms bewerten. Ein Gehirn ohne Hände kann immer noch sprechen, wahrnehmen, fühlen, denken, … Eine Hand ohne Gehirn kann gar nichts. Die bekannte Hierarchie ist also meiner Meinung nach nicht ein einseitiges Menschenbild, sondern spiegelt die Organisation des menschlichen Körpers wieder. Übrigens sind die manuellen Fertigkeiten z.B. eines Uhrmachers nur zum Teil mechanischer Natur.

Weil’s so gut passt: Was wäre der tollste Monitor ohne eine vernünftige Grafikkarte?

Michael

hallo Erich,
drei Einzeltatbestände geben Dir recht.
Erstens: Menschen, die Sport treiben, sind auch geistig fitter, und außerdem wirkt die körperliche Bewegung gegen Depressionen.
Zweitens, wer aktiv musiziert, schon als Kind, ist meist besser auch in seinen schulischen Leistungen.
Drittens, wer körperliche Funktionen geistig übt, dem gelingen sie dann in praxi auch besser. Das macht man sich bei Lähmungen nach Schlaganfällen zunutze - es wird körperlich (krankengynastisch) geübt, zugleich aber auch mental (die gleichen Bewegungen), dann geht es erwiesenermaßen rascher voran mit dem Wiedergewinn der Bewegungsfähigkeit; die motorischen Ersatzzentren im Gehirn werden leichter ansprechbar.

Alles in allem bin ich davon überzeugt, daß diese Forschungsergebnisse und Beobachtungen bedeuten: nicht nur das Gehirn steuert den Körper, sondern auch der Körper das Gehirn. Eine Sichtweise, die in unseren gehirnlastigen Zeiten allzu sehr übersehen wird. Schon das Kind muß manches greifen, um es zu begreifen.

Das Schlimme, wie ich finde, ist: was an Dimensionen verloren geht im Begreifen dieser Welt, wird weniger bemerkt, wenn man sie eben in manchen Dimensionen nicht begreift. Wir entfernen uns durch immer kopflastigere Wahrnehmungen vom Boden, auf dem wir stehen,und werden besiegbar (wie jener Riese unter den herkulischen Aufgaben, dessen Mutter die Erdgöttin selbst war und der darum unbesieglich war, so lange er Kontakt zum Erdboden hatte; aber Herkules hob ihn über seinen Kopf und kämpfte in der Luft mit ihm und konnte ihn so besiegen). Das Schlimme: unser Urteil wird immer kurzsichtiger, je theoretischer es zustande kommt, je weniger Verankerung im Realen es hat. Und unser aller Schicksal wird immer mehr von den Kopflastigen bestimmt. Gruß, I.

Hallo Erich,

und vielleicht Literaturhinweise:

das hier z.B.

Bronowski, Jacob
Der Aufstieg des Menschen. Stationen unserer Entwicklungsgeschichte
Frankfurt / Main/Berlin /Wien, Ullstein, 1976
ISBN 3-550-07471-9 Buch anschauen,

soweit ich weiß, gibts das nicht mehr aktuell, aber immer noch antiquarisch
http://cgi.zvab.com/SESSz25643212011146729600/cgi-bi…

Sehr zu empfehlen!

Gandalf

Herzlichen Dank
für die Fülle von Anregungen!
Meine Sicht wurde vertieft und erweitert und darüber freue ich mich sehr.
Erich

Wir entfernen
uns durch immer kopflastigere Wahrnehmungen vom Boden, auf dem
wir stehen

Einspruch ! Es ist nicht „politisch korrekt“, zu behaupten, Kinder müssten toben, um sich geistig und körperlich gesund zu entwickeln.

Korrekt ist es vielmehr,

  • dass Kinder nicht nach draußen gehen sollten, weil dort überall Sittenstrolche und Umweltgifte lauern.
  • dass Kinder ab 4 Jahren mit Leselernspielen gefördert werden müssen.
  • dass man mit Kindern alles ausdiskutieren muss; körperliche Interaktionen sind als Gewalt bzw. sexueller Missbrauch zu brandmarken.
  • dass Kinder einen prallen Terminkalender brauchen, um sie mit kontrollierten, pädagogisch wertvollen Aktivitäten zu fördern.
  • dass 4 Stunden Fernsehen pro Tag angemessen sind.
  • dass Kinder durch genetische Defekte unruhig werden und diese mit Psychopharmaka therapiert werden müssen.

Das nennt man dann A ktivitätsmangel- D auerfernsehen- S üssigkeiten-Syndrom. (Es gibt viele „Gläubige“, die mich für diese Bemerkung gern erschlagen würden)

mfg
Klaus

Anmerkung
Hallo,

Das nennt man dann
A ktivitätsmangel- D auerfernsehen- S üssigkeiten-Syndrom.
(Es gibt viele „Gläubige“, die mich für diese Bemerkung gern
erschlagen würden)

Ich bin so einer. Weil Du es so allgemein ausgedrückt hast, ist es einfach nur Quatsch. Mein Sohn hat ADS und das ohne 4Stunden Fernsehen und Terminkalender. Und wenn Du ihn kennen würdest, hättest Du das oben auch nicht so gesagt. Nicht alles, was schön plakativ klingt, hat auch einen Sinn.
Gruß
loderunner

Mein Sohn hat ADS und das ohne
4Stunden Fernsehen und Terminkalender.

Hallo Loderunner,

Das Thema dieses (Unter-)Threads möchte ich mal mit „Ungleichgewicht zwischen Körper und Geist in unserer Gesellschaft“ zusammenfassen.

Selbstverständlich habe ich meine Interpretation des sogenannten ADS-Syndroms etwas plakativ formuliert, aber ein solches Ungleichgewicht kann auch ohne Fernseher und Terminkalender entstehen.

Ich jedenfalls habe den Eindruck gewonnen, dass dieses „Syndrom“ kein medizinisches sondern ein gesellschaftliches Phänomen ist - was auch die Art der Diskussion darüber einschließt.

mfg
Klaus

1 Like

Zweitens, wer aktiv musiziert, schon als Kind, ist meist
besser auch in seinen schulischen Leistungen.

dazu hab ich vor kurzem folgendes gelesen:
http://science.orf.at/science/news/144201

Hallo Erich

wichtigste Instrument zur Realisierung der Denkresultate waren
und sind die Hände des Menschen. Damit komme ich zum Kern
meiner Idee: Die Hände haben sich in ähnlich komplexer und
einmaliger Art entwickelt wie das Gehirn, dessen
gleichwertige Partner sie damit wurden.

Soweit stimme ich Dir zu und bin wie Du der Meinung, dass es eine Wechselbeziehung zwischen der Entwicklung des Intellekts und und der Entw. der Hände gibt (evolutionär).
Das betrift aber nur den evolutionären Aspekt, nicht den individuellen.
Ein Handwerker kann noch so wunderbare Dinge anfertigen, trotzdem kann er intellektuell eine hohle Nuss sein. Ich kenne Menschen, die wunderbare Dinge mit ihren Händen verrichten, aber in Diskussionen nur Mist erzählen.
Es gibt ja nicht umsonst die Einteilung in Kopf- und Hand-Arbeiter.
Gruß,
Branden

Zweitens, wer aktiv musiziert, schon als Kind, ist meist
besser auch in seinen schulischen Leistungen.

dazu hab ich vor kurzem folgendes gelesen:
http://science.orf.at/science/news/144201

hallo gyuri,
ich hab das Link gelesen und sehe, daß diese Anschauung vielleicht korrekturbedürftig ist. Vielleicht - denn eines wurde festgestellt (beim PET und SPECT) - bei keiner anderen menschlichen Tätigkeit sind so viele Zentren des Gehirns in Aktion wie beim aktiven Musizieren. Motorische/ alle Zentren; sensible; limbisches System; akustische; optische; Frontalhirn; Temporallappen … mir scheint, daß diese Fragen weiter geklkärt werden sollten; eine Studie gegen eine andere gestellt muß nicht unbedingt zur absoluten Wahrheit führen…
aber danke für die Erweiterung! Gruß, I.

Hallo Branden

Ein Handwerker kann noch so wunderbare Dinge anfertigen,
trotzdem kann er intellektuell eine hohle Nuss sein. Ich kenne
Menschen, die wunderbare Dinge mit ihren Händen verrichten,
aber in Diskussionen nur Mist erzählen.
Es gibt ja nicht umsonst die Einteilung in Kopf- und Handarbeiter

Du triffst den Nagel auf den Kopf! (wie ein guter Handwerker; der Kopfarbeiter soll das bleiben lassen).
Was ich mir eigentlich als Ideal vorstelle, wohin die Erziehung zielen sollte: Keine „Einteilung“ sondern Ganzheit des Menschen. Und dann natürlich: nicht diese übliche überhebliche Einteilung von Kopf=höher und Hand = tiefer, womit wir die Jungen in eine falsche Richtung dirigieren. Etwas krass gesagt: Lieber ein zufriedener Zimmermann als ein frustrierter Jurist!
Danke für die prägnante Formulierung
Erich

Hallo!

Widerspruch - oder besser gesagt kleine Korrektur.
Es sind nicht die Hände die wir betonen sollten - sondern die
Muskulatur des Körpers.
Das ist nämlich das einzige Organ über das wir mit der Umwelt Kontakt
aufnehmen können - das als Überträger/Medium für den vom Gehirn
produzierten Output dient.

Muskuläre Koordination (Flexibilität, etc.) bestimmt auch zu einem
grossen Teil die „geistige Beweglichkeit“.
Das gilt nicht für sich immer wiederkehrende Bewegungen - denn dir
werden sehr schnell automatisiert.

Man müsste einen Weg finden der es jedem erlaubt seine kreative Seite
zu verwirklichen.

Tschüss

Matthias

ADS O.T.
Hallo,
Du verwechselst das, was grade modisch bei jedem zweiten Kind diagnostiziert wird mit dem, was ADS tatsächlich ist.

Das Thema dieses (Unter-)Threads möchte ich mal mit
„Ungleichgewicht zwischen Körper und Geist in unserer
Gesellschaft“ zusammenfassen.

ADS ist kein Ungleichgewicht. Ich darf meinen Sohn jeden Tag beobachten. Egal, ob er draußen rum tobt oder länger vor der Glotze oder dem PC sitzt, egal, ob es morgens nach dem Aufstehen oder Mittags oder Abends ist: seine Konzentrationsfähigkeit ohne Ritalin lässt nach etwa 15minuten stark nach. So sind seine Klassenarbeiten regelmäßig schlecht ausgefallen - egal, wann am Tag sie geschrieben wurden. und wenn man sie anschaut, ist die erste Seite fehlerfrei, und danach fehlen erst Wörter und dann ganze Sätze. Das ist aber nicht erst seit der Einschulung der Fall, das konnten wir bereits im Alter von etwa 3 Jahren bei ihm feststellen (ohne Klassenarbeiten natürlich :wink: ). Er ist allerdings intelligent genug, daß er ohne Medikamente bis zur 6.Klasse mitkam. Danach ging es nicht mehr; die Probleme wurden immer größer.
Es waren aber nicht nur schulische Probleme, auch seine Empfindlichkeit war eine große Belastung. Er bezog alles sofort auf sich und war eingeschnappt.
Er konnte nicht abschalten und sich mal zurückziehen, weil er alles im Haus mitbekam - auch über zwei Etagen hinweg. Nur nachts schlief er so fest, dass er auch nicht zum Pinkeln wach wurde (Klingelhose hat uns, aber nicht ihn geweckt).
Ebenfalls auffällig ist bei ihm gewesen, daß seine Bewegungen nicht ‚weich‘ und ‚rund‘, sondern eher etwas abgehackt, ruckartig, roboterhaft waren. Was natürlich immer wieder zu ‚Unfällen‘ führte.
Nun bekommt er seit etwa 2 Jahren Ritalin. Seitdem ist er ein anderer Mensch. Wesentlich geduldiger, Dauer der Konzentrationsfähigkeit wie bei allen anderen Kindern auch, die Noten sind in jedem Fach besser geworden (mindestens eine Note, manchmal auch zwei), das Bett ist meist trocken. Auch seine Bewegungen sind normal und nicht so ‚übersteuert‘.
An freien Tagen vergisst er mitunter das Medikament, dann ist alles wie früher. Ebenso, als wir mal in den Ferien zwei Wochen pause damit gemacht haben, um zu schauen, wie es ohne ist (es hat sich ein wenig gebessert).

Ich jedenfalls habe den Eindruck gewonnen, dass dieses
„Syndrom“ kein medizinisches sondern ein gesellschaftliches
Phänomen ist

Ist es definitiv nicht. Wir haben drei Kinder. Das Problem besteht nur bei einem. Du solltest wirklich akzeptieren, dass es Fälle gibt, bei denen nicht Umwelt und Erziehung die auslösenden Faktoren sind. Nicht alles ist so einfach, wie der Laie es sich denkt. Und nicht immer bedeutet eine Modeerscheinung, daß es nicht auch Fälle gibt, die nicht nur aufgrund dieser Mode auftreten.

Gruß
loderunner

hallo Klaus,
ich meinte meinen Beitrag, auch den Satz, den Du mit in Deine Antwort reingenommen hast, noch viel umfangreicher als Du ihn erweitert hast. Was Du schreibst, geht so etwas in die Richtung „mens sana in corpore sano“ - ein zwar richtiger, aber vielfach mißbrauchter Satz, den ich darum nicht mehr so mag.
Wo sollen sich denn Stadtkinder noch körperlich austoben?
Die Spielplätze sind langweilig (meist).
Die üblichen möglichen Treffpunkte für Kinder, wo sie spielen können, oft gefährlich (von unangenehmem Gruppendruck bis zu Bedrohung, Abzocke und bösartiger Schlägerei).
Um mithalten zu können, sind viele Kinder auf Freizeit-Outfit angewiesen, das sie oder ihre Eltern sich nicht leisten können. Oder die Freizeit-Orte selbst fordern Eintrittskosten.
Viele Spiele oder körperlichen Betätigungen werden immer gefährlicher - Inline-Skaten, wenn es cool (=anerkannt von der peer-group) sein soll …
Und wenn man das alles zusammen sieht, dann wundert man sich nur über eins - daß die Erwachsenengesellschaft es immer noch nicht kapiert hat…Börsennotationen sind nun mal wichtiger als der Erhalt günstiger Schwimmbäder, Sporthallen, als die Unterstützung von Jugendarbeit, Treffs, Jugendfußballvereinen …

Nein, was ich meinte, geht weiter. Einer, der noch selbst an der Werkbank Gewinde dreht in verschiedene Materialien. Der Holz von Hand bearbeitet, wie z.B. ein Intarsienleger oder ein Geigenbauer (um mal in die oberste Schublade zu greifen), oder der Körbe flechten kann, der selbst aus Ton Gefäße herstellen kann, der Papier herstellt usw. usw. - der entwickelt eine Haltung zu Bereichen wie „Geduld“. „Materialgefühl“. „Erfahrung“. „Motorisches Geschick“. „Der richtige Zeitpunkt“. „Verantwortung“. „Wert der Arbeit“. „Umgang mit Scheitern - und Ursachensuche“. Er entwickelt etwas, wozu der einfache Fließbandarbeiter keine Chance hat - außer in Ausübung seines Hobby, falls er ein solcherartiges hat.
Was so jemand lernt, sind (realistische) Haltungen zum Leben, auch zum Leben anderer, er lernt, sein Urteil zu präzisieren, sein motorisches Geschick zu schulen, er lernt, was „Eingebungen“, intuitives Wissen ums Material sind … - und er schult seine Motorik nicht in groben Bewegungsabfolgen wie im Fitness-Studio, sondern in der geistigen Belebung von Bewegungen, die einem u.U. hochdifferenzierten Ziel dienen.

Etwa in diese Richtung meinte ich, daß uns der Kontakt zum Erdboden (=einer realen, realistischen, aber nicht simplifizierten) Lebensauffassung verlorenginge. Wer nicht eine Kiefer von einer Fichte unterscheiden kann, wie soll der ahnen, wie der Geigenbauer das Holz für seine Instrumente wählt? welche Sorgfalt der Schwertmacher in die Herstellung seiner Waffen stecken muß - was überhaupt wirkliches Wissen und Kenntnis ist? Und - dieses Nichtwissen stammt zunächst von einer immer geringeren motorisch differenzierten Auseinandersetzung mit der Materie, die uns der FORTSCHRITT aufnötigt. Und darum - genügen uns immer mehr - schlechtes Brot und entwürdigende Spiele. Wie uns das Fernsehen zeigt. Gruß, I.

Ich finde deshalb, wir sollten diese „Peripheriegeräte“ (um im
Computer-Jargon zu bleiben) in der öffentlichen Meinung
aufwerten, indem wir nicht weiter die akademische Bildung den
manuellen Handwerken als qualitativ höherwertig
entgegenstellen.

Servus Erich,
wenn die Hände ohne Hirn losgeschickt werden, kommen ziemlich dürftige Ergebnisse 'raus. Soviel mal zu Deiner Basisüberlegung. Du wirst also für Deinen Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung mit diesem Bild nicht sehr weit kommen. Und damit sind wir dann in einem anderen Brett.
Kai

Stimmt das Gleichgewicht zwischen Ernährung, körperlicher und geistiger Betätigung und weiteren Bedürfnissen (Sonnenlicht, Abwechslung, Kontakt zu Mitmenschen) braucht kein Mensch, auch kein ADSler Medikamente. Kommt das ganze aus dem Gleichgewicht können Medikamente, in diesem Fall Ritalin, Medikinet o.a. das Wiederherstellen des Gleichgewichts durch verstärkte Konzentration auf das Wesentliche vereinfachen.

Wenn ich Ihnen eine Tipp geben darf rate ich Ihnen, Ihrem Sohn ein Skateboard zu schenken, da spürt er Fehler infolge unkonzentriertheit auch ohne Stimulanzien.

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Stimmt das Gleichgewicht zwischen Ernährung, körperlicher und
geistiger Betätigung und weiteren Bedürfnissen (Sonnenlicht,
Abwechslung, Kontakt zu Mitmenschen) braucht kein Mensch, auch
kein ADSler Medikamente. Kommt das ganze aus dem Gleichgewicht
können Medikamente, in diesem Fall Ritalin, Medikinet o.a. das
Wiederherstellen des Gleichgewichts durch verstärkte
Konzentration auf das Wesentliche vereinfachen.

Wenn ich Ihnen eine Tipp geben darf rate ich Ihnen, Ihrem Sohn
ein Skateboard zu schenken, da spürt er Fehler infolge
unkonzentriertheit auch ohne Stimulanzien.

Du hast absolut keine Ahnung. Weder, was ADS ist, noch was man dagegen machen kann.