Ich befasse mich gerade mit einem Prüfungsthema und würde gerne wissen, ob ich mit diesen Erklärungen und Beispielen richtig liege. Es wäre toll, wenn jemand ein paar Gedanken hierüber mitzuteilen hätte - würde mich sehr interessieren!
Dekonstruktion ist keine Theorie, sondern eine Falsifizierungsstrategie. Ihr Ziel ist eine Begriffskritik, ihr Gegenstand ist der Signifikant, ihre Methode die Zerstreuung des Zeichens, ihr Ergebnis die Entfremdung und Neuverhandlung eines Begriffs.
Die Strukturalisten sahen Zeichen und Texte als Systeme an, in denen die Welt der Signifikate auf der Ebene ihrer Signifikanten miteinander in bestimmte Beziehungen treten und erst aus dieser Nachbarschaft ihren Wert
erlangen. So gibt es bspw. die Frau nicht als feststehende Einheit, sondern wird erst greifbar, wenn dieser Begriff aus einem Set unterscheidbarer Eigenschaften zusammengesetzt wird. Einfach gesagt, addiert der Begriff Frau eine Reihe von Gegenteilen Oppositionen, die Frau von Mann unterscheidbar machen sollen: sanft/heftig, geduldig/aufbrausend, weich/hart etc. Alle Signifikanten wie Frau, Mann, Raum, Zeit, Welt, SubText oder Gut basieren auf diesen Oppositionen.
Wichtig: Die Strukturalisten gehen von einer „Metaphysik der Präsenz“ aus, d.h. dass die Dinge = Denotate, Referenten zeitübergreifend präsent sind, sodass sich Sprache abbildend auf die unterschiedlichen Eigenschaften dieser Dinge beziehen kann. Die Poststrukturalisten fragten nun: Ist die Welt wirklich so, wie unsere Sprache sie darstellt? Sind die Sets von Unterschieden und Signifikanten tatsächlich wahr
oder doch nur willkürlich? Und könnten sie auch ganz anders sein?
Die Poststrukturalisten lehnten diese Wahrheit
des Zeichens oder der Sprache ab. Sie verneinten, dass es eine wahre Struktur
von Oppositionen gebe oder dass hinter all den Signifikanten tatsächlich ein Signifikat zu finden sei. In erschöpfenden Analysen zeigten sie, wie Signifikanten als Verweise immer wieder und wieder auf andere Verweise verwiesen, ohne jemals zu einem Signifikat zu kommen Signifikantenkette, oder sie analysierten und widerlegten spielerisch die Oppositionen, auf denen die betrachteten Begriffe beruhten, um ihre willkürliche, von falschen Vorurteilen und kulturellen Setzungen durchzogenen Prämissen zu entlarven „Spiel der Signifikanten“. Die Einsicht in die Konstruiertheit der Zeichen eröffnet dem Dekonstrukteur zahlreiche Deutungsalternativen, sodass eine Sinnverstreuung entsteht dissémination = Streuung. Indem die Analyse laufend den Verweisen des Signifikanten in unterschiedlichste Richtungen nachjagd, wird deutlich, wie sich diese beim Lesen wie einem Spinnennetz oder Rhizom zu einem unendliches Wurzelgeflecht verbinden, in dem der konservative Leser völlig vergeblich nach einem ‚Kern‘ sucht: Es gibt nur Signifikanten, aber keine Signifikate!
Dekonstruktion hat eine Doppelbedeutung: Einerseits soll die linguistische Konstruktion des Textes nicht nur entlarvt, sondern bis auf die Wort- und Buchstabenebene zerlegt, in Widersprüche verstrickt und ad absurdum geführt werden. Frech gesagt: Es geht darum, den Textsinn zu Unsinn zu entstellen seine willkürliche Konstruiertheit zu enttarnen. Das Denken soll dabei nicht zerstört werden, sondern zerlegt und neu/besser zusammengesetzt werden. Dekonstruktive Praxis besteht im Spiel mit Begriffen, dem Übertreten und Ignorieren von Grenzen, dem Verschieben von Bedeutungen, dem Missverstehen und einer geschcikten ‚Blödigkeit‘ gegenüber den kulturellen Setzungen darüber, was den meisten Menschen als selbstverständlich gilt.
Dekonstruktion wird heute als kritisches Korrektiv genutzt, um wichtige Begriffe und selbstverständlich gewordene Denkmuster aus inhaltlichen Positionen zu überprüfen. Die ursprüngliche anarchische Streitbarkeit des eigentlich sophistisch veranlagten Dekonstruktivismus über Metaphysik hat er heute verloren.
Argumentationsgänge der Dekonstrukteure
Derrida hat seine Theorie recht eigenwillig und wenig überzeugend begründet: Derrida behauptete, die Schrift gramma stelle das sekundäre Zeichensystem dar, die Sprache phone hingegen sei das primäre System. Daher seien Schriftzeichen nur die „Signifikanten der Signifikanten“, weshalb Saussure irre, wenn er präzise Einheiten von Signifikat und Signifikant annehme. Es gäbe vielmehr eine Verdoppelung von Verweisen, bei der die Signifikate immer weiter zerstreut werden Dissémination, vgl. oben und immer weniger greifbar werden. Deshalb gebe es gibt keinen Gegenstand, keinen Sinn und kein Selbst
, sodass die Schriftzeichen letzlich mutterseelenallein da stehen – ohne einen Bezugspunkt, an dem sie sich festhalten könnten: Saussures Zeichen leiden daher an einem „permanenten Bedeutungsaufschub“. Das hat Folgen: Weil Saussures Zeichen negativ durch ihre Differenz definiert sind und ihre Bedeutung nur von den unterscheidbaren Nachbarn
kommt, ist der aufschiebende Ausfall der Nachbarsignifikate différance katastrophal: „Kein Element kann je die Funktion eines Zeichens haben, ohne auf ein anderes Element, das selbst nicht präsent ist, zu verweisen.“ Derrida 1986, 66f…
Aber: Diese Zeichenkritik ist Derridas Fundament wie sein Stolperstein zugleich. Einerseits bemängelt Derrida den ständigen Sinnaufschub des Zeichens, andererseits gibt er zu, dass auf seine „metaphysische Komplizenschaft nicht verzichten“ könne. Das bedeutet, dass der Signifikant und das Sprachsystem an sich unhintergehbar/unverzichtbar ist, auch wenn die Signifikate praktisch unfassbar bleiben. Besonders peinlich: Dementsprechend haben natürlich auch Derridas Text kein Signifikat, was Derrida seinerzeit lächelnd zugab: „Ich glaube, wir verlieren nichts, wenn wir sagen, dass die Dekonstruktion sich selbst widerspricht.“ sinngemäß zitiert. Lacan wird das Problem der fehlenden Signifikate weiter verschärfen, wenn er in der Anekdote vom WC-Schild belegt, dass erst der Signifikant das Signifikat erzeugt und von einem „metaphysischen Vorrang des Dinges“ keine Rede sein könne.
Kritik:
Was ist also das Denotat von „heiß“? Derrida und Lancan würden diesen Begriff jetzt dekonstruieren, indem sie bspw. alle Eigenschaften von heiß gegen kalt abgrenzen und dann zeigen, dass heiß auf einer ganzen Reihe von anderen Begriffen wie Schmerz, Glut, Hitze, Kochen, Sexy, Schwitzen, … beruht, die wiederum auf Signifikanten beruhen, die auf Signifikanten beruhen, die auf Signifikanten beruhen, die …
Anscheinend haben beide nie Hume oder Locke gelesen: heiß ist nämlich eine vorsprachliche, präintellektuelle Erfahrung. Wie Pirsig 1993 nachzeichnet, ist heiß der Wert, der jeden Menschen von einer heißen Herdplatte springen lässt, egal welche Sprache er spricht oder was er unter heiß versteht. Das Signifikat von heiß ist kein Konzept, sondern die Erinnerung an einen Erfahrungswert, der eben nicht auf das Subjekt oder Objekt zurückführbar ist: Erst ist da die Erfahrung von heiß
, dann springt man vom Herd, dann reibt man sich den Hintern, und erst dann beginnt der Intellekt, die Erfahrung in binäre Oppositionen zu spalten, wobei die erste Opposition die vom „leidenden Subjekt“ und den „heißen Objekt“ – also der Subjekt-Objekt-Metatheorie ist.