Deutsche Eigenschaften - ?

Hallo,

eine Antwort in einem anderen Brett hat mich zum Nachdenken angeregt. Brauchen wir Deutschen (mit allen Einschränkungen einer solchen Verallgemeinerung) mehr Sicherheit als andere?

Warum ich auf den Gedanken kam: Als ich im Nahen Osten lebte, lernte ich sehr viele Expats kennen. Die meisten Deutschen waren für eine bestimmte Anzahl von Jahren von ihrer Firma dorthin ausgesandt, meist eher kurz (3 oder 5 Jahre) mit der festen Zusage, dass sie nach dieser Zeit wieder nach Deutschland zurückkehren könnten und bei ihrer Firma ein Arbeitsplatz auf sie warten würde.

Menschen anderer Nationen (ich beschränke mich hier auf Westeuropäer) waren meist mit einem Vertrag dort, den sie für diese Zeit abgeschlossen hatten, mit keinerlei Garantie, was sie danach machen würden. Viele verlängerten darum ihrer Verträge in Saudi (oder gingen in ein anderes Land), manche gingen auch zurück in ihr Heimatland und suchten dort eine neue Anstellung. Dass das nicht immer funktionierte, konnte man daran sehen, dass viele Expats nach einiger Zeit im Heimatland wieder ihren Weg in den Nahen Osten fanden.

Dieses Bedürfnis nach einem Sicherheitsnetz - ist das typisch Deutsch? Das vorherige Abwägen von allen möglichen Optionen (in dem Posting, das meine Gedanken angeregt hat, wurde die Behauptung aufgestellt, dass man nur ein Haustier nehmen könnte, nachdem man vorher Allergien abgeklärt hätte). Ist Spontaneität tatsächlich nur mit einem Sicherheitsnetz zu haben - zumindest für Deutsche?

Grüße
Siboniwe

(j)ein.

sicherheit ist ein individuelles grundbedürfnis. betrifft alle lebewesen. kann durch vorsicht oder durch aggressivität gelöst werden.

das deutsche [gesellschaftliche] sicherheitsnetz ist eher durch zurückhaltung und vorsicht geprägt. es war in den letzten jahrzehnten auch sehr erfolgreich.

expats sind darsteller einer individuellen randgruppe.

pasquino

der mittlerweile ein problem darin sieht, dass „deutsch“ erwähnt wird.
als sei es wie im betreff eine individuelle eigenschaft.

Ich habe das eingeschränkt und meine Benutzung des Wortes erklärt. Allerdings ist es so, dass ich bei Expats Eigenschaften, die verschiedenen Nationen zugeschrieben werden, oftmals besonders ausgeprägt festgestellt habe (natürlich nicht beim Einzelnen - aber wenn man z.B. Schulen im Ausland betrachtet, die einer bestimmten Nation zugeordnet werden, dann kann man zwischen deutschen Schulen in verschiedenen Ländern Gemeinsamkeiten feststellen, die sich von englischen oder amerikanischen oder französischen unterscheiden - damit meine ich nicht das Schulsystem, sondern die Art des Umgangs untereinander; ganz banal: die Eltern planen ein Klassensportfest - die Diskussionen, die sich da ergeben sind schon sehr unterschiedlich an der französischen, englischen oder deutschen Schule einer Stadt, bzw. laufen in Jeddah, Harare und Johannesburg in durchaus ähnlichen Bahnen).

Deine Aussage über das Grundbedürfnis an Sicherheit hilft meiner Fragestellung aber nicht weiter. Das Bedürfnis an Vorhersagbarkeit der Zukunft geht - meiner Erfahrung nach - bei vielen Deutschen über das von anderen Nationen hinaus.

Wenn ich z.B. den Mieterschutz in Deutschland mit dem in anderen Länder vergleiche, dann scheint mich das zu bestätigen.

Es geht mir aber nicht per se um das gesellschaftliche Sicherheitsnetz (obwohl das ein Teilaspekt ist, auch einer der die Vorstellungen der Menschen prägt - in einem Staat, in dem es keine staatlich verpflichtende Krankenversicherung gibt, ist so etwas „nice to have“, aber wird nicht als unumstößlich nötig empfunden), sondern wie sich das beim Einzelnen auswirkt. Ein anderes Beispiel: in Deutschland bleibt man wohnen, wenn nicht ganz trifftige Gründe für einen Umzug sprechen. Aus anderen Ländern kenne ich, dass man nach 5 Jahren an der gleichen Adresse schon als Seltenheit gilt. Menschen ziehen öfter um, auch innerhalb der gleichen Stadt. Extrem fand ich das in Südafrika, aber in anderen Ländern ist man da durchaus flexibler als in Deutschland.

Grüße
Siboniwe

Hallo,

ich bin überzeugt, dass „Sicherheit“ ein menschliches Grundbedürfnis ist. Wie stark es ausgelebt wird scheint mir abhängig zu sein von gesellschaftlichen Strukturen und Erziehung.

Ja, auch ich habe das Gefühl, als wenn der Deutsche mehr Sicherheit und Stabilität wünscht im Vergleich zu anderen. Gut erkennen kann man das unter anderem an den Häusern: der Deutsche baut ein Haus, das er in der Regel bis an das Ende seines Lebens bewohnen wird (und vielleicht auch abzahlt). Der Amerikaner baut sich eine billige Holzhütte, die bis zum nächsten Sturm hält. (Oder lebt sogar im „Mobile Home“, dass man theoretisch überall abstellen kann.) Eine solche Hütte lässt man vermutlich schneller zurück, wenn sich die Lebensumstände ändern, als ein Haus aus Stein.

Ebenso haben sich die Deutschen über viele Jahrzehnte Arbeitnehmerrechte erkämpft, die ihresgleichen auf der Welt suchen - auch das, damit die Arbeiter sich sicherer fühlen können und Stabilität im Leben finden. Aus meiner Sicht ist das einer der Grundpfeiler für den Wohlstand eines großen Teils der Gesellschaft. Der derzeitige Abbau dieser Sicherheiten scheint mir einer der Gründe für die Unzufriedenheit vieler Menschen in diesem Land zu sein.

Und ja, Sicherheit und Stabilität ist ein wenig das Gegenteil von Spontaneität und Risikobereitschaft.

Grüße
Pierre

So ähnlich sehe ich es auch. Aber man muss die Balance finden zwischen Sicherheit und Stabilität. Und was dem einen notwendige Sicherheit ist, kann für den anderen ein überflüssiges Korsett sein.

Wenn sich das Sicherheitsbedürfnis so ausdehnt, dass nahezu jeder Teilaspekt des Lebens planbar sein soll (jedes Jahr 3 Wochen Urlaub in der gleichen Feriensiedlung, Abwägung jeglichen Risikos z.B. bei der Haustieranschaffung, keine neuen Nachbarn, keine berufliche Veränderung, kein Aufgeben von Gewohnheiten, z.B. im Verkehr, usw.), dann wird jede Veränderung als Angriff auf die Sicherheit empfunden - und entsprechend abgewehrt.

Zu deinem Hausbeispiel - das sehe ich auch so. Aber diese Einstellung hat neben einer größeren Mobilität auch den Vorteil, dass man nicht das „ideale Haus“ sucht. Ich bin schon so oft umgezogen (manchmal in Mietobjekten, manchmal in Eigentum, das kam eher auf das Land an, als auf etwas anderes), und ich akzeptiere viel eher Mängel an meinen Wohnungen. Im Moment wohnen wir in einer Eigentumswohnung und ich könnte mir die Haare raufen, wenn wieder mal eine Eigentümerversammlung ansteht und was da alles unbedingt 100% super-duper-exakt sein muss. Als Ergebnis sind Häuser in vielen Ländern ja auch erschwinglicher (im Vergleich zum Einkommen, nicht absolut) als in Deutschland.

Grüße
Siboniwe

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Ich meine „typisch deutsch“, das müsste man mal statistisch belegen oder untersuchen. Wenn jeder von seinen Erfahrungen berichtet, ist das ja sicher nicht verkehrt und bringt auch Erkenntnisse. Allgemein gültig sind die aber dann nicht… (Ich habe gerade vor ein paar Tagen in Funk, Fernsehen oder Zeitung Kontakt mit dem Thema gehabt, mir fällt partout nicht mehr ein, wo genau).

Ich denke, das ist eine Frage der gesellschaftlichen Kultur. Und da funktioniert ein gute&fire auch, wenn eben alle mitmachen und das Gesamtpaket „rund“ ist. In Deutschland ist das nicht üblich, Entlassung und Einstellung sind ein „größeres Ding“, das ist Konsens.

Durch mein unstetes Leben kann ich dazu noch sagen, dass in konservativeren Landstrichen auch Menschen mit noch größerem Sicherheitsbedürfnis leben.

Und, auch meine Erfahrung: es macht krank und laugt aus, sein Sicherheitsbedürfnis komplett zu ignorieren.

Einem Garten anzulegen und dem Baum länger als 2-3 Jahre beim Wachsen zuzusehen, das ist heilsam.

Das Sicherheitsbedürfnis ist m.e. nach auch abhängig von der Lebensphase.

Bufo

Hallo,
ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, daß dies ein Spezialfall des Endowment-Effekts ist. Wir (Deutschen) sind es einfach gewohnt, daß unser Leben planbar ist: Urlaubslisten werden ein Jahr im voraus erstellt, Geschäfte öffnen und schließen zu den tatsächlich angegebenen Zeiten, jedes Jahr im November kann man die Kfz-Versicherung wechseln, etc.

Für meine Behauptung möchte ich sagen, wir besitzen das abstrakte Gut der Planungssicherheit. Und weil es uns so viel wert ist, versuchen wir, so sagt es der Effekt voraus, zu behalten und zu verteidigen, auch wenn es rational keinen Grund dafür gibt und ein objektiver Mehrwert nicht besteht.

In meinen Augen verschiebt sich daher die Frage, wie uns diese Planungssicherheit historisch zugefallen ist, sprich wer hat wann damit angefangen.

Du hast sicher recht, was die Empirie betrifft. Dennoch gibt es Erfahrungswerte, die man ernst nehmen sollte, ohne dabei in „gefühlte Fakten“ abzudriften. Auch gibt es Menschen, die durch ihre eigene Lebenserfahrung (weil sie öfter den Job gewechselt haben, weil sie öfter umgezogen sind, durch ihre Arbeit, in ganz verschiedenen Umfwlsern gelebt haben) eine größere Vergleichsmenge haben.

Grüße
Siboniwe

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Das ist ein guter Ansatz. Danke für die Anregung.

Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass sicher unsere geographische Lage einen Teil dazu beigetragen hat. Nschfagren eines Nomadenvolkes empfunden u.U. anders. Eventuell auch die Entstehung des Staates. USA, Kanada, Südafrika und Australien sind z.B. erst vor relativ kurzer Zeit von den jetzt dominanten Gruppen besiedelt worden. Vereinfacht: welcher Knecht im 19. Jahrhundert ist in Deutschland geblieben, welcher hat es gewagt sein Leben durch Auswanden total neu aufzustellen- gewisse Charaktereigenschaften sind auch vererbbar.

Mhm… food for thought …

Grüße
Siboniwe

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Ok. Ich hab mal gegoogelt. (und mich für meine Fehler im Smartphone-Getippten ersten Beitrag geschämt :satisfied:)

Das zum Thema Lebensalter und Sicherheitsbedürfnis: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/201442/umfrage/meinung-zu-groesserem-beduerfnis-nach-wohlstand-oder-sicherheit/

Schade, viele Studien drehen sich um das Thema Finanzen, das finde ich sehr kurz gegriffen: https://www.ifd-allensbach.de/studien-und-berichte/veroeffentlichte-studien.html
https://www.gfk-verein.org/presse/werte-im-wandel-das-sicherheitsbedurfnis-steigt

Wobei mir dabei klar wurde, dass mein Sicherheitsbedürfnis in unterschiedlichen Lebensbereichen durchaus sehr unterschiedlich ausgeprägt ist: Reise, Finanzen, beruflich, im öffentlichen Raum etc. . Da müsste man wohl noch mehr differenzieren. Vielleicht geht jemand finanziell hohe Risiken ein, lebt aber in der 10. Generation in ein und demselben Häuschen oder hat im Dunkeln Angst auf der Straße…

Und wer sich mit Sicherheitsbedürfnis auseinandersetzt, landet ja schnell bei Ängsten. Bei rationalen und irrationalen, bei der Beförderung oder Ruhigstellung von Ängsten durch Medien oder Politik.


Bufo

und welche trifftigen gründe haben letztere?
du hast gerade selbst zweigenannt mieterschutz, krankenversicherung fehlende sicherheit eben.
und für die erstgenannten mehrere von anderen übernommen/akzeptiert oder selbst beigetragen.

fazit:
wenn man sicherheit leben kann, dann gibt es keinen grund, diese zu ändern.
das gilt für eher risikofreudige wie risikoarme personen gleichermaßen.

weiße südafrikaner (oder langjährig dort lebende europäer) sind global betrachtet nun mal vergleichsweise ordentlich tough. oder strong, wie mir vor kurzem von einem angesagt wurde.
aber ebenso wie in anderen ländern sind diese verhaltensweisen der notwendigkeit geschuldet.

pasquino

Dieses Sicherheitsbedürfnis ist in der Tat weit verbreitet, und würde ich als Teilaspekt der „German Angst“ sehen, die insbesondere bei Leuten verbreitet ist, die keine Auslandserfahrung jenseits vollorganisierter Urlaubsreisen in hinreichend auf deutsche Urlauber eingerichtete Destinationen haben. Auch dürfte der uns Deutschen ja immer wieder nachgesagte Hang zum Perfektionismus und zur Einzelfallgerechtigkeit dabei eine Rolle spielen. Wir haben damit eine Komfortzone erreicht, die die Ansprüche an das, was als zwingend notwendig erachtet wird, extrem nach oben gezogen haben. Und mangels „Erdung“ durch Auslandserfahrungen verfestigt sich dieses Anspruchsdenken, und kommt es zu immer weit reichenden Forderungen nach „noch mehr Sicherheit“.

Ich würde mich selbst auch als eher sicherheitsbewusst einschätzen, und habe noch wenig „richtig gefährliche Dinge“ getrieben, wundere mich aber auch immer wieder über die Reaktionen meiner (deutschen) Mitmenschen schon auf in meinen Augen banale Dinge, wie selbst geplante Auslandreisen abseits der „man spricht Deutsch Gegenden“ in recht unproblematische Länder. Und in eine Stadt, in der es schon mal einen Terroranschlag gab, kann man ja ohnehin auf Ewigkeit nicht mehr reisen. Auch nicht zwingende Jobwechsel, die Annahme von Tätigkeiten, die keine Ewigkeitsgarantie haben, atypische Beschäftigungsverhältnisse, … muss man immer „gut begründen“, und werden einem gerne als „Abstieg“ ausgelegt, bis man einfließen lässt, dass man mal wieder das Jahresgehalt ordentlich gesteigert hat, und ohnehin noch nie länger als auch jetzt absehbar irgendwo gearbeitet hat, um dann übergangslos wieder in einen besser bezahlten Job gewechselt zu haben.

Aber gerade auch das „Aushalten“ anderer Standards im Ausland erdet einen nicht nur in dem Sinne, das man merkt, dass man damit „notfalls auch noch“ leben könnte, sondern macht oft auch den Blick dafür frei, dass man Dinge eben durchaus auch anders regeln kann, und damit sogar sehr gut leben kann, wenn man sich mal persönlich und unmittelbar auf Dinge einlässt, und sich nicht hinter einem Reiseleiter versteckt.

Denn zur Angst hinzu kommt ein verzerrtes Bild der tatsächlich gegebenen Situation im internationalen Vergleich, wenn eigene Auslandserfahrungen fehlen. D.h. es entsteht die German Assertiveness, die nicht immer und überall gegenüber den Fakten im Rest der Welt bestehen kann, und auf die man - ohne bösen Willen - schnell selbst hereinfallen kann, was auch mir schon einige Male passiert ist. Da fährst Du ins ehemalige Jugoslawien und denkst über eine Spendenaktion für die zu besichtigende örtliche Grundschule nach, um der ein paar noch brauchbare PCs zukommen zu lassen, und findest einen perfekt ausgestatteten riesigen Neubau in moderner Architektur vor, nach dem sich jede deutsche Kommune die Finger lecken würde! Da graust es dir gerade noch vor der erwarteten Buckelpiste, und findest dich im nächsten Moment auf einer Autobahn wieder, mit der aktuell kaum eine deutsche BAB mithalten könnte, … Da wirst du dann schnell geerdet.

Wenn sich Bufo schon für ihren hire = gute geschämt hat, dann muss ich das erst recht tun für mein (auch dem Smartphone und der Eile geschuldet) für mein dkajfdkajökkrj

Nschfagren = Nachfahren
Auswanden = Auswandern

Sorry.

Woanders würde = wurde

Ich nehme mir immer wieder vor, nur an einem richtigen Keyboard zu antworten, aber das klappt nicht immer.

Grüße
Siboniwe