Diagnose 'geistige Behinderung' bei Kindern

Moin,
wer stellt eigentlich die Diagnose „geistige Behinderung“ bei Vorschulkindern? Ist dieser Status dann „offiziell“ und was bring er mit sich? Kann diese Diagnose „offiziell“ später rückgängig gemacht werden, wenn das Kind sich wider erwarten doch gut entwickelt und wer würde das machen?

Gruß
Marion

Moin Marion,

also erstens bekommt keiner einen offiziellen Stempel „geistig behindert“, das passiert höchstens in den Köpfen mancher Leute.

Ich nehme mal folgendes an: Eine Erzieherin im Kindergarten hat ein Kind als „geistig behindert“ bezeichnet (mögliche Gründe: 1. Kind ist anstrengend, 2. Kind wird vernachlässigt, 3. Kind ist tatsächlich weit hinter den anderen Kindern zurück, 4. Kind ist hochbegabt und langweilt sich, 5. , 6. …). Oder: Der Kinderarzt hat bei einem Kind einen Gen-Defekt festgestellt und gesagt, dass dadurch geistige Behinderungen möglich sind. Oder noch was anderes? Die Bandbreite ist sehr, sehr weit, vieles ist möglich. Ohne weiter Informationen ist es kaum möglich zu sagen, ob es nur unwissendes Gerede oder eine schwerwiegende Diagnose ist oder ob dringend etwas getan werden muss.

Gruß, Sigrid

Hallo Sigrid,

das Kind ist im Kindergarten stark verhaltensauffällig und bleibt in den Leistungen stark hinter denen seiner Altergruppe zurück. Es erhält Frühförderung von der Lebenshilfe.

Die Eltern haben Sorgen, dass das Kind, sollte es in eine „normale“ Grundschule Schule eingeschult werden, hoffnungslos überfordert ist. Es steht also die Überlegung an, das Kind auf einer Schule für Kinder mit geistiger Behinderung einzuschulen, dafür müsste aber erstmal eine geistige Behinderung diagnostiziert werden. Allerdings besteht hier nun wieder die Sorge, was ist, wenn das Kind dort unterfordert ist? Gäbe es dann überhaupt die Chance für eine Rückkehr irgendwann auf eine normale Schule? Was kann man solchen Eltern raten? Wer kann hier „neutral“ beraten?

Gruß
Marion

Hallo Marion,

bei uns gibt es eine Frühberatungsstelle für solche Kinder. Vielleicht findest du bei Google Hinweise mit den Stichwörter „Frühberatung“ und „Frühförderung“ und eurem Wohnort. Zunächst sollten die Eltern mal mit der Erzieherin sprechen, die die Frühförderung jetzt macht. Sie kann es wahrscheinlich am besten beurteilen.
Außerdem gibt es bei uns Förderklassen für Kinder die schulpflichtig sind (also das entsprechende Alter haben), aber noch nicht schulreif (vom Entwicklungsstand noch nicht so weit sind). Diese Kinder kommen bei uns nach einem Jahr Förderschule in die normale Grundschule. Wenn sie dann immer noch nicht mithalten können, kommen sie in die Förderschule. Vom umgekehrten Weg habe ich bei uns noch nichts gehört. Wie es in eurer Gegend gemacht wird, kann natürlich anders sein.
Verhaltensauffälligkeiten können natürlich auch andere Ursachen haben, die Pallette der Möglichkeiten reicht von Mißbrauch, Vernachlässigung über ADS bis zur Hochbegabung. Genaueres weiss ich nicht, aber die Frühberatungsstelle oder der Kinderarzt kann sicherlich entsprechende Tests machen oder empfehlen.
Auch bei geistiger Behinderung: Ursachenforschung ist wichtig, vielleicht können ja Medikamente helfen, auch hier ist die Pallette riesig: Gen-Defekt, Sauerstoffmangel bei der Geburt, Allergien,… Aber im medizinischen Bereich kenne ich mich nun gar nicht aus.

Meine Erfahrungen basieren auf Bekanntschaften mit den Eltern von leicht bis schwer behinderten Kindern und auf den Gesprächen mit meinem Vater, der geistig Behinderte betreut hat, die ich zum Teil auch kennen gelernt habe. Das schlimmste fand ich immer, wenn ein Kind eigentlich normal intelligent war und durch soziale Vernachlässigung und Mißbrauch körperlich und seelisch so geschädigt wurde, das sein Verhalten nicht mehr tragbar war und es deshalb in einem geschlossenen Heim leben musste. Geistig Behinderte dagegen haben oft eine unglaubliche Lebensfreude.

Gruß, Sigrid

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Moin Marion,

ich halte die Sorge der Eltern vor einer vorschnellen Etikettierung „geistig behindert/lernbehindert etc.“ für berechtigt.

Wäre mein Kind in der von dir beschriebenen Weise auffällig, würde ich sicher eine integrative Waldorf- oder Montessorischule (wobei diese recht unterschiedliche Ansätze haben) in Betracht ziehen. Dort werden Kinder (sehr viel besser als in Regelschulen) im Rahmen ihrer Möglichkeiten recht vielseitig gefördert.

Gerade die Waldorfschulen fördern auch viele Fähigkeiten, die in Regelschulen kaum bis gar nicht von Bedeutung sind, z. B. Theaterspiel, Werken, Gärtnern, Musizieren etc., so dass auch Kinder, deren intellektuelle Begabung (zumindest derzeit - aus welchen Gründen auch immer) eher schwach entwickelt ist, groß herauskommen können.

Ich erinnere mich an eine Schulkollegin, die in Lesen, Schreiben, Rechnen etc. eine schiere Katastrophe war, aber beim Malen, Zeichnen und beim Flötenspiel sämtliche Mitschüler erfuchtsvoll erblassen ließ :wink:

LG
sine

Hallo,

also wenn ich richtig informiert bin gilt ein Kind bzw. ein Erwachsener als „geistig behindert“ wenn er 2 Standartabweichungen unter der Normalintelligenz liegt. Das heißt also ein IQ von unter 70 hat.
Es gibt hier aber zahlreiche Probleme bei der Definition von geistiger Behinderung und bei der Feststellung des IQs.
Soweit ich weiss, wird eine richte Festellung zum sogeannten „sonderpädagogischen Förderbedarf“, nachdem sich dann entscheidet, auf welche Schule das Kind dann gehen wird, von Förderschullehrer (früher Sonderschullehrern) gestellt. Aber natürlich hat auch die ärtzliche Seite eine Gewichtung und Ärtzte stellen z.B. nach den Syndromen von Triesomie 21 eben Down-Syndrom fest und somit ist auch klar, dass das Kind allgemeinhin als „geistig behindert“ gelten wird.
Ich glaube, dass es Probleme geben könnte, dass wenn bei einem Kind ein sonderpädagogischer Förderbedarf „geistige Entwicklung“ festgestellt wurde und auf eine PB-Schule eingeschult wird, dort wieder herunter zu kommen. Aber ich denke, dass das theoretisch sicherlich möglich ist, auf eine SChule für Lernhilfe zu kommen…
Aber das ist nur meine Einschätzung, vielleicht, läuft es ja auch ganz anderes.
Ich hoffe ich habe ein wenig geholfen.
Alex

Hallo!

Gäbe es dann überhaupt die Chance für eine Rückkehr
irgendwann auf eine normale Schule? Was kann man solchen
Eltern raten? Wer kann hier „neutral“ beraten?

Ja, klar, der sonderpäd. Förderbedarf kann jederzeit wieder aufgehoben werden.

Zumindest hier in Österreich :smile:

Neutral beraten würde das SPZ (sonderpäd. Zentrum) des jeweiligen Bezirkes.

Liebe Grüße
Daniela